Hans Schelkshorn: "Eine kritische Perspektive für das Hier und Heute"

Porträt von Hans schelkshorn im Arkadenhof er Universität Wien

Religion muss philosophisch reinterpretiert werden, findet Hans Schelkshorn, und hat dafür Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart parat. Der Professor für Christliche Philosophie hält am 29. Jänner seine Antrittsvorlesung an der Universität Wien.

uni:view: Philosophie und Christentum in der globalen Moderne – können Sie eine Vorschau auf Ihre Antrittsvorlesung geben?
Hans Schelkshorn:
Es geht um die komplexen Beziehungen und "schmerzvollen Konflikte" zwischen Philosophie und Christentum, die die europäische Geistesgeschichte zutiefst geprägt haben. Das Christentum hat sich bereits sehr früh auf die Philosophie eingelassen, in der Folge kam es jedoch immer wieder zu gegenseitigen "Übermächtigungen". Einerseits ist das frühe Christentum als "wahre" Philosophie mit Offenbarungsanspruch aufgetreten, andererseits kam es zu Aufhebungen der christlichen Religion durch die Philosophie. Im Laufe der Zeit entstanden auch differenziertere Sichtweisen: Thomas von Aquin beispielsweise hat bereits im Mittelalter versucht, eine Balance zwischen Religion und Philosophie zu finden. Da die philosophischen Gottesbegriffe, etwa von Platon und Aristoteles, mit der biblischen Tradition nicht kongruent sind, entstand in der Theologie zuweilen auch eine fatale Polemik gegen die Philosophie als solche. Auch heute sind die Fronten zwischen Religion und Vernunft wieder verhärtet. Von Religionen wird daher von säkularer Seite gefordert, ihre Dogmatismen und Gewaltpotentiale durch eine philosophische Selbstaufklärung zu entschärfen. Zugleich scheint jedoch in der Gegenwartsphilosophie eine "christliche Philosophie" ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

uni:view: Sie machen mit Ihrer Professur für Christliche Philosophie dieses "unmögliche Ding" möglich – wo verorten Sie Ihre Forschung?
Schelkshorn:
Ich sehe mein Denken an der Schnittstelle zwischen einer säkularistischen Philosophie, die Religion nur noch als Relikt einer vergangenen Epoche wahrnimmt, und religiösen Bewegungen, die heutzutage oftmals in einem antimodernistischen Dogmatismus verharren. Die Fragen der Religion können nicht einfach abgelegt werden; denn sie sind mit dem Menschsein selbst gegeben. Die Antworten der Religionen müssen jedoch in jeder Zeit philosophisch re-interpretiert werden. Daraus können äußerst fruchtbare Konstellationen zwischen Philosophie und Religion entstehen. So haben sich Mitte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Menschenrechtsbewegungen mit einem eindeutig religiösen Hintergrund gebildet, beispielsweise Mahatma Gandhi und Martin Luther King. Aber auch die UN Deklaration der Menschenrechte ist das Ergebnis eines interkulturellen, und auch interreligiösen Prozesses.

Hans Schelkshorn ist Teil von "Religion and Transformation in Contemporary Society" (RaT). Das interdisziplinäre Forschungszentrum vereint Wissenschafter*innen aus sieben Fakultäten und 14 Disziplinen. RaT erforscht die Beziehung von Religion, Religiosität und Transformationsprozessen im gegenwärtigen globalen Kontext (zum uni:view-Artikel) (© RaT)

uni:view: Sie beschäftigen sich mit der interkulturellen Philosophie – was verbirgt sich hinter dieser Denkrichtung?  
Schelkshorn:
Die interkulturelle Philosophie stellt klar, dass Philosophie kein Monopol Europas ist, sondern in verschiedenen Kulturen entstanden ist und unterschiedliche Denkformen hervorgebracht hat. Daher gibt es heute in den verschiedenen Weltregionen auch völlig unterschiedliche philosophische Deutungen der Moderne. Für lateinamerikanische Philosophien, die den Beginn der Moderne meist mit der Entdeckung Amerikas datieren, ist die Moderne folglich nicht bloß ein "Aufbruch der Vernunft", sondern zuallererst eine Phase exzessiver kolonialer Gewalt. Zugleich ist im 16. Jahrhundert auch eine radikale Kritik am Kolonialismus erwacht. In Santo Domingo löste 1511 eine Predigt von Antonio de Montesinos, in der die Gewalt der Kolonialherren angeprangert wurde, eine jahrzehntelange Kolonialdebatte aus. In dieser Zeit legte die "Schule von Salamanca" die ersten Grundlagen für globalethisches Denken und globale Solidarität, die zu einer Säule neuzeitlicher Ethik geworden sind.

uni:view: Inwiefern ist Ihre Forschung heute "aktuell"?

