Am 15. Mai fanden sich Forschende, Studierende und Interessierte an der Universität Wien ein, um zu hören, wie sich Rektor Heinz W. Engl, BM Reinhold Mitterlehner, ERC-Präsident Jean-Pierre Bourguignon und Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt die Zukunft der österreichischen Forschung vorstellen.
Trotz Regen und vorgerückter Stunde ist der Große Festsaal der Universität Wien gut gefüllt, als die TeilnehmerInnen der Diskussion "Universität Wien im Gespräch" am 15. Mai ihre Plätze am Podium einnahmen: links Rektor Heinz W. Engl und Wissenschafts- und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, in der Mitte Moderatorin Martina Salomon, stv. Chefredakteurin des Mitveranstalters "Kurier", sowie rechts ERC-Präsident Jean-Pierre Bourguignon und die Vorständin des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung Ulrike Felt, die künftige Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften.
Die erste Frage von der Moderatorin geht an den Minister: Konnten die Bedenken in Österreich nach der Zusammenlegung der Ministerien für Wirtschaft und für Wissenschaft und Forschung zerstreut werden? Ja, so Mitterlehner, denn es sei nicht nur ein symbolischer Schachzug gewesen, in der Bezeichnung des Ministeriums die Wissenschaft vor die Wirtschaft zu reihen. Es herrsche ein gutes Miteinander und die "Pflichtprogramme sind erfüllt", sagt der Bundesminister und betont die Autonomie der Universitäten.
Auch Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt hat an sich keine Bedenken, was die Ressort-Zusammenlegung betrifft, merkt aber an, dass diese zu einem Zeitpunkt passiert sei, als unter den österreichischen ForscherInnen und Fördergebern sehr wohl ein Gefühl des Notstands herrschte. Es sei sicherzustellen, "dass der Standort ausreichend gefördert und Räume für die Grundlagenforschung zur Verfügung gestellt werden".
Sei es nicht eher ein Problem in Österreich, dass zu wenige Fördermittel direkt aus der Wirtschaft in die Forschung fließen, fragt die stv. Kurier-Chefredakteurin weiter. Das verneint der Bundesminister und nennt erfolgreiche Beispiele, wie die über 70 Christian-Doppler-Labors in Österreich. Sehr wohl sei dieser Bereich ausbaufähig, z.B. sind "schöne Finanzierungsformen" wie Venture Capital oder Business Angels in Österreich noch nicht so etabliert.
Einer der vielen Diskussionspunkte des Abends ist die Themenvorgabe bei vielen Förderprogrammen. Zum EU-Rahmenprogramm "Horizon 2020" meint der Rektor der größten heimischen Universität, es sei notwendig, schnell eine Strategie zu entwickeln. Der Ausbau fachorientierter Netzwerke sei nicht mehr ausreichend. "Die Naturwissenschaften müssen mit den Geistes- und Sozialwissenschaften eng vernetzt werden, damit wir gut vorbereitet in den Startlöchern stehen", so Engl und nennt als Beispiel die Forschungsplattform "Life Science Governance" der Universität Wien, die sich fächerübergreifend mit Governance in den Bereichen Biotechnologie, Bio-Medizin, Molekularbiologie und Genomforschung sowie den sich daraus ergebenden Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzt.
Ulrike Felt bringt das Thema Ausbildung in die Diskussion über die Zukunft der Forschung ein: "Wir möchten nicht nur forschen, sondern auch ausbilden, und es ist nicht gerade einfach, diese beiden Bereiche zu verknüpfen." Sie begrüßt "den Schwenk des EU-Rahmenprogramms", gibt aber zu bedenken, dass es zwar wichtig sei, sich den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart zu widmen, aber es sei auch das Verhältnis zwischen fokussierten Förderprogramme mit thematischen Vorgaben zu Förderungen für Blue Skies Research zu bedenken. "Wir müssen nachhaltige Wissensökologien bauen", sagt sie.
Auch Rektor Engl betont die Bedeutung der Lehre für die Zukunft der Forschung – der Grundstein für die erfolgreiche wissenschaftliche Karriere werde schon im Bachelor-Studium gelegt – und ist mit Ulrike Felt einer Meinung, dass es sowohl programmorientierte als auch "Blue Skies"-Forschung brauche. Bundesminister Mitterlehner verweist in Bezug auf das Thema Balance zwischen Forschung und Lehre auf die Autonomie der Universitäten, die Betreuungsverhältnisse durch Studieneingangsphasen und Aufnahmeverfahren zu verbessern.
ERC-Präsident Bourguignon gibt zu bedenken, dass längerfristige Forschung durch die kurzen Förderzeiten schwierig sei. "Wenn man schon im nächsten oder übernächsten Jahr eine neue Stelle suchen muss, muss man eine Arbeit machen, die schon im nächsten Jahr fertig ist." Er betont die Wichtigkeit der Schaffung langfristiger Stellen für ForscherInnen, wie es die ERC-Grants ermöglichen. Ansonsten würden NachwuchswissenschafterInnen Europa verlassen: "Es gibt Länder wie Korea, die aggressiv gute Forscher suchen." Er ortete eine allgemeine Tendenz in Europa, die Zahl der Dauerstellen zu senken. "Das führt zu mehr Unsicherheit in der Wissenschaft."
