Christian Koller: "Globalisierung vermitteln"

Die Freude daran, sich in ein Problem frei vertiefen zu können, war eines der Motive für Rechtswissenschafter Christian Koller, sich für die Wissenschaft zu entscheiden. Seit Jänner 2016 hat er eine Professur am Institut für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien inne.

"Pragmatisch", sagt Christian Koller "war zunächst meine Wahl Rechtswissenschaften an der Universität Wien zu studieren. Dass er später in die Wissenschaft gehen würde und bis heute gerne an rechtswissenschaftlichen Problemen tüftelt, war ihm damals – im Jahr 2000 – noch nicht ganz klar. Heute zählen Zivilprozessrecht, europäisches Zivilverfahrensrecht und Schiedsverfahrensrecht zu seinen Forschungsschwerpunkten.

Meilenstein Moot Court

Ein wesentlicher Anstoß in Richtung universitäre Karriere war seine Teilnahme beim "Willem C VIS International Commercial Arbitration Moot Court": Bei diesem mittlerweile weit verbreiteten und renommierten internationalen Wettbewerb arbeiten Studierende an fiktiven Fällen und übernehmen den Part von Prozessparteien bei der finalen Schiedsgerichtsverhandlung. "Als ich beim Moot Court mitmachte, waren rund 200 Universitäten beteiligt und das 'Who is Who' der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit vertreten", erinnert sich der heutige Professor: "Das war unglaublich interessant. Da habe ich erst so richtig gemerkt, wie spannend es für mich ist, sich in ein juristisches Problem zu vertiefen." Koller und sein Team waren damals auch sehr erfolgreich, sie haben in fast jeder Kategorie einen Preis für die Universität Wien geholt.

Der Moot Court ebnete nicht nur Christian Kollers Weg in die Wissenschaft, auch seine Forschungsschwerpunkte rund um das Verfahrensrecht haben sich dadurch herauskristallisiert. "Es war eine sehr bewusste Entscheidung, an der Universität zu bleiben", so der Jurist: "Zunächst habe ich nebenbei auch in einer Kanzlei gearbeitet und so beide 'Welten' kennengelernt. Der Hauptgrund, mich schließlich ganz auf die akademische Laufbahn zu konzentrieren, war die Freiheit in der Wissenschaft, mir meine Themen ohne ökonomische Hintergedanken aussuchen und unabhängig bearbeiten zu können."

Christian Koller als Student bei der Teilnahme am Moot Court im Jahr 2005 (Foto: privat)

Wenn sich zwei streiten …

Dass die internationalen Schiedsgerichte durch die Diskussionen rund um TTIP und CETA derart ins schlechte Licht gerückt sind, findet Koller sehr bedauerlich, weil keine ausreichende Information vermittelt wird: "Die Entscheidung von Streitigkeiten durch SchiedsrichterInnen zählt historisch betrachtet zu den ältesten Formen der Streitbeilegung. Primär geht es darum, für beide Seiten ein neutrales Forum zu schaffen." In seiner Forschung beschäftigt sich Koller mit Fragen der Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, dabei handelt es sich vorwiegend um Schiedsgerichte, deren Zuständigkeit auf der Vereinbarung zwischen Privatunternehmen und daher nicht auf einem Investitionsschutzabkommen basiert.

Faire und unabhängige Bedingungen

"Internationale Schiedsgerichte sind aus unserer globalisierten Welt einfach nicht wegzudenken", sagt der Rechtsexperte und gibt ein anschauliches Beispiel dafür: "Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Ein österreichisches Unternehmen schließt einen Vertrag mit einem US-amerikanischen Unternehmen und es kommt in der Folge zu einem Rechtsstreit. Natürlich möchte das österreichische Unternehmen den Rechtsstreit nicht vor einem US-Gericht ausfechten, gleichzeitig kann ein Urteil von einem österreichischen Gericht in den USA nicht vollstreckt werden. Und genau hier kommt das internationale Schiedsgericht zum Einsatz."

