Sichtbarkeitssteigerung in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften
Gastbeitrag Besondere Einrichtung für Qualitätssicherung | 29. Juni 2017Am 20. Juni 2017 wurden die Ergebnisse einer 2016 durchgeführten Umfrage zur Sichtbarkeitssteigerung in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in der Aula des Campus präsentiert und diskutiert.
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In seiner Begrüßung stellte Vizerektor Heinz Faßmann fest, dass sich auch die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften (GSK) einer Vermessung ihrer Forschungsleistungen stellen müssen, wenn auch mit anderen Logiken und Metriken als die Natur- und Lebenswissenschaften. Wenn die Grundlagen wichtiger Entscheidungen im Kontext knapper Ressourcen durch objektivierende Indikatoren verbessert werden können sei dies zu begrüßen. Allerdings müssen die "Geodäten der Wissenschaft" die spezifischen Kulturen der GSK berücksichtigen. An der Universität Wien sei die dafür notwendige Sensibilisierung in der Qualitätssicherung und Bibliometrie jedenfalls vorhanden.
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Als Vizerektor für Forschung bemerke er, dass insbesondere junge WissenschafterInnen den Prozess der Sichtbarmachung der Forschungsleistungen als Notwendigkeit erachten und auch sehr erfolgreich durchführen. Dabei sei allerdings kritisch zu reflektieren, dass die Sichtbarmachung per se die Originalität, Qualität und den inhaltlichen Gehalt der Forschung nicht erhöhen kann. Heinz Faßmanns Dank galt dem Team Bibliometrie und der Qualitätssicherung, allen WissenschafterInnen, die an der Befragung im Jahr 2016 teilgenommen haben, sowie seiner Vorgängerin Susanne Weigelin-Schwiedrzik, die als damalige Vizerektorin den Prozess angestoßen hatte.
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In ihrem Vortrag "Ich seh, ich seh was du nicht siehst und das ist exzellent…? Zur Sichtbarkeitsproblematik in den GSK" betonte Dekanin Ulrike Felt, dass gerade die Sozialwissenschaften eine ernsthafte Reflexion durchführen müssen, welchen Einfluss die technologischen Veränderungen zur Messung und Sichtbarmachung von Forschungsleistungen auf die Wissenschaft und die WissenschafterInnen haben.
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Ulrike Felt warnte davor, dass die unklare Verknüpfung von Sichtbarmachung und Qualität der Forschungsleistungen durch sogenannte "inscription devices" (etwa Indikatoren) eine Transformation erfährt, wodurch anschließend eine Gleichsetzung der Inskription mit der Qualität der wissenschaftlichen Arbeit oder sogar der Wissenschaft selbst erfolgt. Daher empfiehlt sie Selbstbeobachtungsmechanismen, um einer Einengung der Wissenschaft durch Prozesse des Messens und Sichtbarmachens entgegenzuwirken.
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Auch die Frage, was wir eigentlich sichtbar machen wollen, muss aus ihrer Sicht wiederholt gestellt werden, denn neben den konkreten Forschungsergebnissen, der Forschungsleistung im weiteren Sinn und dem gesellschaftlichen Impact sind die Forschungsprozesse der GSK bisher weitestgehend unsichtbar, da diese selten Technologien verwenden, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würden.
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In der folgenden Diskussion wurde noch einmal betont, dass die ForscherInnen in den GSK auch deutlich den Unterschied zum Alltagswissen herausarbeiten und zukünftig neben den Erkenntnissen auch die Prozesse und Kontexte mitliefern müssen. Zusätzlich zu den traditionellen textlichen Publikationsformaten gewinnt im Diskurs von Wissenschaft und Gesellschaft auch die Bereitstellung weiterer Materialien wie Bilder, Videos und Blogs an Bedeutung.
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Christian Gumpenberger vom Team Bibliometrie der Universität Wien stellte die Ergebnisse der Befragung von WissenschafterInnen der geistes-, sozial- und kulturwissenschaftlichen Fächer zu Fragen des Publizierens, der Sichtbarkeit und der Einschätzung von Forschungsleistungen vor. Der vollständige Bericht über die Befragungsergebnisse und Empfehlungen ist im Repositorium der Universität Wien online verfügbar.
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Christian Gumpenberger ermutigte, die stattfindenden Entwicklungen aktiv mitzugestalten. Als zu ergreifende Maßnahmen ergeben sich etwa die Steigerung der Bekanntheit sowie der Ausbau der institutionellen Services zur Sichtbarmachung von Forschungsleistungen. Er verwies dazu auch auf die Empfehlungen des Rektorats zur Steigerung der Sichtbarmachung wissenschaftlicher Leistungen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften, sowie auf die Open Access und Affiliation Policy der Universität Wien.
