Buchtipp des Monats von Rainer Gries

Für Rainer Gries, Inhaber des Franz Vranitzky Chair for European Studies an der Universität Wien, sind die Kinder der Balkankriege eine Schlüsselgeneration Europas. In seiner jüngsten Publikation beschäftigte er sich intensiv mit ihnen und ihren Lebenswelten.

uni:view: Kürzlich ist Ihre Publikation "Generation In-Between. Die Kinder der Balkankriege: Annäherungen an eine europäische Schlüsselgeneration" erschienen, die Sie gemeinsam mit Eva Asboth und Christina Krakovsky verfasst haben. Was ist Ihr Anliegen mit diesem Buch?
Rainer Gries: Wir möchten in die Zukunft Europas schauen – also beobachten wir die jungen Erwachsenen von heute. Und die späten Kinder Ex-Jugoslawiens werden in Kürze eine wichtige Rolle spielen. Unser Buch "Generation In-Between", das von der ERSTE Stiftung gefördert wurde, versteht sich als eine Bestandsaufnahme. Es eröffnet Einblicke in ihre Geschichte und Gegenwart, in ihre Selbst- und Weltsichten – und in ihre "Europeanness".

uni:view: Warum sehen Sie diese Generation als europäische Schlüsselgeneration an?
Gries: In den nächsten Jahren wird es die "Aufgabe" der Angehörigen dieser Generation sein, die europäische Integration ihrer Länder fortzusetzen und weiter auszugestalten – oder womöglich erst ins Werk zu setzen. Ihre Aufgabe wird es sein, die Werte und die Politik der europäischen Gemeinschaft in ihren Gesellschaften zu vermitteln, fortzuschreiben und – im Gefolge der großen Krisen – neu auszuhandeln.

uni:view: Die Erfahrungen dieser Generation und ihr Umgang damit sind sicherlich sehr divers. Was eint Sie Ihrer Meinung nach trotzdem, um sie als eine Generation In-Between zu bezeichnen?
Gries: Nun, es gibt schon einige wesentliche Gemeinsamkeiten: Sie sind in den 1980er und frühen 1990er Jahren geboren, und sie erlebten die Kriege und ihre Gräuel als Augen- und OhrenzeugInnen. Die Erfahrungen des gesellschaftlichen und politischen Umbruchs überlagern die Erfahrungen kriegerischer Gewalt in existenzieller Weise.

Mittlerweile sind sie junge Erwachsene, einerseits hochpolitisiert – andererseits lehnen sie in der großen Mehrzahl ein direktes Engagement in politischen Institutionen ab. Die emotionalen und kognitiven Konflikte dieser "Hidden Politics" führen zumeist zu Apathie und Ablehnung und zugleich zu Hoffnungen und Sehnsüchten. Das trifft auch auf ihre Haltung gegenüber "Europa" zu.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung: 
1x "Annäherungen an eine europäische Schlüsselgeneration", von Rainer Gries, Eva Asboth und Christina Krakovsky
1x "Die Welt zur Zeit Jesu" von Werner Dahlheim

uni:view: Und nun zu Ihrem persönlichen Buchtipp für unsere LeserInnen: Welches Buch empfehlen Sie?
Gries: Ich habe mit großer Begeisterung das Buch eines Kollegen gelesen, der als Professor für Alte Geschichte in Berlin forschte und lehrte: "Die Welt zur Zeit Jesu" von Werner Dahlheim.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Gries: Jesus Christus, seine Anhänger und seine Nachfolger, verkündeten ein für die Antike ganz neues Konzept von Zukunft: Sie setzten als erste all ihre Hoffnungen auf eine erfüllte Zeit im Jenseits der Welt, in ewiger Gottesnähe. Damit revolutionierten sie zugleich das Verständnis von Gegenwart und Vergangenheit – bis heute. In den beiden Jahrhunderten vor und nach der Geburt Jesu kulminierten die Dynamiken der Antike – und Werner Dahlheim gelingt es meisterhaft, eben diese Zeit und diese Welt der Um- und Aufbrüche dicht zu beschreiben und zu erklären.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Gries: Ein Buch, das weit mehr bietet als sein Titel verspricht: eine ebenso spannende wie faszinierende Globalgeschichte der Horizonte des Römischen Reiches von seinen Anfängen bis zur Spätantike. (td)