Daten sind das neue Öl
Redaktion (uni:view) | 08. November 2013Warum Daten das Erdöl des 21. Jh. sind und internationale Konzerne emsig danach bohren, wie es nach dem EU-Beschluss zur Novellierung der Datenschutzregeln weitergeht und weshalb Europa eine starke IT-Branche braucht – das wurde am Mittwochabend, 6. November, an der Universität Wien diskutiert.

Universität Wien im Gespräch über Datenschutz: Am Podium und mit dem interessierten Publikum – darunter u.a. viele Publizistik- und Informatikstudierende der Universität Wien – diskutieren (v.l.n.r.) der Rektor der Universität Wien Heinz W. Engl, die Social Media-Expertin Katharine Sarikakis vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, der Kurier- und Futurezone-Redakteur Patrick Dax (Moderator der Veranstaltung), der Datenschutzaktivist und Dissertant der Universität Wien Max Schrems, der Datenschutzexperte Daniel Ennöckl vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht sowie der Informatiker Gerald Quirchmayr von der Forschungsgruppe Multimedia Information Systems.

Warum die Universität Wien eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Web 2.0 is watching you: Was machen Facebook, Google und Co. Mit unseren Daten?" organisiert? "Wir haben nicht nur zahlreiche ExpertInnen zum Thema im Haus, die sich damit in Forschung und Lehre beschäftigen – einige davon sitzen heute am Podium – sondern als eine der größten Universitäten Europas auch die Verantwortung und Verpflichtung, bei aktuellen gesellschaftsrelevanten Fragen mitzudiskutieren und unsere Expertise zur Verfügung zu stellen", so Rektor Engl. Im Laufe des Abends erzählt der Mathematiker u.a., dass die NSA in den USA der größte Arbeitgeber für Mathematiker sei. Obwohl es sichere Verschlüsselungstechniken gebe, seien – durch Bestechungen – viele Jahre lang bewusst Schlupflöcher in Softwareprogramme eingebaut worden.

"Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts", sagt Max Schrems – der Datenschutzaktivist, der 2012 sein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien abgeschlossen hat, gründete die Initiative "Europe vs facebook", die Facebook dazu bringen will, das EU-Datenschutzrecht einzuhalten. Zuletzt hat die Studentengruppe die irische Datenschutzbehörde geklagt, als diese die Bearbeitung einer Beschwerde gegen "Facebook Irland" – das für Facebook außerhalb der USA und Kanada zuständig ist und Daten von Europäern in die USA übermittelt – verweigerte. Dabei stellte die Gruppe u.a. die Safe Harbor-Entscheidung der EU, die den Datenexport in die USA regelt, in Frage. Facebook sei aber nur ein Beispiel unter vielen: Unsere Daten – das "wertvolle Öl" – werden eifrig von den verschiedensten internationalen Unternehmen gesammelt. Welchen "Motor" das Öl antreiben soll – also was mit unseren Daten tatsächlich passiert –, sei dabei oft noch gar nicht klar: "nicht nur den UserInnen, sondern auch den Datensammlern selbst", so Schrems.

Am 21. Oktober hat die EU beschlossen, die Datenschutzregeln zu novellieren – die derzeit gültigen Datenschutzregeln gehen auf das Jahr 1995 zurück. "Das Grundproblem ist, dass die Datenschutzrichtlinie davon ausgeht, dass Daten an einem Ort gespeichert werden und dadurch dem nationalen Gesetz unterliegen – das ist heute illusorisch", so Experte Daniel Ennöckl von der Abteilung Wirtschaftsrecht des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien. Es brauche einen globalen Ansatz. Der Beschluss des zuständigen Parlamentsausschusses – dessen "geistige Mutter" EU-Justizkommissarin Viviane Reding ist – geht nun in die Verhandlungsphase mit Parlament und Ministerrat, wo Widerstände erwartet werden. "Das heißt, jetzt kommen die Bremsen", so Ennöckl. Sollte die Reform nicht bis Mai kommenden Jahres "auf Schiene sein" – im Juni 2014 wird ein neues EU-Parlament gewählt – prognostiziert Ennöckl einen Verzögerungseffekt oder gar das Einschlafen der so wichtigen Neuregelung.

