Post aus dem Reich der Mitte (Tag 11-13)
Gastbeitrag | 27. August 20132008 erschütterte das "Große Erdbeben von Wenchuan" die chinesische Provinz Sichuan. Unsere Geographiestudierenden besuchen betroffene Städte sowie Institutionen im Bereich Wiederaufbau, Katastrophenschutz und Erdbebenforschung.

Tag 11. Heute folgen wir der Einladung von Professor Huang ans SKLGP (State Key Laboratory of Geohazard Prevention and Geoenvironment Protection) der Technical University of Chengdu und bekommen dort durch Professor Tang eine Einführung in aktuelle Forschungsarbeiten. Bereits am Eingang des Gebäudes zeigt ein Monitor die außergewöhnlichen Wetterbedingungen in der Sichuan-Provinz: So fielen am 20. Juli 2013 im Hongchu Valley fast 500 mm Niederschlag bei einzig einem Regenereignis – so viel fällt in Wien im Laufe von zehn Monaten!

Die im SKLGP durchgeführten Forschungsprojekte sind sehr vielseitig. Man beschäftigt sich zum Beispiel mit der Analyse und dem Monitoring von meist erdbebeninduzierten Rutschungen oder der sicheren Bauweise von Infrastrukur, zum Beispiel Tunnel. Besonders beeindruckend waren die Darstellungen zu großen Staudammprojekten, wie etwa einem geplanten 300 Meter hohen Damm am Yangtze River in ca. 400 Kilometer Entfernung von Chengdu.
Unter den Geräten zur Simulation und Analyse von Rutschungen bzw. Muren zählen viele zu den größten weltweit. Die abgebildete Zentrifuge simuliert das Verhalten von Rutschungsmaterialien, indem das Boden- und Gesteinsmaterial auf bis zu 500 G beschleunigt wird. Zukünftig ist es geplant, dass eine integrierte Vibrationsplatte auch Erdbeben simulieren kann. Die Kosten für den Bau und die Unterhaltung sind immens. Aufgrund des extremen Strombedarfs des Zentrifugenmotors ist beispielsweise ein direkter Hochspannungsanschluß notwendig. Ein 20-30 minütiger Testlauf kostet ca. 100.000 Yuan (ca. 12.000 €). Zum Tageabschluss wurden wir von Professor Huang zu einem wunderbaren Banquett eingeladen.

Tag 12 startet mit einer eineinhalbstündigen Busfahrt von Chengdu nach Deyang. Deyang befindet sich nordwestlich von Chengdu und ist die drittgrößte Stadt der Provinz Sichuan. Wir besuchen das "Earthquake Rescue Center", das seit dem Wenchuan Erdbeben am 15. Mai 2008 stark ausgebaut worden ist, z.B. auch mit der Hilfe des deutschen BBK (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge). Hier werden wir herzlich willkommen geheißen, und nach Vorträgen und Kurzfilmen wird uns eine Kalligraphie mit den Worten "Willkommen Deutschland und Österreich in Deyang" überreicht.

Beim anschließenden Empfang beim Bürgermeister von Deyang wird uns ein interessantes Kooperationsprojekt vorgestellt. Die deutsche Organisation GIZ (Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit) arbeitet seit 2010 mit der Stadt zusammen, um ein in Deutschland entwickeltes Konzept zur Selbsthilfe und Erstrettung im Katastrophenfall für die Anwendung bei Erdbeben umzusetzen. Die lokale Bevölkerung wird kontinuierlich auf die Erstversorgung in Notsitationen trainiert. Der Leiter der zentralen Polizeiakademie präsentiert uns die Ausbildung der Polizisten – wobei wir vom lokalen Fernsehen begleitet und interviewt werden: Unsere Anwesenheit und das damit verbundene internationale Interesse an der Organisation der Erstrettung ist in China eine tolle Attraktion!

Die nächste Busfahrt wird von den meisten, wie so oft, zur Erholung genutzt. Das Gehörte wurde verarbeitet und man bereitet sich mental auf den kommenden Stopp vor – auch die Exkursionsleiter (im Bild). Die ganztägigen Aktivitäten kombiniert mit frühem Start – spätestens um 8 Uhr geht's los – zeigen ihre Auswirkungen.

