Folker Hanusch: "Journalismus verändert sich aktuell enorm"

Guter Journalismus, schlechter Journalismus? Keine Frage für Folker Hanusch. Der Professor für Journalismus an der Uni Wien schaut sich die Kontexte hinter den Schlagzeilen an. Im Interview mit uni:view spricht er u.a. über seine Auswanderung nach Australien und die Veränderung des Journalismus.

uni:view: Herr Hanusch, was macht für Sie als Journalismusforscher guten Journalismus aus?
Hanusch:
Es ist schwer zu sagen "das ist guter Journalismus und das ist schlechter". Ich sehe mich als Beobachter, der versucht zu verstehen und zu erklären, und nicht als externer Begutachter. Journalismus existiert in vielen verschiedenen Formen und man muss ihn stets vor dem Hintergrund seiner unterschiedlichen Kontexte – wie dem nationalen oder kulturellen – betrachten. Als Forscher interessiert mich viel mehr, wie JournalistInnen Journalismus definieren. Wer hat die Deutungshoheit, wer sind die AkteurInnen und wer darf eigentlich entscheiden, was "guter" und was "schlechter" Journalismus ist?

uni:view: Sie haben Journalismus in Australien studiert. Was hat Sie damals dazu bewogen?
Folker Hanusch:
Nach dem Abitur habe ich zunächst in Deutschland eine Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann gemacht. Dabei lernte ich Australien kennen und lieben. Ich entschied mich dafür, nach Australien zu gehen und begann dort, Tourismus und Journalismus zu studieren. Wobei ich aber relativ schnell meine Begeisterung für den Journalismus entdeckt und das Touristikstudium abgebrochen habe. Nach dem Studium selbst war ich für ein paar Monate journalistisch tätig, bin dann aber wieder zurück an die Uni, um meine Dissertation zu schreiben.

Folker Hanusch lebte 17 Jahre lang in Australien. Dort kann es sein, dass einem Kängurus sogar am Universitätscampus begegnen. (© privat)

uni:view: In Ihrer Doktorarbeit haben Sie sich mit der Darstellung von Todesfällen in deutschen und australischen Medien beschäftigt. Was hat Sie an dem Thema interessiert und was haben Sie herausgefunden?
Hanusch:
Diese Arbeit war wegweisend für meine Forschungskarriere. Ich befasse mich mit Dingen im komparativen Sinne, auch durch meine persönliche Vita: Die Auswanderung von Deutschland nach Australien und jetzt von dort nach Österreich. Ich fand es spannend zu erforschen, warum über manche Todesfälle in der Auslandsberichterstattung stärker berichtet wird als über andere. Ich konnte sehen, dass die Berichterstattung stark von der Kultur eines Landes beeinflusst wird. In der Journalismusforschung beschäftigen wir uns vor allem mit politischen und ökonomischen Faktoren. Mich interessiert aber vor allem auch der Einfluss kultureller Werte.

So habe ich zum Beispiel 2011 eine Studie zur Berichterstattung über das Erdbeben in Haiti durchgeführt, in der ich mehrere Länder miteinander verglichen habe. Es zeigten sich starke Unterschiede in der bildlichen Darstellung – abhängig davon, ob ein Land katholisch oder protestantisch beeinflusst ist. Medien in katholisch geprägten Ländern haben viel explizitere Fotos abgedruckt. Meine Erklärung dafür war, dass die Ikonographie des Katholizismus generell "blutiger" ist. Ich versuche, die Dinge in globaler Relation zu sehen. Das führte zu einer Forschungsfrage, die mich bis heute beschäftigt:  Wie kann man auf globaler Ebene neue Modelle entwickeln, um Journalismus zu verstehen?

uni:view: Sie waren an verschiedenen australischen Universitäten tätig. Seit August 2016 sind Sie nun Professor für Journalismus an der Universität Wien. Was waren Ihre Gründe, von Australien nach Wien zu gehen?
Hanusch:
Akademisch hat mich die derzeitige Ausrichtung des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft gereizt. Aktuell erhalten hier viele jüngere WissenschafterInnen Professuren. Zudem spielten bei der Entscheidung auch familiäre Gründe mit hinein. Ich habe 17 Jahre in Australien gelebt, meine Frau 14; auch unsere Kinder wurden dort geboren. Irgendwann kam der Wunsch auf, wieder nach Europa zu gehen, um den Kontakt zu den Großeltern zu vereinfachen, die ab einem gewissen Alter nicht mehr so lange Strecken fliegen können. Aber auch viele meiner wissenschaftlichen Netzwerke laufen in Europa zusammen, da der Zugang zur Journalismusforschung in Australien eher praxisorientiert ist, in Europa hingegen soziologisch geprägt ist.