Katharine Sarikakis, Professorin für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, wirft einen sozialwissenschaftlichen Blick auf das Thema "Privacy". Es gehe nicht nur um den Schutz von Daten, sondern auch um den Schutz und die Steuerung von persönlicher Autonomie, persönlichen Informationen, persönlichem Besitz und persönlichem Raum. Zwar habe sich die Definition von "privat" und "öffentlich" verändert – nicht aber der Wert, der der Privatsphäre beigemessen wird. Junge Menschen möchten ihre "Öffentlichkeit" selbst kontrollieren können, so Sarikakis. "Die Privatsphäre ist entscheidend für Demokratie und Menschenwürde: jeder Mensch darf ungestört nachdenken, erwägen, sich eine Meinung bilden und sie ändern, sich etwas vorstellen, träumen, Fehler machen, bereuen und neu anfangen. Privacy auf 'Data' zu reduzieren ist irreführend", so die Expertin. Es brauche echte "Do-not-track"-Technologien, damit BürgerInnen nicht einen Teil ihrer Freiheit verlieren – wozu eben auch das Recht auf Anonymität und Unvorhersehbarkeit gehöre.

Gerald Quirchmayr, der stv. Leiter der Forschungsgruppe Multimedia Information Systems an der Fakultät für Informatik, blickt hinter die Kulissen der Datenkonzerne. Social Media und Suchmaschinen sind ihm zufolge nur die Spitze des Eisbergs. "Die Datensammelwut ist unbegrenzt", sagt der Professor, weist auf die "Vernetzungsproblematik" hin und sieht einen "gewaltigen Handlungsbedarf für Juristen". Hat man seine Daten einmal "in die Cloud geschickt", sei es nahezu unmöglich, sie wieder zurückzuholen. Quirchmayr sieht eine wichtige Strategie darin, die europäische IT-Industrie zu stärken, um Europas Unabhängigkeit zu gewährleisten. Man müsse sich durch technologischen Fortschritt gegen Abhöraktionen schützen. Auch sei es wichtig, Brücken aus der Forschung in die Wirtschaft hinein zu schlagen – denn in der IT-Forschung sei Europa vorne mit dabei.

Das hochaktuelle Thema lockt: Der Festsaal ist vollbesetzt. Während auf dem Podium Sozialwissenschafterin Sarikakis unter anderem über das menschliche Bedürfnis nach Vernetzung spricht, das von den globalen Konzernen ausgenutzt wird, sind viele der jungen ZuhörerInnen dabei, das Gehörte in ihre Smartphones zu tippen. Ein Storify auf dem Blog der Universität Wien zeichnet den spannenden Abend in Web 2.0-Manier nach und zeigt eine Chronologie der parallelen Diskussion auf Twitter und Co. Wer die Podiumsdiskussion im Detail nachverfolgen will – im Laufe des Abends wurden u.a. die Themen NSA-Affäre, "Safe Harbor"-Abkommen, die Unterbesetzung der Österreichischen Datenschutzkommission, das Recht auf Vergessen bzw. Löschen und die Chancen einer Öffnung sozialer Netzwerke besprochen – findet ab Anfang kommender Woche einen Video-Mitschnitt der Veranstaltung auf der Website der Universität Wien und im uni:view Magazin. (red)
Den Videomitschnitt der Podiumsdiskussion "Universität Wien im Gespräch" vom 6. November 2013 zum Thema: "Web 2.0 is watching you: Was machen Facebook, Google und Co mit unseren Daten?" finden Sie demnächst auf der Website der Universität Wien, im Magazin uni:view sowie auf den Social Media-Kanälen der Universität Wien.