Aus dem Publikum wird u.a. das Thema Nachwuchförderung in die Diskussion eingebracht: Wenn es ein gewaltiges Defizit an der Universität gäbe, dann im Bereich Nachwuchsförderung, sagt Andreas Schwarz, Vorstand des Instituts für Geschichte: "Welche Perspektiven bieten wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs?" und bezieht sich auf die noch nicht ausreichend vorhandenen Tenure-Track-Stellen.
Hans Georg Feichtinger vom Institut für Mathematik verweist u.a. auf das Problem der Kettenvertragsregelung. "Diese Regelung legt uns viel zu enge Fesseln an", pflichtet Rektor Engl bei. Wenn nach Ablauf der möglichen Befristung keine entsprechende unbefristete Stelle frei sei, müsse der oder die Mitarbeiterin die Universität verlassen. Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner betont, dass man sich der Problematik bewusst sei. "Wir schauen uns derzeit gemeinsam mit dem Sozialministerium an, ob wir das anders gestalten können."
Ein Problem für JungwissenschafterInnen bestehe darin, dass sie erst zu einem im internationalen Vergleich sehr späten Zeitpunkt eine Chance auf eine Dauerstelle bekommen, so Rektor Engl weiter. Im angloamerikanischen Tenure-Track-System erhalte man als Jungforscher relativ bald die Perspektive auf eine Daueranstellung.
An der Universität Wien sei man derzeit dabei, ein ähnliches System zu etablieren, erklärt der Rektor dem zahlreich erschienenen Publikum: "Wir stoßen dabei aber quantitativ an eine Grenze. Die Stellen müssen ja von irgendwoher kommen." Dem pflichtet Mitterlehner bei: "Wenn ich ein Tenure-Track-Modell etablieren will, brauche ich mehr Stellen und Mittel." Von der Tendenz und Systematik her strebe man das auch an.
Ulrike Felt konstatiert hier eine Pendelbewegung: Früher hätten sich Institute oft jahrzehntelang nicht verändert. Heute sei es das andere Extrem. Es gehe aber nicht darum, dass die Universitäten nur mehr Dauerstellen einrichten sollen. "Das Problem ist nicht, dass wir zirkulieren, sondern dass wir nach Zwangszeiten zirkulieren." Für die Zukunft der Forschung in Österreich wünscht sich die künftige Dekanin der Fakultät für Sozialwissenschaften u.a., dass Österreich auch die Sozial- und Geisteswissenschaften so gut aufstellt, dass "vermehrt auch ForscherInnen dieser Disziplinen mit ihren ERC-Grants zu uns kommen".
In den Naturwissenschaften ist dies bereits gelungen. Österreich sei sehr erfolgreich dabei, gute Leute anzulocken, betont Jean-Pierre Bourguignon: "109 ERC-Projekte sind in Österreich angesiedelt, davon 71 unter der Leitung von Nicht-ÖsterreicherInnen", so der ERC-Präsident, im Bild mit Nuno Maulide, der seinen ERC-Starting-Grant an die Fakultät für Chemie der Universität Wien mitgebracht hat.
Mathematiker Engl und Wissenschaftsforscherin Felt sind einer Meinung, dass attraktive Karrieremodelle ein wichtiger Anziehungsfaktor für internationale SpitzenforscherInnen sind. Auch für die erfolgreiche Bewerbung um ERC-Grants sei es wichtig, dass NachwuchsforscherInnen früh Erfahrungen im Bereich Gruppenleitung und Betreuung sammeln können, so Felt. Auch haben junge WissenschafterInnen nicht die gleichen Möglichkeiten im Bereich Mobiliät wie ProfessorInnen. Hier sei die Universität auf einem guten Weg, versichert Rektor Engl. Derzeit sei man etwa in Abschlussgesprächen zum Thema Sabbaticals für junge WissenschafterInnen.
Viele spannende Themen für einen kurzen Abend: Da viele für die Mitglieder der österreichischen Universitätslandschaft wichtige Fragen im Rahmen der Podiumsdiskussion nur kurz angeschnitten werden konnten, ...
... wurde im Anschluss an den offiziellen Teil im Großen Festsaal noch zum informellen Austausch bei einem kleinen Empfang geladen.
Während vor den Fenstern der Universität Wien ein Platzregen niederging, wurde im Kleinen Festsaal bei Wein und Brötchen noch lange über die Zukunft der österreichischen Forschung weiterdiskutiert. (red)
Den Videomitschnitt der Podiumsdiskussion "Universität Wien im Gespräch" vom 15. Mai 2014 zum Thema "Wissenschaft der Zukunft - Zukunft der Wissenschaft: Ist Österreich auf dem richtigen Weg?" finden Sie unter Webstreams .