Neuer Masterstudiengang verbindet Wirtschaft und Philosophie

Studierende

Im Wintersemester 2019/20 geht der MA Philosophy and Economics in seine erste Runde. uni:view sprach mit Studiengangsleiter Felix Pinkert über Schwerpunkte im Studium, Voraussetzungen und Anmeldeverfahren sowie Zukunftsperspektiven für AbsolventInnen.

uni:view: Im kommenden Wintersemester startet der neue MA Philosophy and Economics. Wieso braucht es ein Masterstudium an der Schnittstelle von Philosophie und Wirtschaft?
Felix Pinkert: Bei vielen aktuellen gesellschaftlichen Problemen treffen Philosophie und Wirtschaft aufeinander. Zum Beispiel stellt uns das Problem zunehmender Wohnungsnot in Großstädten vor ökonomische Fragen: Warum gibt es Knappheit an Wohnungen in vielen Großstädten? Welche Auswirkungen können wir von politischen Eingriffen wie Wohnungsbauförderung oder Mietregulierung erwarten? Zugleich fordert dieses Problem auch eine dringliche Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit und zum guten Leben: Wie sieht gutes, gelingendes Leben – als Person und als Stadt – aus? Welche Immobilien, welchen Wohnungsmarkt und welche Stadtplanung braucht es dafür?

Um Probleme wie Wohnungsnot ganzheitlich lösen zu können, braucht es also Expertise in gleich drei Bereichen: Kenntnis der besten wirtschaftswissenschaftlichen Methoden und Modelle, Fähigkeit zur philosophischen Analyse und Argumentation und Integration beider Bereiche. Studierende im MA Philosophy and Economics erwerben genau diese Dreifachexpertise. Zudem bieten wir den Studiengang auf Englisch an, mit dem Ziel, internationale Studierende nach Wien zu holen. Die StudentInnen können so zusätzlich durch ihre unterschiedliche Herkunft und unterschiedlichen Erfahrungen mit Wirtschaft voneinander lernen. Auf diese Weise können sie ein kulturell vielfältigeres und umfassenderes Verständnis von Wirtschaft bekommen.

Interessierte aufgepasst:
Die nächste Infoveranstaltung zum MA Philosophy and Economics rund um Inhalte und Zulassungsbedingungen findet am 6. März 2019 um 15.00 Uhr im Hörsaal 2i (NIG, 2. Stock) statt. Mehr Informationen

uni:view: Philosophie und Wirtschaft – wie passt das zusammen?
Pinkert:
Ganz hervorragend! Und zwar durch gegenseitige Ergänzung. Nehmen wir ein Beispiel: PhilosophInnen sind darin geübt, darüber nachzudenken, wie unsere Gesellschaft idealerweise aussehen sollte – man erinnere sich nur an Platos Gesellschaftsentwurf in "Der Staat". Eher weniger gut sind PhilosophInnen darin, auch realistische Vorschläge zu machen – der Legende nach verärgerten Platos Ideen den Tyrannen Dyonysius von Syrakus derart, dass dieser ihn in die Sklaverei verkaufte. ÖkonomInnen hingegen spezialisieren sich auf das Modellieren und Verstehen wirtschaftlichen Handelns einzelner und komplexer wirtschaftlicher Interaktion vieler Menschen. Davon können wir lernen, wie Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert, wie wir unserem idealen Gesellschaftsbild näherkommen können und welche politischen Vorschläge eher nach hinten losgehen würden.

Zudem haben beide Fächer einander ergänzendes zur Entscheidungstheorie zu sagen. Etwa dazu, was rationales Handeln ausmacht oder wie wir mit Problemen kollektiven Handelns wie Trittbrettfahrertum umgehen können. Und zuletzt: Philosophische WissenschaftstheoretikerInnen verhelfen uns zu einem tieferen und kritischeren Verständnis davon, wie Ökonomie als Wissenschaft funktioniert oder funktionieren sollte. Das kann ÖkonomInnen helfen, kritischer, reflexiver und kreativer Ökonomie zu betreiben. Um das gut zu können, müssen PhilosophInnen aber auch erst einmal Ökonomie verstehen – genau das bietet der MA Philosophy and Economics.

uni:view: Mit welchen Fragestellungen und Themen werden sich die Studierenden im Laufe des MA Philosophy and Economics beschäftigen?
Pinkert:
Studierende beschäftigen sich mit drei großen Themengebieten: Das Beispiel Wohnungsmarkt gehört in den Themenbereich "Ethik, Wohlfahrt, und Gerechtigkeit". Hier geht es um Fragen wie: Was ist ethisch gutes Wirtschaften? Wie sollten wir die Interessen zukünftiger Generationen in der Gestaltung von Wirtschafts-, Finanz- und Umweltpolitik berücksichtigen? Nimmt wirtschaftliche Ungleichheit zu, und wenn ja, ist das ungerecht?