Schelkshorn:
Auch wenn ich viel historisch arbeite, hat meine Forschung stets das Ziel, eine kritische Perspektive für das Hier und Heute zu entwickeln. Zum Beispiel erheben die neorechten Bewegungen aktuell den Anspruch, das christliche Abendland zu verteidigen und legen ihrer Politik einen völkischen Nationenbegriff zu Grunde – das steht im Widerspruch zum Christentum. Schon Hegel deutete die Menschenrechte als Säkularisierung der universalistischen Ethik des Christentums; in dieser Frage stimme ich Hegel im Blick auf Europa zu; die Idee universaler Menschenwürde ist allerdings keine exklusiv europäische oder christliche Errungenschaft. Dass die Neue Rechte im Namen christlicher Politik die Menschenrechte bekämpft, empfinde ich als absurd. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, den akademischen Raum phasenweise zu verlassen und sich in die breite Öffentlichkeit einzubringen. Insbesondere zum Thema Rechtspopulismus und Christentum publiziere ich regelmäßig Artikel und halte Vorträge, um direkt mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. (Zum uni:view Beitrag "Neue Rechte, Demokratie und Christentum")

Hans Schelkshorn studierte Theologie, Klassische Philologie und Philosophie an der Universität Wien und an der Universität Tübingen. Er ist Mitarbeiter am Forschungszentrum "Religion and Transformation in Contemporary European Society" und seit 2016 Vorstand am Institut für Christliche Philosophie der Universität Wien.

uni:view: Was konnten Sie aus Ihrer Studienzeit an der Universität Wien mitnehmen?   
Schelkshorn:
Am Institut für Philosophie habe ich die Diversität genossen und auch beim Theologiestudium gibt es eine enorme Perspektivenvielfalt. Die europäische Philosophie lässt sich aber nicht ohne die antike Philosophie studieren und dazu werden Sprachkenntnisse gebraucht: Ich habe also Griechisch und die Alten Sprachen gelernt. Als Dissertant hatte ich dann das Privileg, mit zentralen Gestalten der Gegenwartsphilosophie zusammenzuarbeiten, etwa Karl-Otto Apel oder Enrique Dussel.

uni:view: Passend zu Ihrem Schwerpunkt Lateinamerika haben Sie mehrere Forschungsaufenthalte in Mexiko verbracht. Was haben Sie dort erlebt?

Schelkshorn:
So einiges! Einen bewaffneten Überfall von Pistoleros während meines ersten Besuches 1991 (lacht). Ich bin danach noch viele Male nach Mexiko gereist und habe Denkschulen kennengelernt, die in Europa gar nicht gelehrt werden, für die Auseinandersetzung mit Lateinamerika aber fundamental sind. Das waren wertvolle Lernprozesse. Und ich habe den lateinamerikanischen Tanz für mich entdeckt – Salsa ist die beste Medizin!

univ:view: Was geben Sie Studierenden heute mit auf den Weg?
Schelkshorn:
Die Zeit des Studiums ist einmalig, nie wieder kann man sich so intensiv mit Themen auseinandersetzen. Ich kann nur empfehlen, diese Zeit so intensiv wie möglich zu nutzen. Auch wenn die Umstände das manchmal erschweren – ich selbst erinnere mich an meine erste Dissertation. Ich habe Mini-Jobs angenommen und verbrachte anfangs auch viel Zeit zu Hause, um mich um unseren Sohn zu kümmern. Das war herausfordernd, auch für meine Frau. Dennoch habe ich das Leben mit meiner Familie stets als eine wichtige Erdung für mein Philosophieren gesehen.

uni:view: Vielen Dank für das Gespräch!
(hm)

Univ.-Prof. Mag. Dr. Dr. Johann Schelkshorn ist Professor für Christliche Philosophie. Am Mittwoch, 29. Jänner 2020, hält er um 18.30 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "Athen, Jerusalem, Santo Domingo. Philosophie und Christentum in der globalen Moderne".