Johannes Platschek: Ein Fall für die Römer

Die Begeisterung für alte Quellen mit der Rechtslehre verbinden: Über die Antike führt Johannes Platschek seine Studierenden an zeitgemäße juristische Methoden und die "Liebe am Fall" heran. Der gebürtige Münchner ist seit Februar 2012 Professor für Römisches Recht an der Universität Wien.

Nachdem das Römische Recht im Frühmittelalter in Vergessenheit geraten war, griffen es italienische Juristen um 1050 wieder auf – daraus entstand in Bologna die bedeutendste Rechtsschule und gleichzeitig erste Universität Europas. "Das Privatrecht hat heute noch eine starke historische Dimension – indem wir seine Rezeption bis in die Antike zurückverfolgen, bekommen wir eine klarere Vorstellung davon", erklärt Johannes Platschek vom Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte: "Im Römischen Recht liegen die ersten Bausteine des Privatrechts übersichtlich nebeneinander."

Die antiken Rechtsschriften enthalten aber noch viele unentdeckte Geheimnisse. Deshalb untersucht der Jurist unter anderem die Institutionen des Gaius sowie die "Digesten" mit detektivischem Spürsinn: "Für diese Sammlung gab der oströmische Kaiser Justinian seinen Juristen den Auftrag, die alten Werke römischer Rechtsgelehrter dem aktuellen Rechtszustand anzupassen. Worin diese Textveränderungen – Interpolationen – bestehen, ist eine zentrale Fragestellung der römischen Rechtsgeschichte."

Alte Schriften neu entdecken

Die alten Quellen wecken die detektivische Ader des Juristen: "Ich schlage eine bestimmte Handschrift auf und versuche nachzuvollziehen, wie sie seit Jahrhunderten gelesen worden ist. Oft folgt dann die Erkenntnis: Der Text wurde zum Teil falsch interpretiert." Da die Schriften bereits vor Justinian eine gewisse Historie hinter sich hatten, sind die Digesten heute ein Konglomerat aus Text-Eingriffen und zufälligen Fehlern: "Beim Abschreiben haben sich Fehler eingeschlichen, Pergament war löchrig oder unleserlich und Abkürzungen wurden falsch aufgelöst", so Platschek, der versucht, dieses "Fehlerknäuel" zu entwirren: "Anhand von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen nähern wir uns dem originalen Text." Sprich: Stolpert der Forscher über Stellen ohne grammatikalischen Zusammenhang, falsche Sprachformen, offensichtliche Verkürzungen oder andere "Merkwürdigkeiten", so heißt das meist: An dieser Stelle hat das Original vermutlich anders ausgesehen.


Die Digesten wurden Ende 533 n. Chr. von Kaiser Justinian in Konstantinopel als geltendes Recht verkündet. Justinian ließ für die Digesten (lat. digesta, "Geordnetes") alte römische juristische Schriften – großteils aus dem 2. und 3. Jh. n. Chr. – zusammentragen und veränderte die Originale, indem er u.a. Kürzungen vornehmen ließ. "Ungebetene Gäste in den Digesten" ist Thema der Antrittsvorlesung von Johannes Platschek am 15. November: "Die ungebetenen Gäste sind hier Personennamen, die ursprünglich keine solchen waren – ein anschauliches Beispiel für Überlieferungsfehler." Bild: Fünfzig Bücher der Digesten. Lyon bei Guillaume Rouillé, 1571, Biblioteca Comunale Renato Fucini di Empoli (FI). Einladung zur Antrittsvorlesung (PDF)



Zeitlose Dogmatik


Rechtswissenschaft und Geschichte: Für die Lehre im Römischen Recht ist beides erforderlich. "Und es ist schön, die beiden Fächer zu verbinden", betont Platschek, der die Arbeit mit alten Quellen besonders spannend findet. "Aufgrund der Überlieferungsprobleme müssen wir an die alten Texte – und deren zeitlose juristische Dogmatik – historisch herangehen."

Dabei ist der Quellenbestand im Römischen Recht keineswegs statisch – es kommen immer wieder neue Quellen wie Papyri, Wachstafeln, Inschriften auf Bronze oder Stein hinzu. "Wien ist in dieser Hinsicht von besonderer internationaler Bedeutung: Die an der Österreichischen Nationalbibliothek untergebrachte Papyrussammlung zählt mit 180.000 Objekten zu den größten der Welt", betont der neue Professor. Darunter befinden sich vor allem Dokumente und Vertragsurkunden aus der römischen Provinz Ägypten.

Wie die alten Römer

Kern seiner Lehrveranstaltungen ist jedoch nicht die Papyrologie – immerhin fühlt sich Platschek in erster Linie der Rechtslehre verpflichtet: "Es ist mein Anliegen, mit den Studierenden Rechtsgespräche zu führen und den einzelnen Fall in den Mittelpunkt zu stellen. Auch die alten römischen Juristen in den Quellen sind in einer ständigen Diskussion über den Fall", so Platschek.

Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch – kurz AGBG – ist wie ein Lehrbuch für angehende Rechtsgelehrte im alten Rom aufgebaut: Von den Vertragsgrundsätzen über Eigentum, vom Verschuldungsprinzip bis hin zum Grundsatz von Treue und Glaube – der bekannten "bona fides" – ist im geltenden Recht heute noch viel Römisches Recht vorhanden. Wie diese Übernahme aus der Antike funktioniert hat, vermittelt Johannes Platschek heute seinen Studierenden an der Universität Wien. "Das Römische Recht als historisches Zentrum der Rechtswissenschaft eignet sich aber auch sehr gut, um die Studierenden an die Arbeit mit dem Fall heranzuführen und ihnen juristische Methoden nahezubringen", ergänzt der Jurist.

Liebe zum Fall

Von der wertvollen Tradition, Jus-Studierende über diesen Weg mit dem Privatrecht vertraut zu machen, sei man in Deutschland leider etwas abgekommen. "An der Universität Wien hat mich vor allem gereizt, dass dem Römischen Recht so viel Platz im Curriculum eingeräumt wird", so der gebürtige Münchner, der zuvor an der Universität Göttingen geforscht und gelehrt hat. Dem juristischen Nachwuchs rät er: "Das komplette wissenschaftliche Angebot an der Universität als einmalige Gelegenheit nutzen und Liebe zum Fall entwickeln." Dieser sei nun mal Zentrum der juristischen Praxis – sowohl im Hör- als auch im Gerichtssaal. (ps)

Univ.-Prof. Dr. Johannes Platschek vom Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte hält am Freitag, 15. November 2013, um 17 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "Ungebetene Gäste in den Digesten".