Im Themenbereich "Rationalität und Entscheidung" geht es darum, menschliches Entscheiden zu verstehen und zu unterstützen, durch Integration ökonomischer Entscheidungstheorie, empirischer Verhaltensforschung und philosophischer Rationalitätstheorie: Warum handeln Menschen nicht ideal rational? Wie sollten wir bei Situationen extremer Unsicherheit entscheiden, z.B. bei der Entwicklung neuartiger Technologien oder Eingriffen in die Umwelt? Können Gruppen von Menschen selbst rational Handelnde sein?

Im Themenbereich "Philosophie, Geschichte, und Methodologie der Wirtschaftswissenschaften" untersuchen wir die Wirtschaftswissenschaften aus wissenschaftstheoretischer und ideengeschichtlicher Perspektive: Wie funktionieren ökonomische Modelle und wann helfen bzw. wann hindern sie uns, Wirtschaft zu verstehen und Wirtschaftspolitik zu gestalten? Woher kommen die Annahmen aktueller wirtschaftswissenschaftlicher Theorien, wie haben Menschen früher über Wirtschaft gedacht und welche Alternativen haben wir, Wirtschaft zu verstehen?

MA Philosophy and Economics im Überblick
Abschluss: Master of Arts (M.A.)
Umfang: Vier Semester, 120 ECTS
Sprache: Englisch
Ende der Bewerbungsfrist: 30. April für das Wintersemester im gleichen Jahr

uni:view: Welche Voraussetzungen müssen Studierende erfüllen, um zugelassen zu werden?
Pinkert:
Studierende müssen zum Wintersemester 2019/20 einen BA oder gleichwertigen Abschluss in einem relevanten Fach erworben und mindestens 15 ECTS bzw. ein halbes Semester Lehrveranstaltungen in Philosophie und in Ökonomie absolviert haben. In Frage kommen natürlich BA Abschlüsse in Philosophie und Wirtschaftswissenschaften, aber sofern die 15 ECTS Voraussetzung erfüllt ist, können prinzipiell AbsolventInnen aller Fächer aufgenommen werden. Als Teil der Bewerbung machen BewerberInnen deutlich, wie ihr bisheriges Studium sie auf Philosophy and Economics vorbereitet. Studierende müssen zudem Englischkenntnisse auf Niveau B2 nachweisen.

uni:view: Wie ist der Masterstudiengang aufgebaut?
Pinkert:
Im ersten Semester belegen Studierende abhängig von ihrer Vorbildung disziplinäre Grundlagenkurse in Philosophie und Volkswirtschaftslehre. Dazu kommen zwei speziell für Philosophy and Economics angebotene interdisziplinäre Seminare, die einen Überblick über die drei Themengebiete geben und wichtige Fähigkeiten zur interdisziplinären wissenschaftlichen Arbeit vermitteln. Im zweiten Semester belegen Studierende Grundlagenmodule zu allen drei Themengebieten von Philosophy and Economics. Im dritten Semester können sich Studierende frei spezialisieren. Im zweiten und dritten Semester wählen Studierende zudem speziell für den Studiengang angebotene Seminare, in denen bestimmte Forschungsthemen vorgestellt werden. Im vierten Semester schreiben Studierende ihre Masterarbeit, stellen ihre Forschung im interdisziplinären Philosophy and Economics Master-Kolloquium vor und verteidigen ihre Arbeit in einer Defensio.

uni:view: In welchen Arbeitsbereichen können Studierende nach Absolvierung des Masters tätig sein?
Pinkert:
AbsolventInnen des Studiengangs haben eine einzigartige Kombination aus analytischen und kommunikativen Fähigkeiten sowie integrierten Kenntnissen aus Philosophie und Wirtschaftswissenschaften. Sie sind daher interessant für internationale, europäische, nationale und regionale öffentliche Institutionen, z.B. Zentralbanken, Wirtschaftsministerien, regionale Wirtschaftsförderung und Stadtentwicklung. Politische Parteien, NGOs, und ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenverbände sind ein weiteres Betätigungsfeld, z.B. als ReferentIn zu Wirtschafts- und Ethikfragen. AbsolventInnen sind durch die Integration von analytisch-mathematischen Modellen der Volkswirtschaftslehre mit sprachlich-argumentativen Methoden der Philosophie auch besonders gut für eine Tätigkeit im Journalismus vorbereitet. In privatwirtschaftlichen Unternehmen können sie in der Unternehmens- und Strategieberatung sowie im Bereich der Corporate Social Responsibility und Corporate Governance tätig werden. Und schließlich können Studierende natürlich auch eine akademische Laufbahn einschlagen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(hm)

Felix Pinkert hält seit Wintersemester 2018/19 die Tenure-Track Professur für Philosophie und Wirtschaft an der Universität Wien und ist Studiengangsleiter des neuen MA Philosophy and Economics. Er forscht im Bereich Ethik und Politische Philosophie, insbesondere zur Klima- und Wirtschaftsethik. Zuvor lehrte er an der Universität Oxford und Universität Warwick im Studiengang Philosophy, Politics, and Economics. (© Universität Wien)