Buchtipp des Monats von Laura Wiesböck

Rechtspopulistische WählerInnen für dumm zu halten, entspricht demselben Prinzip wie MigrantInnen als Sozialschmarotzer zu bezeichnen. Mit der Herabsetzung von Menschengruppen, die sich in allen Milieus findet, beschäftigt sich Soziologin Laura Wiesböck ihrer Publikation "In besserer Gesellschaft".

uni:view: In Ihrer jüngsten Publikation "In besserer Gesellschaft" spüren Sie dem selbstgerechten Blick auf "die Anderen" nach. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen?
Laura Wiesböck: Für mich war es wichtig aufzuzeigen, dass die bewusste oder unbewusste Herabsetzung von Menschengruppen in allen Milieus verbreitet ist. Die Sehnsucht nach dem geborgenen Schoß einfacher kollektiver Identität ist auch für BildungsbürgerInnen groß. Zwar wähnen sie sich als Hüter der Wahrheit, die genau hinsehen und verstehen, doch verfolgen sie häufig genau dieselben Prinzipien derjenigen, die sie verurteilen: Die anderen außerhalb der eigenen Kreise als eine angeblich homogene Gruppe zu sehen, die man entweder überzeugen und integrieren kann oder aber ablehnt. In anderen Worten: Rechtspopulistische WählerInnen für dumm zu halten ist exakt dasselbe Schema wie MigrantInnen für Sozialschmarotzer zu halten. Bei dem Buch handelt es sich allerdings nicht um eine reine Elitenkritik. Die Lektüre veranschaulicht wechselseitige selbstgerechte Blicke in den gesellschaftlichen Bereichen Arbeit, Geschlecht, Einwanderung, Armut und Vermögen, Kriminalität, Konsum, Aufmerksamkeit und Politik.

Veranstaltungstipp: Sexualisierte Gewalt als Gesellschaftsproblem
Vortragsabend und Podiumsdiskussion mit Sigi Maurer (Institut f. Höhere Studien), Christian Berger (Sprecher Frauen*Volksbegehren), Martina Schöggl (Frauennetzwerk Sorority) und Laura Wiesböck (Institut f. Soziologie). Moderation: Florian Klenk (Chefredakteur Falter)
Freitag, 16. November 2018 um 19 Uhr
Hörsaal C1, Campus der Uni Wien

uni:view: Kann Identität nicht erst entstehen, wenn es "die Anderen" überhaupt gibt oder anders gefragt: Ist eine gewisse Abgrenzung nicht auch sehr menschlich und mitunter "gesund"?
Wiesböck: Abgrenzung ist ein wichtiger menschlicher Prozess, der dazu dient, Struktur in die eigene Umgebung zu bringen und seine Zugehörigkeit zu definieren. Soziale Gemeinschaften bauen auf Grenzziehungen auf, also auf der Konstruktion eines Unterschieds zwischen "Wir" und "die Anderen". Nur selten werden die Anderen lediglich als andersartig eingestuft, viel häufiger jedoch auch als geringerwertig.

uni:view: Wann wird Ihrer Meinung nach die Abgrenzung von Personen oder Gruppen auch gefährlich?
Wiesböck: Sobald eine Ideologie der Ungleichwertigkeit befördert wird und bestimmten Bevölkerungsteilen Empathie, Würde, Solidarität, soziale Absicherung oder Rechte aberkannt werden. Das sehen wir heute unter anderem beim Thema Arbeitslosigkeit, bei dem nicht die Ursachen, sondern die Betroffenen bekämpft werden. Oder auch im Bereich Flucht und Migration.

uni:view: In der Buchbeschreibung des Verlages steht, dass Sie auch unangenehme Wahrheiten zutage fördern. Können Sie dazu ein paar Beispiele nennen?
Wiesböck: Im Buch finden sich unter anderem Paradoxien des vorherrschenden elitären Mantras "Mache deine Leidenschaft zum Beruf", die postulierte Verknüpfung von Selbstverwirklichung und Erfolgspflicht, inwiefern exakt gleiche Verhaltensweisen bei Frauen kritisiert und bei Männern bewundert werden, der Zusammenhang von Attraktivität und Konsum am Partnermarkt, das moralische Überlegenheitsgefühl der urbanen Mittelschicht im demonstrativen Ausleben eines nachhaltigen Lebensstils oder wie rechtspopulistische WählerInnen pathologisiert werden ("Wir müssen ihre Ängste ernst nehmen") und damit deren real erlebte Machtlosigkeit bei öffentlichen und politischen Entscheidungen und Konsumchancen als diffuses Gefühl abgetan wird.

Das Gewinnspiel ist bereits verlost. Doch die gute Nachricht: In der Universitätsbibliothek stehen die Bücher interessierten LeserInnen zur Verfügung:

1 x "In besserer Gesellschaft" von Laura Wiesböck, Kremayr & Scheriau Verlag
1 x "Schwein und Zeit. Tiere, Politik, Revolte" von Fahim Amir, Edition Nautilus

uni:view: Welches Buch empfehlen Sie unseren LeserInnen?
Wiesböck: "Schwein und Zeit. Tiere, Politik, Revolte" von Fahim Amir.

uni:view: Einige Gedanken, die Ihnen spontan zu diesem Buch einfallen?
Wiesböck: Amir stellt die Frage, wo und wie Tiere Widerstand leisten und beleuchtet deren Kampfallianzen mit Menschen. Statt die "reine unberührte" Natur zu romantisieren und Tiere als Opfer von Umweltzerstörung oder industrieller Tierhaltung zu erklären, wird ihre Geschichte aus einer emanzipatorischen Perspektive erzählt. Dabei lernt man unter anderem, wie Singvögel in der Stadt sich dank hoher Östrogenspiegel im Abwasser dopen und das Nikotin von Zigarettenstummeln zur Parasitenabwehr in ihren Nestern nutzen.

uni:view: Sie haben den letzten Satz gelesen, schlagen das Buch zu. Was bleibt?
Wiesböck: Ein bereichender Blick auf neue Konzepte des Miteinanders und Gegeneinanders auch jenseits der Spezies Homo Sapiens. (td)

Laura Wiesböck ist Universitätsassistentin (Postdoc) am Institut für Soziologie der Universität Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen soziale Ungleichheit, Armut und Ausgrenzung, Migration und Arbeitsmarktsegmentation, Transnationalisierung von Arbeit und Europäische Integration.