Folker Hanusch betreibt in seiner Freizeit Triathlon: "Das ist meine Passion und ein guter Ausgleich zur Arbeit. Wenn ich keinen Sport mache, werde ich nach kürzester Zeit unzufrieden", lacht der gebürtige Deutsche. Nächstes Jahr nimmt er zum dritten Mal an einem Ironman-Triathlon Wettbewerb teil, diesmal in Klagenfurt. (© privat)

uni:view: Was begeistert Sie an der Journalismusforschung?
Hanusch:
Journalismus durchläuft aktuell eine fundamentale Transformation. Auch wenn es manchmal überhyped wird – Journalismus hat sich schon immer verändert –, passieren momentan sehr schnelle Veränderungen. Es gibt noch viele spannende Aspekte, die ich erforschen möchte. Ich liebe meinen Beruf, da er mir ermöglicht, kritisch, unabhängig und kreativ über Journalismus und Gesellschaften nachzudenken.

uni:view: Was möchten Sie Ihren Studierenden vermitteln?
Hanusch:
Ganz simpel: Kritisches Denken und kritische Reflexion über Journalismus. Ich möchte ihnen durch die wissenschaftliche Forschung Fähigkeiten mitgeben, die sie in ihren zukünftigen Berufen nutzen können.

uni:view: Sie haben u.a. eine Studie zu JournalistInnen-Bubbles auf Twitter gemacht, eine andere zum indigenen Journalismus in Australien. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist Lifestyle Journalismus. Die Vielfalt des Journalismus spiegelt sich auch in Ihrer Forschung – was reizt Sie an den Themen?
Hanusch
: Das Interesse für Lifestyle Journalismus hat ebenfalls mit meiner Vita zu tun, denn als ehemaliger Reiseverkehrskaufmann hat mich Reisejournalismus von Anfang an interessiert. Auf die Eingangsfrage zurückkommend: Diese Art von Journalismus wird häufig als "schlechter Journalismus" dargestellt, mit dem Argument, er sei viel zu abhängig von der Wirtschaft, sei nicht unabhängig etc. Auf der anderen Seite wird Lifestyle Journalismus vom Publikum stark konsumiert, hat also zumindest für die LeserInnen eine Relevanz. Daher müssen wir uns in der Forschung auch damit beschäftigen – und nicht nur mit den klassischen "Elitemedien".
 
Schaut man genauer hin, entdeckt man auch im Lifestyle Journalismus gesellschafts- oder politikkritische Aspekte. Um ein historisches Beispiel zu nennen: Die frühen Frauenseiten in Zeitungen wurden von den Chefredakteuren häufig eher milde belächtet. Dadurch hatten die verantwortlichen Journalistinnen gewisse Freiheiten, die sie an anderer Stelle nicht gehabt hätten. So haben sie mitunter sehr radikale Artikel veröffentlicht, u.a. über die Frauenbewegung, die auf diese Weise ein breites Publikum erreicht haben. Das sind wichtige Aspekte des Journalismus, die in der Forschung lange Zeit nicht beachtet wurden. Die Journalismusforschung öffnet sich diesbezüglich aber langsam. Mein Ziel ist es u.a., ein internationales Netzwerk zu Lifestyle Journalismus aufbauen.

uni:view: Vielen Dank für das Interview! (mw)

Folker Hanusch ist seit August 2016 Professor für Journalismus am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Am Mittwoch, 21. November 2018, hält er gemeinsam mit Sophie Lecheler (zum uni:view Porträt) um 17.30 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien seine Antrittsvorlesung zum Thema "More than Just News: Beyond the Boundaries of Political Communication and Journalism". Der Vortrag findet in englischer Sprache statt.