Der Dies Academicus 2019 im Rückblick (Teil 1)
Redaktion (uni:view) | 13. März 2019In besonderer Atmosphäre im neu renovierten Großen Festsaal feierte die Uni Wien ihren 654. Gründungstag mit der Verleihung von vier Doktoraten "sub auspiciis" durch Bundespräsident Van der Bellen und dem Ehrendoktorat an Chemie-Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn.

Rektor Heinz W. Engl begrüßt die zahlreichen Gäste, die sich am 12. März im frisch renovierten Großen Festsaal einfinden, um die Gründung der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis zu feiern und den "Promotio sub auspiciis Praesidentis rei publicae" sowie der Verleihung des Ehrendoktorats an Chemiker und Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn beizuwohnen.

"Die wissenschaftlichen Verdienste der vier PromovendInnen stehen stellvertretend für exzellente wissenschaftliche Leistungen vieler WissenschafterInnen unserer Universität", erklärt Rektor Engl. Als Universität sei es wichtig, die Öffentlichkeit über die Leistungen in Forschung und Lehre zu informieren. "Für uns bedeutet das, aktiv und bewusst Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen, in deren Auftrag Universitäten arbeiten", so Engl. Ein Beispiel dafür ist die Semesterfrage der Universität Wien, die aktuell

Als "eindrucksvoll" lobt Laudator Andreas Rhoby die Dissertation von Krystina Kubina am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, die er gemeinsam mit Claudia Rapp betreute: "Das war eine Freude und Bereicherung". Kubina hat ihren Master in Late Antique and Byzantine Studies an der Universität Oxford abgeschlossen – "sie war die beste Studentin, die ich je hatte", habe einer ihrer Lehrenden aus Oxford Andreas Rhoby verraten.

Kubinas Doktorarbeit zu Manuel Philes und der gesellschaftlichen Relevanz von Gedichten im Konstantinopel des 14. Jahrhunderts wurde durch ein uni:docs-Stipendium der Uni Wien gefördert. Nun führt die junge Spitzenforscherin ihre Arbeit zur Dichtung im späten Byzanz als Hertha-Firnberg-Stelleninhaberin an der ÖAW weiter. Im Bild v.l.n.r.: Bundespräsident Alexander Van der Bellen, "sub auspiciis"-Doktorandn Krystina Kubina, Rektor Heinz Engl und Dekan der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät Sebastian Schütze.

Ebenfalls am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik und bei Claudia Rapp und Stavroula Konstantinou dissertierte "sub auspiciis"-Kandidat Christodoulos Papavarnavas; die Laudatio hält stellvertretend Maria Stassinopoulou, die u.a. seine fokussierte, disziplinierte Herangehensweise sowie sichtliche und hörbare – "sein über die Gänge am Institut deutlich vernehmbares Lachen" – Freude am Forschen hervorhebt.

Papavarnavas promovierte über die literarische Darstellung des Gefängnisses als Schwellenraum in den früh- und mittelbyzantinischen Märtyrerakten. Aktuell arbeitet er im ERC-Projekt "The Cult of Saints" an der Uni Oxford mit; sein Habilitationsprojekt will er dem Thema Askese widmen. Auch er erhält den Ehrenring der Republik Österreich und seine Promotionsurkunde durch Bundespräsident Van der Bellen, Rektor Engl und Dekan Schütze.

Nikolaus Ritt hält die Laudatio auf Andreas Baumann, der in seiner historisch-sprachwissenschaftlichen Forschungsgruppe am Institut für Anglistik und Amerikanistik zum Thema "Modeling the eco-evolutionary dynamics of phonotactics: cognitive, linguistic, and non-linguistic determinants" promovierte, aber eigentlich Angewandte Sprachwissenschaft und Mathematik studiert hat: "Ihm ist es gelungen, drei Fächer sinnvoll in Beziehung zu setzen, die auf den ersten Blick nur entfernt etwas miteinander zu tun haben", das Ergebnis sei "mehr als die Summe seiner Teile".

Baumann nutzte mathematische Methoden für sprachgeschichtliche Fragestellungen und brachte damit laut Ritt die ganze Forschungsgruppe voran. Heute ist er als Data Scientist im Bereich Künstliche Intelligenz tätig und ein bei den Studierenden sehr beliebter externer Lehrender an der Uni Wien – im Bild nach der zeremoniellen Verleihung des Doktortitels "sub auspiciis" mit Alexander Van der Bellen, Heinz Engl und Wilfried Datler, dem Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft.

Tatjana Thelen betreute die Doktorarbeit von Christof Lammer am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie und schwärmt in ihrer Laudatio von der "stets produktiven Zusammenarbeit". Schon für seine Diplomarbeit forschte Lammer, der auch Sinologie studiert hat, zu einem Projekt ländlicher Entwicklung in der chinesischen Provinz Henan; seiner Dissertation "Performing State Boundaries: A Stategraphy of Citizen Participation in China" liegt eine 15-monatige ethnographische Feldforschung in der Provinz Sichuan zugrunde – finanziert durch selbst organisierte Stipendien und Scholarships.

"Christof Lammer hat mich beeindruckt", so Thelen, die besonders Lammers Leidenschaft für den wissenschaftlichen Dialog und seinen Beitrag zur allgemeinen Theoriebildung hervorhebt. Lammers wissenschaftliche Karriere führt ihn nun ans Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung der Uni Klagenfurt. Auch er erhält den Ehrenring aus der Hand des Bundespräsidenten, es gratulieren Rektor Engl und Zentrumsleiter Arnold Baca.