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Juan Gorraiz, Leiter des Teams Bibliometrie und Publikationsstrategien stellte bibliometrische und weitere forschungsunterstützende Services der Universität Wien vor. Er informierte auch, dass zukünftig im Forschungsdokumentationssystem u:cris alle Dokumente automatisch einen Digital Object Identifier (DOI) bekommen, der die Publikation unabhängig vom Online-Speicherort eindeutig digital identifizierbar macht. Dies wiederum ist von Bedeutung für die Entwicklung neuer alternativer Metriken, mit denen etwa die Erwähnung von Forschungsergebnissen im sozialen Netz gemessen werden kann.
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Dekanin Claudia Theune von der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät griff die Frage nach der Rolle von Social Media im Zusammenhang mit der Sichtbarmachung von Forschungsleistungen auf.
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Michael Hofer, Leiter der Besonderen Einrichtung für Qualitätssicherung an der Universität Wien, betonte die institutionelle Verantwortung für die Übernahme von Leistungen zur Sichtbarmachung, wie etwa in der Forschungsdokumentation oder im Bereich Social Media. Die wohl notwendige Teilnahme am internationalen Aufmerksamkeitswettbewerb für Forschungsleistungen im Social Web sollte qualitätsgesichert durch die Institution, und nicht individuell durch den oder die WissenschafterIn erfolgen.
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Die angeregte Diskussion setzte sich auch in der Kaffeepause fort. Neben TeilnehmerInnen von anderen Universitäten zeigten auch VertreterInnen des Wissenschaftsministeriums reges Interesse an den Aktivitäten sowie an den vorgestellten Erkenntnissen und Empfehlungen der Universität Wien.
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Bei glühend heißen Temperaturen wurden die Ergebnisse der Befragung dann von einem hochkarätigen Panel reflektiert und unter Einbezug der rund sechzig TeilnehmerInnen intensiv diskutiert.
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Susanne Weigelin-Schwiedrzik betonte, dass Neugierde und intrinsische Motivation für WissenschafterInnen kennzeichnend seien. Gerade DoktorandInnen und Postdocs empfiehlt sie daher Phasen des Innehaltens und direkte Gespräche mit Persönlichkeiten, um ein Gegengewicht zur Außendarstellungsproblematik zu erreichen. Sie stellte auch die Frage, wie die anscheinend notwendiger werdenden Selbstdarstellungsaktivitäten der Forschungsleistungen zum Wohle der WissenschafterInnen und der Institution Universität umgesetzt werden können.
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Barbara Schober, Dekanin der Fakultät für Psychologie, stimmte es nachdenklich, dass Sichtbarkeitssteigerungen kaum mit der Originalität der Forschung korrelieren. Auch sei der Impact von Forschungserkenntnissen etwa im Bereich der Fachdidaktik, die in regionalen Zeitschriften der LehrerInnenbildung veröffentlicht werden, zwar für die Zielgruppe hoch, aber von den derzeitigen Messungen nicht erfasst. Sie empfiehlt Gesamtforschungsprofile zu evaluieren und sieht die Notwendigkeit neuer Indikatoren insbesondere im Bereich des societal impact universitärer Forschung.
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Der Dekan der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Martin Rothgangel, unterstrich, dass die Monographie in vielen geisteswissenschaftlichen Fächern extrem wichtig und hochangesehen ist. Er sieht die Notwendigkeit, auch in den GSK Forschungsergebnisse durch eine gewisse Anzahl an Veröffentlichungen in englischer Sprache offensiver der internationalen wissenschaftlichen Community zugänglich zu machen.
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Der Historiker Walter Pohl betonte, dass die Berücksichtigung der Vielfalt der Publikationskulturen sehr wichtig ist und lobte die zur Debatte stehende Studie als sehr lesenswert. Auch aus eigener Erfahrung mit der neu gegründeten Open Access Zeitschrift "Medieval Worlds" sieht Pohl einen starken Zusammenhang zwischen der Auffindbarkeit von Forschungsergebnissen und deren Open Access Publikation. So verzeichnen die Artikel von OA-Zeitschriften deutlich höhere Downloadzahlen, was für ihn Interesse an den Erkenntnissen signalisiert. Ob die Artikel dann auch tatsächlich gelesen werden, kann so jedoch nicht gemessen werden.
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Im von Christian Gumpenberger moderierten Panel wurde von den WissenschafterInnen der Universität Wien abschließend betont, dass bestehende Services und Policies weiter unter den WissenschafterInnen bekanntzumachen sowie Schnittstellen und Interoperabilität von Systemen wie Forschungsdokumentation und Repositorium weiter zu verbessern sind. Es wurde angesprochen, dass weitere Überzeugungsarbeiten zur Umsetzung von Reformen und Innovationen notwendig sind, und die bestehenden Empfehlungen zur reflektierten Weiterentwicklung der Publikationskulturen in den GSK einen guten Weg darstellen, den die Universität Wien eingeschlagen hat. (Text: Michael Hofer/Fotos: Universität Wien/derknopfdruecker.com)
Die Empfehlungen des Rektorats zur Steigerung der Sichtbarmachung wissenschaftlicher Leistungen in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften und die Affiliation Policy der Universität Wien sind im Intranet der Universität Wien zu finden.