50 Kilometer von Deyang entfernt wird uns das Trainingscenter des "Earthquake Rescue Centers" gezeigt. Wir besuchen die Stadt Hanwang (City of Mianzhu), in der die Auswirkungen des Erdbebens deutlich zu sehen sind. Die Stadt wurde beim Wenchuan-Erdbeben 2008 zerstört und danach verlassen – als leere Geisterstadt wirkt sie sehr bedrückend. In Hanwang wurden durch das Erdbeben rund 4.000 Menschen getötet, je nach Quelle zwischen 100 und 1.000 Menschen sind vermisst bzw. wurden nie geborgen.
Wenige Kilometer außerhalb von Hanwang entstand New Hanwang, das 2010 fertiggestellt wurde und nun den abgesiedelten Einwohnern als neues Zuhause dient. Die verlassene Stadt wird als Trainingsgebiet für die Ausbildung von Ersthelfern (First Responder) genutzt, wie wir im Rahmen der Vorstellung des deutsch-chinesischen Kooperationsprojekts bereits am Vormittag erfahren haben. Die Zielgruppe solcher Übungen ist primär die lokale Bevölkerung, jedoch beteiligen sich auch Menschen aus der restlichen Sichuan-Provinz sowie aus ganz China an den Trainings in Hanwang.

Nachdem wir uns in den letzten Tagen intensiv mit Geohazards und Human Impact beschäftigt hatten, lernen wir am Abend eine kulturelle Besonderheit der Region kennen: die Sichuan Oper (Chuanxi). Die im Sichuan-Dialekt gesungene Kunstform ist wenig formal. Der in hoher Stimmlage dargebrachte Gesang thematisiert meist lokale Sagen. Neben dem berühmten "Rapid Face Changing" bestaunten wir akrobatische Einlagen, Schattenspiel und die Darbietung eines Erhu-Spielers.

Den Abschluss dieses vielseitigen Tags bildete eine kulinarische Expedition zum Night Market, wo wir verschiedene, für die Provinz Sichuan typische Häppchen unterschiedlicher Schärfegrade probieren – natürlich alles nur gegrillt!

Tag 13. Heutiges Ziel ist Beichuan in den Long Men Mountains, 160 Kilometer von Chengdu entfernt. Die Stadt wurde am 12. Mai 2008 vom Wenchuan-Erdbeben schwer getroffen, da sie sich direkt auf der Yingxiu-Beichuan-Verwerfung befindet. Das Beben trat um 14.28 Uhr mit einer Stärke von 7,9 auf und zerstörte über 80% der Gebäude. Von den ca. 20.000 in der Stadt befindlichen Menschen kamen an die 10.000 ums Leben, und 2.500 bleiben bis heute vermisst.

Die schwer beschädigten, aber noch nicht zur Gänze eingestürzten Gebäude werden durch diverse Einsturzsicherungen stabilisiert. Heute wird Beichuan als Gedenkstätte und für touristische Zwecke genutzt. Wir sind auf verschiedenste Weise zutiefst beeindruckt.

An unterschiedlichen Stellen können wir auf die Richtungen und Dimensionen der damals wirkenden Kräfte Rückschlüsse ziehen. Dieser seit dem Unglück unbewegte Minivan wurde beispielsweise von den aufgetretenen Horizontal- und Vertikalverschiebungen mit beträchtlicher Kraft auf die Stange des Basketballkorbs geschleudert.

In Beichuan waren die meisten Häuser nicht für von unten horizontal und vertikal einwirkende Kräfte konstruiert worden, so dass vor allem die Bauweise des Erdgeschosses eine Schwachstelle der meisten Gebäude darstellte. In China wird das Erdgeschoss vorwiegend für Geschäfte und Lagerräume genutzt. Dadurch sind die Räume höher und es fehlen Zwischenwände, was die Stabilität negativ beeinträchtigt. Bei Erdbeben "versagen" diese Wände, und das Gebäude kollabiert.

