Post aus dem Reich der Mitte (Tag 14-15)
Gastbeitrag von Karin Gokesch und Monika Widzyk | 29. August 2013Halbzeit in China: Die Exkursionsgruppe der Universität Wien macht Halt in Dujiangyan, Wenchuan und Songpan und besichtigt Rutschungen, Muren und Schutthalden sowie den zweitgrößten natürlichen Damm der Welt.

Tag 14. Nach einer recht kurzen Nacht in Chengdu starten wir um 6.30 Uhr morgens nach Dujiangyan. Die 630.000-Einwohner-Stadt gilt – mit ihrem als Weltkulturerbe deklarierten antiken Bewässerungssystem – als einer der touristischen Höhepunkte Chinas. Es wurde ab dem Jahre 256 B.C. vom damaligen Gouverneur der Region Li Bing begonnen. Auf dem Platz vor dem Haupteingang zur Anlage beobachten wir eine Gruppe von Menschen beim Ausführen von Tai Chi-Übungen. Öffentliche Plätze werden in China sehr gerne für sportliche Betätigung und Tanz genutzt, wobei zur mitgebrachten Musik immer eine Person die Übungen und Schritte vorgibt und dann jeder nach Lust und Laune zum Mitmachen eingeladen ist.

Das antike Bewässerungssystem basiert auf dem Abzweigen eines Seitenkanals des Minjiang Flusses. Es wird für die Bewässerung des gesamten Chengdu Beckens mit einer Fläche von über 600.000 Hektar genutzt. Den Beginn des Bewässerungssystems bildet das "Fischmaul". Hier wird der Minjiang Fluss in einen äußeren und einen inneren Kanal unterteilt. Um Hochwasser im Chengdu Becken zu vermeiden wurden im Jahr 1974 noch zusätzlich drei Seitenkanäle errichtet. Bei hohem Wasserstand werden die Wassermassen vom inneren Kanal wieder zurück in den äußeren Kanal abgeleitet. Insgesamt werden an dieser Stelle bis zu 60 Prozent des Flusswassers für die Bewässerung entnommen, weshalb die Regionen flussabwärts bis hin zur Mündung des Minjiang Flusses in den Jangtze wesentlich weniger Wasser zur Verfügung haben.

Nach der informationsbeladenen Führung fahren wir weiter in Richtung Wenchuan. Aufgrund der Starkniederschläge, welche die Region im Juli dieses Jahres heimsuchten, kam es im Gebiet um Yingxiu und Wenchuan zu sowohl starken Hochwässern als auch Rutschungen und Muren. Die Gebirgsstrecke, die beide Städte miteinander verbindet, ist teilweise extrem zerstört (u.a. eingestürzte Brücken, verschüttete Strassenabschnitte und Häuser). Aufgrund der noch immer andauernden Aufräumarbeiten ist die Strecke für jeweils zwölf Stunden nur in eine Richtung befahrbar, weshalb wir bis 12 Uhr Mittag die Strecke passieren müssen. Auf dem Weg können wir zahlreiche Beschädigungen an Straßen und Brücken erkennen, welche uns die Ausmaße derartiger Ereignisse erahnbar machen.

Unterwegs begutachten wir eine Vielzahl äußerst beeindruckender Rutschungen, Muren und Schutthalden, die durch die Niederschläge im Juli ausgelöst wurden. Aber auch einige Relikte der Folgen des Wenchuan Erdbebens vom 12. Mai 2008 sind an den umliegenden Hängen noch zu erkennen. Besonders erstaunt sind wir über die Dimensionen dieser gravitativen Massenbewegungen, die sich zum Teil über den gesamten Hang erstrecken und teilweise bis zu 100 Meter mächtig sind.

Unsere Destination für den Tag ist die Stadt Wenchuan, der Verwaltungssitz des gleichnamigen Bezirkes. Die 80.000-Einwohner-Stadt liegt in einem Tal umrundet von Bergkämmen mit Höhen bis zu 4.000 Meter Seehöhe. An den steilen Hängen wird regelmäßig Geröll ins Tal transportiert. Während des Wenchuan Erdbebens am 12. Mai 2008 erlitt die Stadt, auch wenn das Ereignis nach ihr benannt wurde, nur sehr geringe Schäden im Vergleich zu anderen Siedlungen der Region. Insgesamt hatte Wenchuan lediglich 16 Todesopfer zu beklagen, wohingegen in anderen Städten zum Teil bis zu 80 Prozent der Bevölkerung ums Leben kamen. Dieser Umstand ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Gebäude in Wenchuan, als einize Stadt des Bezirkes, darauf ausgerichtet wurden, einem Magnitude 8 Erdbeben standzuhalten.

