Judith Maria Rollinger: Altes Kräuterwissen neu einsetzen

Heilende Kräfte aus Naturstoffen nutzbar machen und altes "Kräuterwissen" mit modernen pharmazeutischen Ansätzen verknüpfen: Die Pharmakognostin Judith Maria Rollinger ist seit Oktober 2014 Professorin an der Universität Wien, wo sie den noch unbekannten bioaktiven Naturstoffen auf der Spur ist.

"Etwas, was gut ist gegen Keuchhusten und schlimme Füße und Bauchschmerzen und Windpocken und wenn man sich eine Erbse in die Nase gebohrt hat …" Da der Apotheker so ein Allheilmittel nicht auf Lager hat, mixt sich Astrid Lindgrens Kinderbuchheldin Pippi Langstrumpf ihre "Medusin" einfach selbst zusammen. Diese Geschichte von der Suche nach der perfekten Medizin habe sie immer schon fasziniert, erinnert sich Judith Rollinger schmunzelnd. Heute ist die gebürtige Vorarlbergerin Professorin für Pharmakognosie/Pharmazeutische Biologie an der Universität Wien, wo sie zwar nicht nach einem Allheilmittel sucht, dafür aber nach "bioaktiven Naturstoffen".

Der Reiz der Pharmazie

Ursprünglich wollte Judith Rollinger Biochemie studieren. "Mir wurde geraten, zuerst Medizin, Biologie oder Chemie zu wählen – ich hab mich aber für Pharmazie entschieden, da dieses Fach viele dieser Wissensgebiete optimal kombiniert: Ein schönes Sammelsurium naturwissenschaftlicher Fächer." Nach ihrem Studium an der Universität Innsbruck startete sie ihre wissenschaftliche Karriere ebendort – und wurde nebenbei auch ihrer zweifachen Mutterrolle gerecht: "Ich bin mit dieser Doppelaufgabe gewachsen und habe gelernt, zu organisieren und sehr effizient zu arbeiten."

Seit Oktober 2014 lehrt und forscht sie nun am Department für Pharmakognosie: "Durch das exzellente Forschungsumfeld und die lange Tradition dieses Fachbereichs hat die Universität Wien für mich einen ganz speziellen Reiz", so die Pharmakognostin.


Aufgrund des hohen Stellenwerts der Pharmakognosie an der Universität Wien freut sich Judith Rollinger besonders, ihre Antrittsvorlesung im Rahmen des Symposiums "111 Jahre Institut für Pharmakognosie an der Universität Wien" zu halten. "Wobei es den Fachbereich an der Universität Wien noch viel länger gibt: Wien war immerhin die Keimzelle der Pharmakognosie." Die Historie wird unter anderem Thema des Symposiums am 21. Jänner sein.



Bioaktivitäten aufspüren

Pharmakognosie ist die Lehre biogener, sprich pflanzlicher oder tierischer, pharmazeutischer Drogen, Arzneimittel und Giftstoffe. "Es ist ein sehr weiter Bereich, der sich mit diversen Aspekten der Naturstoffforschung befasst", erklärt Rollinger.

Ob bei Pflanzen, Mikroorganismen, Pilzen oder anderen Organismen, die Sekundärmetaboliten produzieren (bekannte sekundäre Stoffwechselprodukte sind u.a. Antibiotika): Es geht darum, nicht nur die Wirtsorganismen selber zu untersuchen, sondern auch die Inhaltsstoffe von Heilmitteln zu isolieren und zu identifizieren. "Der Frage nachzugehen, wie diese der Gesellschaft dienen könnten – sprich Bioaktivitäten aufspüren – das ist meine Hauptkompetenz, mit der ich mich hier in Wien einbringen möchte", betont die Pharmakognostin. Dafür verknüpft sie volksmedizinisches und phytochemisches (pflanzenchemisches) Wissen mit computerunterstützten Ansätzen.
 