An der Fassade sind x-förmige Risse zwischen den Fenstern als ein Ergebnis des Erdbebens zu erkennen. Daraus kann geschlossen werden, dass es keine schrägen Verstärkungen zwischen den Pfeilern gibt. Außerdem wurde zu wenig Stahl verbaut. Bereits 1950 haben Geologen darauf hingewiesen, dass diese Region ein hohes Gefahrenpotenzial aufweist.

Ein vom Erdbeben ausgelöster Felssturz verschüttete die Beichuan Secondary School und das nebenstehende Lehrerhaus. Zum Zeitpunkt des Erdbebens fand der normale Schulunterricht statt. Es wurden insgesamt 700 SchülerInnen und LehrerInnen unter den Sturzmassen begraben. In der gesamten Region sind ein Drittel aller Opfer des Wenchuan-Bebens auf gravitative Massenbewegungen zurückzuführen.

Insgesamt verursachte das Beben ungefähr 60.000 gravitative Massenbewegungen, deren Volumen von vielen 100 Kubikmetern bis mehreren Kubikkilometern reicht. Auf dieser Abbildung (braune Fläche im rechten Bildrand) ist die zweite große Rutschung Beichuan City's zu sehen. Eine gewaltige dritte Hangrutschung (6 Mio. Kubikmeter) flussaufwärts ließ das Wasser des Jianjiang zu einem See aufstauen. Aufgrund der starken Niederschläge in den Wochen nach der Katastrophe wurde dieser natürliche Damm schnell zu einer neuerlichen Bedrohung für Beichuan. Um ein Überlaufen bzw. einen Dammbruch zu verhindern, wurde das Wasser durch Sprengungen kontrolliert abgelassen.

Starke Niederschläge Anfang Juli diesen Jahres verursachten ein Hochwasserereignis, das die zerstörte Stadt in einigen Teilen überschwemmte. Im Flussbereich war die Sedimentakkumulation ca. vier Meter, aber auch bis tief in die Stadt wurde eine ein Meter dicke Sedimentschicht zurückgelassen, wie anhand des im Bild dargestellten Gartenzauns ersichtlich ist. Das in die Flüsse abgegangene Material der vielen Hangrutschungen stellte hierbei die Quelle der enormen Sedimentmengen dar, was wiederum durch die kantigen Ablagerungen bestätigt wird. Die seit 2008 neu errichteten Straßen wurden durch die Flut teilweise schwer beschädigt bzw. auch zerstört. Unser Besuch inmitten der Aufräumarbeiten stellte eine Ausnahme dar.

Am Brückenkopf ist die Mächtigkeit der Sedimentablagerung zu erkennen. Durch das Erdbeben und die Akkumulation des Sedimentes wurde das Flussbett um ca. zehn Meter angehoben. Beinahe das gesamte Tal kann heute als Umlagerungsstrecke bezeichnet werden. An einem zweiten Zufluss wurde im Jahr 2012 unmittelbar vor der Stadt ein ca. 15 Meter hoher Damm errichtet um weiteres Sediment zurückzuhalten.

Im gewaltigen "Earthquake Memorial Museum" erfahren wir noch mehr Details, vor allem über die Hilfe nach dem Beben. Mit imposanten Filmen wird die Katastrophe genutzt, um den nationalen Zusammenhalt zu stärken und zu zeigen, dass sich das Volk auf seine Regierung verlassen kann. Besonders der unermüdliche und umfangreiche Einsatz des Militärs wird besonders betont. Mit verschiedensten Eindrücken verlassen wir das Museum.

Nach dem alten zerstörten Beichuan erkunden wir nun das neue Beichuan. Nach dem Erdbeben wurde für die Überlebenden schnellst möglich "New Beichuan" errichtet. Die neue Stadt liegt 23 km entfernt im Sichuan Basin und ist in nur vier Jahren komplett neu erbaut worden, inklusiv der gesamten Infrastruktur. Die neue Heimat für 10.000 Menschen kostete umgerechnet beinahe vier Milliarden Euro. Viele der EinwohnerInnen sind als Staatsbeamte tätig, um die sozio-ökonomische Sicherheit zu gewährleisten. Einkünfte aus dem Tourismus werden besonders gefördert. Fortsetzung folgt ... (Text und Fotos Tag 11-12: Anna Iglseder und Carina Schachinger, Tag 13: Manuel Kinz und Markus Löw)