Der Nachmittag führt uns entlang des Zagunao Flusses in Richtung des Tibetischen Plateaus. Umrundet von einer einmaligen Hochgebirgskulisse liegt das im Qiang (tibetische Minorität) Stil erhaltene und teilweise stilistisch nachgebaute, Dorf Taoping. Die Gebäude wurden hauptsächlich aus braunen und gelben Blocksteinen errichtet, die durch ein labyrinthartiges Geflecht an kleinen Gassen und Straßen verbunden werden. Die Häuser sind für gewöhnlich zwei- bis dreistöckig, wobei nur der oberste Stock bewohnt und die unteren als Stauraum für Werkzeuge und Nahrungsherstellung genutzt wurden. Das Dorf war auch vom Wenchuan Erdbeben stark betroffen und wurde komplett saniert.

Den Abschluss dieses ereignisreichen Tages bildet die Fahrt zu dem im Jahre 2012 durch Starkniederschläge ausgelösten Jiasikou Murgang. Das Ausmaß des Sediment- und Blocktransports dieser Mure ist mit einer Blockgröße von bis zu 200 Zentimetern und einer Ablagerungshöhe von ca. sieben Metern enorm. Für dieses Ereignis wird eine Wiederkehrswahrscheinlichkeit von 100 Jahren angenommen. Da es hier immer wieder solche Großereignisse gibt, ist geplant, ein Frühwarnsystem einzurichten.

Tag 15. Heute fahren wir mit dem Bus in Richtung Chuanzhusi. Auf der Fahrt können wir wieder zahlreiche Hangrutschungen erkennen, die sich durch den stärkeren Bewuchs von der sonst relativ kargen Umgebung unterscheiden. Die ursprüngliche Vegetation der Region waren Wälder und Wiesen, welche jedoch durch den starken Bedarf an Holz als Bau- und Heizmaterial großteils gerodet wurden. Durch den größeren Anteil an Lockermaterial und die höhere Wasserverfügbarkeit auf und in der Rutschmasse können sich Pflanzen hier wesentlich leichter ansiedeln als auf den nur wenige Zentimeter tiefen Bodenschichten der umgebenden Flächen.

Um die hohe Gefahr gravitativer Massenbewegungen zu verringern, aber auch um das Land allgemein aufzuwerten, werden in der Region vermehrt Aufforstungsmaßnahmen gesetzt. Diese gestalten sich jedoch oft als schwierig, da die Bäume auf dem kargen Boden nur schwer anwurzeln können.

Nach einer kurvenreichen Fahrt erreichen wir einen Bergsee, der sich im Jahr 1933 nach einem gewaltigen Bergsturz aufgestaut hat. Dieser wurde durch ein Magnitude 7,5 Erdbeben ausgelöst, das zusammen mit den darauffolgenden Fluten und Rutschungen insgesamt ca. 21.000 Todesopfer forderte. Der bis zu 300 Meter tiefe See liegt auf ca. 2.800 Meter Seehöhe und wird durch das Wasser des Minjiang Flusses gespeist. Neben der beeindruckenden Aussicht können wir hier auch unsere erste Begegnung mit den für die Region bekannten Yaks machen, die hier für ein paar Yuan für Fotos mit Touristen zur Verfügung stehen. Der durch den Bergsturz gebildete Damm gilt mit einer Höhe von bis zu 500 Meter als der zweitgrößte natürliche Damm der Welt.

Nach diesem beeindruckenden Beispiel der Auswirkungen gravitativer Massenbewegungen führt uns unser Weg weiter in Richtung Songpan, einer ca. 300 Jahre alten multikulturellen Stadt auf rund 3.000 Meter Seehöhe, die als beliebte Touristenattraktion besonders bei Trekkingtouristen, bekannt ist. Neben der Kultur der Han-Chinesen finden wir hier auch Zeichen tibetischer und muslimischer Einflüsse. Die ca. 70.000 EinwohnerInnen der verschiedenen Kulturkreise leben hier, mehr oder weniger, gemeischaftlich nebeneinander, was zu einer sehr interessanten Durchmischung sowohl kultureller als auch architektonischer Einflüsse führt.