Die Universität Wien und das werdende Staatsgebilde "Österreich"

Historiker Thomas J.J. Wallnig widmet seine Einheit der Jubiläumsringvorlesung den einschneidenden Reformen des Bildungswesens unter Maria Theresia – sie regierte von 1740 bis zu ihrem Tod 1780 – und unter ihrem Sohn Joseph II.

Welches Wissen für welche Macht?

In der Frühen Neuzeit entwickelten sich die traditionellen Spannungsfelder rund um die Universität – Stadt, Kirche, Hof – unter neuen Gegebenheiten weiter. Die konfessionelle Spaltung des christlichen Europas nach der Reformation prägte auch die Bildungslandschaft, indem protestantische Universitäten wie Wittenberg oder katholische Universitäten wie Ingolstadt auch zu konfessionspolitischen Orientierungspunkten wurden. Gleichzeitig erlebten die frühmodernen Staaten seit dem 16. Jahrhundert einen Schub an administrativer Verdichtung, sodass immer mehr Bedarf an fachlich geschultem Personal bestand.


Die Universität Wien feiert 2015 ihr 650-Jahre-Jubiläum. Im Wintersemester widmet sich eine eigene Ringvorlesung der Geschichte der ältesten Universität im deutschsprachigen Raum: "Die Wiener Universität 1365-2015. Tradition als Innovation und Ort der Begegnung" LV-LeiterInnen: Marianne Klemun und Martin Scheutz.
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Mit der "Pragmatischen Sanktion" von 1623, erlassen von Kaiser Ferdinand II., wurden an der Universität Wien dem recht jungen Orden der Jesuiten weitreichende Vollmachten eingeräumt. Damit erhielt auch in Wien die sekundäre und tertiäre Bildung das einheitliche Gesicht der ratio studiorum, des 1599 verlautbarten jesuitischen Lehrplans. Wie die Gesellschaft Jesu selbst, so hatte auch dieses Curriculum viele Gegner, die mit dem beginnenden 18. Jahrhundert an Gewicht und Macht zunahmen: Zur Unzufriedenheit adeliger Kreise mit der traditionell scholastisch dominierten Ausbildung kam der Widerstand anderer religiöser Gemeinschaften, etwa der Benediktiner, die den Jesuiten ihre Vormachtstellung streitig machen wollten – und schließlich das, was als institutioneller Rahmen des Bildungswesens bis heute fortdauert: der werdende Staat.

Reform oder Revolution?

Somit sind die einschneidenden Reformen des Bildungswesens unter Maria Theresia – sie regierte von 1740 bis zu ihrem Tod 1780 – und unter ihrem Sohn Joseph II. (1765/80–1790) im Kontext der gleichzeitig durchgeführten Verwaltungs- und Staatsreformen zu sehen. Es wurden neben der Universität neue, "zielgruppenorientierte" Bildungsinstitutionen gegründet, etwa die Militärakademie, die Orientalische Akademie oder das Josephinum; die universitären Curricula wurden den fachlichen Gegebenheiten der Zeit angepasst, wobei in diesem Prozess eine besondere Rolle dem aus den Niederlanden stammenden kaiserlichen Leibarzt Gérard van Swieten zukam. Der Jesuitenorden wurde aufgelöst und verboten; aber auch der eigenständige Rechtstatus der Universität selbst wurde beseitigt und die Zensur endgültig an den Staat gezogen. Im Gegenzug wurde nun an den Universitäten Wissen (re-)produziert, das man für den Staat und das Gemeinwesen als nützlich betrachtete. Der Pool an Schlagwörtern, den die Bewegung der Aufklärung dafür lieferte – vom "Nutzen" über das "Gemeinwohl" bis zum "Fortschritt" – spielte dabei eine wesentliche Rolle.

Der Staat greift nach der Bildung, die er heute nicht mehr haben will

Es war dies der Moment, in welchem das ausgreifende, sich zentralisierende Staatswesen sich, hauptsächlich im Widerstreit mit kirchlichen Institutionen, jenes Monopol auf Bildung aneignete, das er heute wieder loszuwerden versucht; viel von der nationalstaatlichen wissenschaftspolitischen Agenda des 19. und 20. Jahrhunderts hat genau hier ihren Ursprung. Ihr Verhältnis zur vormodernen Universität versteht man nur, wenn man diesen Griff des Staates nach dem Wissen ins Auge fasst.

Mag. Dr. Thomas J.J. Wallnig, MAS leitet seit 2008 am Institut für Geschichte der Universität Wien das FWF-Start-Projekt "Monastische Aufklärung und die Benediktinische Gelehrtenrepublik".