Das neue Haus am Ring – Die Renaissance trifft das 19. Jahrhundert

Im achten Beitrag zur Ringvorlesung "Die Wiener Universität 1365-2015" fragt Kunsthistorikerin Julia Rüdiger nach den funktionellen und repräsentativen Anforderungen, die ein neues Universitätsgebäude in Wien zur Mitte des 19. Jahrhunderts erfüllen musste.

Das "Haus" einer Universität ist immer mehr als eine Behausung. Natürlich bietet es das Dach, unter dem geforscht und gelehrt wird. Doch vor allem ist es der Ort der realen Begegnung unter Lehrenden und Studierenden, also der Raum, in dem die Gemeinschaft, die universitas, überhaupt entstehen kann. So wird die Architektur selbst zum Identifikationsraum der Institution.

Dabei sind die Ansprüche, die von den verschiedenen Mitgliedern der Auftraggeber-Kommission an die möglichen Architekten gestellt werden, keineswegs einheitlich oder konstant. Der analytische Blick auf das 1884 eröffnete Hauptgebäude am Ring macht deutlich, welches (Selbst-)Verständnis der Universität sich hier widerspiegelt bzw. mit welchen Idealen sich die Gemeinschaft identifizieren sollte.

Standortsuche

Eine Rückkehr der potentiell aufständischen Studenten nach der Revolution von 1848 in die historisch belastete Neue Aula, als Ort des Mordkomplotts gegen den Kriegsminister Latour, war ausgeschlossen. So beschloss Kaiser Franz Josef im Mai 1854 den Neubau eines Universitätsgebäudes. Doch bis zur Eröffnung im Oktober 1884 sollte die Alma Mater Rudolphina noch weitere 30 Jahre ohne Zentrum bleiben.

Da die Medizinische Fakultät während der provisorischen Unterbringung besonders von der Nähe zum Allgemeinen Krankenhaus profitierte, beauftragte der Unterrichtsminister im April 1854 die beiden Akademie-Professoren Eduard van der Nüll und August von Sicardsburg mit der Erstellung eines Universitätsentwurfs für eine Baulücke direkt bei der Schwarzspanierkirche. Auf diesem repräsentativen Bauplatz hätte die Hauptfassade der neuen Universität direkt über das Glacis zum Schottentor geblickt. An eine Aufgabe der Befestigungsanlagen und des unverbaubaren Glacis dachte zu diesem Zeitpunkt noch niemand.


Die Universität Wien feiert 2015 ihr 650-Jahre-Jubiläum. Im Wintersemester widmet sich eine eigene Ringvorlesung der Geschichte der ältesten Universität im deutschsprachigen Raum: "Die Wiener Universität 1365-2015. Tradition als Innovation und Ort der Begegnung" LV-LeiterInnen: Marianne Klemun und Martin Scheutz.
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Das ansteigende Gelände des Glacis vor dem Schottentor wollte sich jedoch im Jahr darauf ein anderer Architekt für seinen Monumentalbau zu Nutze machen. Der erst 26-jährige Schüler von Sicardsburg und Van der Nüll, Heinrich von Ferstel, hatte den Wettbewerb um die Votivkirche gewonnen und er wollte seinen Entwurf für diesen staatstragenden Bau zur besten Sichtbarkeit direkt auf diesem Terrain errichten.

Ganz im Sinne des von Thun-Hohenstein angestrebten "katholischen Charakter" der Universität einigten sich die drei Architekten zunächst auf eine architektonische Verbindung von Universität und Kirche, bei der das Hauptgebäude einen Kranz um den Chor des Sakralbaus gebildet hätte. Doch auch diese civitas universitatis kam nicht zustande. Und das gesamte Bauvorhaben stagnierte wieder bis 1868, als schließlich Heinrich von Ferstel selbst mit Vorarbeiten für den Neubau beauftragt wurde.

Ferstel und der Palast der Wissenschaften

Doch auch Ferstel gelang auf dem unregelmäßigen Baugrund nicht auf Anhieb eine ästhetisch gelungene Kombination der beiden Institutionen. Erst mit der Aussicht auf den repräsentativen Platz direkt an der Ringstraße ab 1869 stürzte sich Ferstel mit neuer Begeisterung in die Planung, um nun der Universität ein angemessenes Bauwerk im Kontext der Prachtallee zu errichten. Während sich die ersten Skizzen stilistisch noch an den beiden Nachbarbauten Parlament und Rathaus orientierten, zielte der zweite Entwurf auf einen wuchtigen Monumentalbau, der sich ganz dezidiert auf Renaissance-Vorbilder bezog.

Die wenigen erhaltenen Akten zur Stildebatte offenbaren, dass das Gebäude vom Grundriss über den Stil bis zur Ausstattung das Selbstverständnis einer deterministischen Wissenschaftsauffassung, die am Ende einen "Sieg des Lichts über die Finsternis" versprach. So bemühte sich Ferstel, den Lichtgedanken in Architektur und Dekoration deutlich zu machen und gab dieses Thema auch für den Festsaal vor. Doch als um 1894 die Künstler Franz Matsch und Gustav Klimt mit dieser Aufgabe betraut wurden, mündete dies in einem der größten Kunstskandale des 20. Jahrhunderts, da sich zumindest Klimt bereits ein ganzes Stück von der Wissenschaftsauffassung des 19. Jahrhunderts entfernt hatte.

Der Blick auf die lange Planungs- und Baugeschichte des Hauptgebäudes macht deutlich, wie sich die funktionellen und repräsentativen Ansprüche an das "Haus" der Alma Mater Rudolphina in einem ständigen Wandel befinden und wie der Architekt Ferstel versuchte, diesen gerecht zu werden.

Mag. Dr. Julia Rüdiger ist am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien im dort laufenden Forschungsprojekt "Ge(l)ehrte Köpfe" tätig.