"Ursprünglich wollte er eigentlich Philosophie studieren. Zum Glück hat er sich dann doch für die Chemie entschieden", leitet Bernhard Keppler, Dekan der Fakultät für Chemie, seine Laudatio für den heutigen Ehrengast, den französischen Chemiker und Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn, ein. Im Weiteren stellt er den beeindruckenden wissenschaftlichen Lebenslauf des heute 79-jährigen sowie seine Verbindungen zur Universität Wien heraus, die auch dunkle Seiten haben: Die Großmutter von Lehns Ehefrau Sylvie Lehn, die ebenfalls unter den heutigen Ehrengästen ist, war Schwester des Physikers Karl Przibram und des Zoologen Hans Przibram, beide Brüder waren Professoren an der Universität Wien. Der Nationalsozialismus unterbrach ihre wissenschaftliche Karriere; Hans Przibram wurde im KZ Theresienstadt ermordet. Karl Przibram überlebte, kehrte 1946 an die Uni Wien zurück und leitete das 2. Physikalische Institut.

Jean-Marie Lehn bekam 1987 für die "Entwicklung und Verwendung von Molekülen mit strukturspezifischen Wirkung von hoher Selektivität" gemeinsam mit Donald J. Cram und Charles J. Pedersen den Nobelpreis für Chemie verliehen. Er gilt als Wegbereiter der Supramolekularen Chemie, die sich mit dem gezielten Aufbau von großen Molekülen und neuen Materialien aus kleinen Einheiten beschäftigt und ist Gründer des Institut de science et d’ingénierie supramoléculaires (ISIS), Universität Straßburg. In seiner Dankesrede stellt er die Bedeutung der Chemie in unserem Leben heraus und betont den Stellenwert wissenschaftlicher Ausbildung. "Man muss den Mut haben, sich den Herausforderungen zu stellen", sagt der Empfänger des diesjährigen Ehrendoktorats der Universität Wien.

Im Bild der Geehrte mit Bundespräsident Van der Bellen, Rektor Engl – "die Verleihung eines Ehrendoktorats stellt auch eine Ehrung für die Universität dar, nämlich dadurch, dass Professor Jean-Marie Lehn dieses auch annimmt" – und Dekan Bernhard Keppler, dessen Fakultät Lehn für das Ehrendoktorat vorgeschlagen hat. Jean-Marie Lehn hielt am Vorabend des Dies Academicus einen gut besuchten öffentlichen Vortrag zum Thema "Stufen zum Leben: Chemie!", ebenfalls im Großen Festsaal (zum Fotonachbericht in uni:view).

Stellvertretend für die "sub auspiciis"-DoktorandInnen 2019 hält Krystina Kubina eine pointierte und kritische Dankesrede, die auch Bundespräsident Van der Bellen im Anschluss als ausgezeichnet bezeichnet. Bezugnehmend auf das berühmte Bernhard von Chartres-Gleichnis von den Zwergen auf den Schultern von Riesen bedankte sie sich bei BetreuerInnen, akademischen LehrerInnen, KollegInnen, FreundInnen und Familie als wichtigen Teil des "Riesen".

Um sicher zu sitzen und weit zu sehen, brauche es auch Zeit und Muse – die v.a. jungen WissenschafterInnen, die trotz hoher Qualifikation häufig in prekären Verhältnissen leben und arbeiten, in der heutigen Zeit aber fehle. Sie appelliert an Politik und Universität, gute Bedingungen für ForscherInnen und ein Klima der Offenheit zu schaffen, in dem u.a. Nationalität, Geschlecht und Religion keine sozialen Ausschlusskriterien sind. "Nur wer offen ist für andere, kann auch offen sein für Neues".

Unterhaltsam geht der Festakt und damit der Vormittag und erste Teil des Dies Academicus 2019 mit einer lebendigen Ansprache von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu Ende. Anlässlich der Renovierung des Großen Festsaals lässt er die turbulente Geschichte der Klimt-Fakultätsbilder Revue passieren und gratuliert der Uni Wien zum guten Ergebnis im letzten Uni-Ranking. Ob außer Engl und den heute ausgezeichneten DoktorandInnen noch weitere "sub auspiciis"-AbsolventInnen anwesend seien? Er selbst sei keiner und gratuliere den vier "sub auspiciis"-DoktorandInnen umso mehr zu dieser "unvorstellbaren Leistung".

Besonders hebt Van der Bellen auch die organisatorischen Leistungen hervor, die hinter deren Forschungen stehen, aber auch die Unterstützung durch Familie und Freundeskreis. Zu jedem Dissertationsthema fällt ihm eine Anekdote ein; die "Promotio sub auspiciis Praesidentis rei publicae" bezeichnet er aber auch als "österreichische Eigenart", im 17. Jh. eingeführt, damals noch – "wer weiß es? Latein?" – als "Promotio sub auspiciis Imperatoris". Am Nachmittag des Dies Academicus 2019 geht es weiter mit der Verleihung der Bank Austria-Forschungspreise und der Stipendien des uni:docs Förderprogramms sowie dem Science Talk mit mit ERC Starting PreisträgerInnen und Marie Skłodowska-Curie Fellows. (Fotos: © Robert Harson)