Diskussion über die Zukunft des Euro
Redaktion (uni:view) | 28. Mai 2014Das Institut für europäische Integrationsforschung der Universität Wien lud am 22. Mai zur "Vienna Debate on European Integration". Thema: die Zukunft des Euro. Diskutiert wurden die Wahrscheinlichkeit weiterer Systemreformen sowie verschiedene Zukunftsszenarien – bis hin zur Auflösung der Eurozone.

Über 90 Interessierte haben sich vergangene Woche in der Sky Lounge am Oskar-Morgenstern-Platz eingefunden, um über die Eurokrise zu diskutieren.

Die Veranstaltung im 12. Stock des gemeinsamen Gebäudes von Wirtschaftswissenschaften und Mathematik der Universität Wien eröffneten Rektor Heinz W. Engl (im Bild) und die Leiterin des Instituts für europäische Integrationsforschung (EIF) Gerda Falkner, die auch durch den Nachmittag führte.

Der Wirtschaftswissenschafter Zdenek Kudrna beschrieb zuerst den Status Quo der Eurozone: Die Reformen der Europäischen Zentralbank (EZB) haben für Stabilität gesorgt, die systemische Reformpolitik ist unvollständig und das Krisenmanagement hat eine große Kluft zwischen dem Norden und Süden verursacht. Der Mitarbeiter des Instituts für europäische Integrationsforschung zeigte im Anschluss daran vier mögliche Szenarien für die Zukunft der Eurozone auf: 1. die Länder entwickeln einen Konsens für systematische Reformen, 2. der Status Quo der graduellen Reformpolitik bleibt bestehen, 3. ökonomische Schocks führen zu systematischen Reformen oder 4. es kommt zum Zusammenbruch der Eurozone aufgrund substanzieller Schocks.

Rechts- und Politikwissenschafter Fritz W. Scharpf kritisiert, dass die gegenwärtige Krise sehr oft nur als staatliche Kreditkrise gesehen wird, wohingegen man der sozialen Krise, die mit den auferlegten Konditionen der Austeritätspolitik kam, oftmals keine Beachtung schenkt. Vor allem im Süden, den Kreditnehmerländern, steigen die Massenarbeitslosigkeit und die Armut stetig. Der langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln spricht sich für einen Ausgleich zwischen dem Norden und Süden und für einen europäischen Marshall-Plan aus. Er unterstreicht, dass die Länder innerhalb der Eurozone sehr heterogen sind und eine einzige Lösung für alle Länder nicht möglich ist. Der politische Widerstand gegen das System ist sehr präsent und weitet sich zunehmend aus. Deshalb kann Scharpf sich länderspezifisch differenzierende Politiken und Parallelwährungen ebenfalls vorstellen.

Im Gegensatz dazu schlägt Henrik Enderlein, der stellvertretender Dekan und Professor für Politische Ökonomie an der Hertie School of Governance in Berlin, vier notwendige Wege vor, um die Eurokrise zu überwinden und um neue Stabilität zu sorgen: Die vollständige Implementierung des Binnenmarktes, Absicherungen gegen zyklische Schocks, Währungsfonds und die Bankenunion. Er ist der Auffassung, dass diese Maßnahmen für alle Länder gleichermaßen ausreichend sind. Aus seiner Sicht führen länderspezifische Währungspolitiken und Parallelwährungen zur Auflösung der Eurozone. Enderlein beendet seine Rede mit einer persönlichen Anmerkung: Er musste vor kurzem seinem Sohn erklären, was die D-Mark war, und er möchte nicht, dass sein Sohn einmal seinen Kindern erklären muss, was der Euro war.

In einer weiteren Diskussionsrunde mit den beiden Hauptsprechern wurden die Argumente ausgeweitet und kontrastiert.

Die sehr kontroversielle Debatte lockte viele BesucherInnen an die Universität Wien.

Die Hauptbeiträge wurden durch ein weiteres, hochkarätiges Podium kommentiert: Franz Nauschnigg (li.), der Abteilungsleiter für Internationales, EU und IWF an der Österreichischen Nationalbank, beschrieb verschiedene Arten von Krisen innerhalb der Finanzkrise: die Währungskrise, Bankenkrise und die Staatsschuldenkrise. In Folge erklärte er die Wiener Koordinationsinitiative europäischer Banken, "Vienna Initiative", die große internationale Finanzinstitute mit den wichtigsten EU-Institutionen zusammengebracht hat, um für Maßnahmen zur Wahrung der Stabilität der Finanzmärkte zu sorgen.

Alina Lengauer, Rechtswissenschafterin und Abteilungsleiterin der Abteilung Europarecht am Juridicum, sieht anders als Zdenek Kudrna keine Möglichkeit zur systemischen Reform. Das Szenario der Weiterführung des Status Quo – eine Stabilisierung durch graduelle Reformen – wird aus ihrer Sicht am wahrscheinlichsten sein, da die europäische Währungsunion in ihrer heutigen Fassung für andere mögliche Lösungen wenig Legitimität, sogar wenig demokratische Rechenschaftspflicht aufweist. Aus ihrer Sicht wären aber durchaus viele Möglichkeiten vorhanden, solche Legitimation zu schaffen.

Thomas Gehrig (re.), Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, beginnt seinen Kommentar mit dem Weißbuch von 1985, das die Grundzüge des Europäischen Binnenmarkts beinhaltet und betont die zu Beginn optimistische Sichtweise. In Folge zieht der Wirtschaftswissenschafter eine Bilanz aus heutiger Sicht: Es gibt Regelungen und Standards, die längere Zeit für Stabilität gesorgt haben. Die Probleme, die mit der Finanzkrise kamen, waren aber vorhersehbar und wurden auch von WissenschafterInnen im Vorfeld diskutiert. Das Risiko einer Auflösung der Eurozone hätte man von Anfang an schmälern können, durch stärkere Forcierung der Harmonisierung der Regelungen in den Ländern. Dies kam jedoch erst mit der Krise, durch die eine realistischere Sichtweise entwickelt wurde.

Sowohl in der Pause als auch am Ende der gut besuchten Veranstaltung gab es noch die Möglichkeit, am Buffet weitere Argumente und Standpunkte über die Eurozone auszutauschen und die herrliche Aussicht der Sky Lounge am Standort Oskar-Morgenstern-Platz der Universität Wien zu genießen. Im Bild v.l.n.r.: Corinna Wegscheider und Whitney Kathryn Isaacs vom Institut für europäische Integrationsforschung, Franz Nauschnigg und Institutsleiterin Gerda Falkner. (Text und Fotos: Brigitte Pircher / Institut für europäische Integrationsforschung der Universität Wien)