Die Entscheidungen internationaler Schiedsgerichte können beinahe weltweit auf Grundlage der "New York Convention" aus dem Jahr 1958 vollstreckt werden. Private Unternehmen, die international agieren, treffen die Vereinbarung, dass im Streitfall Schiedsgerichte eingeschaltet werden. Dabei kann in der Regel jede Partei eine/n SchiedsrichterIn bestellen, die wiederum ein/en Vorsitzende/n wählen. "Durch die Wahlmöglichkeit kann ich mir ExpertInnen für das jeweilige Rechtsproblem als SchiedsrichterInnen aussuchen, auch die Sprache des Verfahrens steht zur Auswahl", so Koller: "Für beide Parteien also faire und unabhängige Bedingungen."

Vom Insolvenztourismus über mietrechtliche Streitigkeiten bis hin zum Beweisrecht


Ein Forschungsaufenthalt an der Universität Zürich im Rahmen eines Erwin-Schrödinger-Auslandstipendiums hat es Koller ermöglicht, seinen Schwerpunkt im internationalen Recht weiter auszubauen. Nach seiner Rückkehr an die Universität Wien widmete er sich zunächst Besonderheiten des nationalen Prozessrechts. "Bei der Lösung mietrechtlicher Fälle stellen sich mitunter auch im Verfahrensrecht sehr komplexe Rechtsprobleme", meint Koller.

Aktuell beschäftigt sich der Rechtswissenschafter mit dem internationalen und nationalen Insolvenzrecht und findet grenzüberschreitende Fälle besonders interessant. Was passiert, wenn Unternehmen mit Niederlassungen und Tochtergesellschaften in mehreren Ländern in Insolvenz gehen? Was bedeutet das zum Beispiel für den österreichischen Standort?

Hier kursiert derzeit das etwas sperrige Wort "Restschuldbefreiungstourismus". "In Österreich erlangen Privatpersonen mitunter erst nach sieben Jahren Schuldenfreiheit, in anderen europäischen Staaten gibt es dafür erheblich kürzere Fristen", erklärt Koller: "Kein Wunder, dass ein Anreiz besteht, den Wohnsitz zu wechseln. Hier entwickelt sich ein Wettbewerb der Rechtsordnungen, vor allem auch im Bereich der Unternehmensinsolvenz."

Lehrmeinungen kritisch hinterfragen

Last but not least war auch der Austausch mit den Studierenden ein wichtiger Grund für Kollers Weg in die Wissenschaft: "Ich finde die Arbeit mit den StudentInnen sehr bereichernd." Das Ziel, Faszination für das Fach zu vermitteln, steht bei ihm ganz oben: "Viele glauben zu Unrecht, dass Prozessrecht trocken ist – die Studierenden vom Gegenteil zu überzeugen und mit ihnen an konkreten Fällen zu arbeiten, macht mir Spaß. Besonders wichtig ist es mir, ihnen Globalisierung zu vermitteln, heute kann man Fälle nicht nur national denken." Und nicht alles für bare Münze zu nehmen, was in den Büchern steht, gibt er seinen StudentInnen auch mit auf den Weg: "Selbstständig denken und durchaus auch Lehrmeinungen hinterfragen gehört zur juristischen 'Toolbox'", so Koller.

Als Ausgleich zum Unileben schaut der Rechtswissenschafter, dass er zumindest einmal pro Woche zum Laufen kommt und geht, wenn es zeitlich möglich ist, auch gern in die Burg – praktisch, dass es von seinem Büro in der Schenkenstraße bis ins Burgtheater nur ein paar Schritte sind. (td)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Koller, Institut für Zivilverfahrensrecht, zum Thema "Wann ist etwas 'bewiesen'? Richterliche Überzeugung und Beweis im Zivilprozess" findet – gemeinsam mit der Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Franz Merli und Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Theodor Jaeger, LL.M. – am Mittwoch, 23. November 2016, um 18 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien statt.