Jahrhundertealtes Wissen aufgreifen

Von Kamille über Lindenblüten bis hin zur Weidenrinde: "Naturstoffe haben in der Menschheitsgeschichte schon immer eine große Rolle gespielt. Auf dieses Wissen jahrhundertelanger Anwendung möchte ich in meiner Forschung zurückgreifen", betont die Wissenschafterin. Das Besondere an Naturstoffpräparaten: Sie enthalten hunderte Verbindungen, die potentiell an unseren Zielproteinen interagieren können. Doch die genauen molekularen Mechanismen zu eruieren und zu erkennen, wo und was genau passiert, ist eine große Herausforderung. "Wir kennen nur einzelne 'Spots' und setzen diese wie Puzzlestücke zusammen. Wie diese Stoffe in ihrer Gesamtheit wirken, bleibt oft ein Rätsel", erklärt die Professorin.

Brücke zwischen Empirie und Theorie schlagen

Im Vergleich zu synthetischen Arzneistoffen haben Naturstoffe den großen Vorteil, dass sie häufig auf verschiedene Zielproteine unseres Körpers als sogenannte 'multi-target' Verbindungen gleichzeitig wirken. Zwar verfügen sie oft nicht über die Potenz synthetischer Stoffe, modulieren aber das gesamte System auf eine Weise, die zur Gesundung beiträgt, ohne einen Rezeptor oder ein Zielprotein komplett zu blocken.

Sind nun aber bestimmte Inhaltsstoffe in ihrer Vielzahl aktiver als einzeln? Oder gibt es einzelne Naturstoffe, die potent genug sind, um als Leitstruktur für die Entwicklung von Arzneistoffen zu dienen? Das sind Fragen, denen Judith Rollinger gemeinsam mit ihrer Forschungsgruppe nachgehen will. Und zwar durch den "Brückenschlag zwischen Empirie und Theorie".


Eine Auszeit vom Alltag nehmen und Zeit mit ihrer Familie verbringen: Dafür sucht die sympathische Professorin mit dem Vorarlberger Akzent gerne die heimischen Berge auf. "Indem ich ab und zu einen Gang runterschalte und dem Körper Gutes tue kann ich z.B. Kopf- oder Rückenschmerzen gut vorbeugen", ist die Pharmakognostin überzeugt.



Am Ball bleiben

"Die Augen offen halten, vernetzt denken, sich ständig weiterbilden, innovativ sein – aber gleichzeitig das Handwerk nicht verlernen": Diesen Rat gibt die Professorin Studierenden und jungen WissenschafterInnen mit auf den Weg. "Denn Pharmazie ist eine sehr schnelllebige Wissenschaft – ständig kommen neue Arzneistoffe auf den Markt: Daher ist es wichtig, am Ball zu bleiben." Ihren Studierenden versucht Rollinger möglichst viele Anknüpfungspunkte zur Forschung zu bieten. "Sie sollen am Forschungsbetrieb hautnah teilhaben können: Denn das Geheimnis einer neuen, bioaktiven Verbindung zu lüften, ist ein schönes und motivierendes Erlebnis."

Als Privatperson sucht Rollinger für "schöne Erlebnisse" gerne die Tiroler Berge auf – sei es zum Skifahren oder zum Wandern. "Herausfinden, was einem guttut, und auf den Körper hören" – die Pharmakognostin versucht, "alles prophylaktisch auf die Reihe zu kriegen und neben einer 'Grundausrüstung' auf Medikamente zu verzichten", weshalb ihr Arzneischränkchen recht leer steht. "Das funktioniert natürlich nicht immer, aber wer auf die Alarmzeichen seines Körpers hört, kann sich viel 'Medusin' sparen", sagt sie. (ps)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Judith Maria Rollinger, Professorin für Pharmakognosie/Pharmazeutische Biologie am Department für Pharmakognosie der Fakultät für Lebenswissenschaften, hält am 21. Jänner 2015 um 18 Uhr ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Leitstruktursuche aus der Natur – Brückenschlag zwischen Empirie und Theorie" im Großen Festsaal der Universität Wien. Die Antrittsvorlesung findet im Rahmen des Symposiums "111 Jahre Institut für Pharmakognosie an der Universität Wien" statt.