Andrea Lehner-Hartmann: Religiöses Lernen in einer pluralen Gesellschaft

Wie muss ein Religionsunterricht an Österreichs Schulen heute aussehen? Diese Frage, die in der modernen pluralen Gesellschaft immer wichtiger wird, steht im Zentrum der Forschung der Wiener Religionspädagogin Andrea Lehner-Hartmann.

"Katholischer Religionsunterricht wurde früher gerne als Teilbereich katholischer Sozialisation angesehen. Diese Sichtweise lässt sich heute nicht mehr aufrechterhalten, weil die Gesellschaft und damit auch die SchülerInnenschaft viel pluraler geworden ist und dies ein neues Verständnis von religiöser Bildung erfordert", erklärt Andrea Lehner-Hartmann, seit September 2015 Professorin für Religionspädagogik und Katechetik am Institut für Praktische Theologie, das sie seit 2003 auch als Vorständin leitet. "Diese Entwicklung hin zu einer vielfältigen, auch religiös vielfältigen Gesellschaft wirft ständig neue Fragen auf", so die Forscherin.

Wie sollen ReligionslehrerInnen darauf reagieren, dass sie in den Schulen keine rein konfessionshomogenen Klassengruppen mehr sitzen haben, sondern viele unterschiedliche religiöse Ausprägungen? Wie kann man trotz aller Unterschiede ein gutes Zusammenleben sicherstellen? Das sind nur einige Beispiele von aktuellen Fragen, mit denen sich Lehner-Hartmann beschäftigt: "Konkrete Antworten müssen ständig neu gesucht werden. Dazu ist es notwendig, dass LehrerInnen sich und ihren Unterricht öffnen, um religiöser Pluralität gerecht zu werden".

Was ist der Unterschied zwischen Religionspädagogik und Katechetik?
"Religionspädagogik beschreibt die Theorie religiöser Bildung, religiösen Erziehens und religiösen Lernens. Katechetik hingegen zielt enger auf die Prozesse des Glauben Lernens", erklärt Andrea Lehner-Hartmann.


Viel gefragte Expertin


Wenn es um die Entwicklung, Evaluierung und Verbesserung des Religionsunterrichts geht, gilt die gebürtige Wiener Neustädterin als viel gefragte Expertin. Ihr Fachwissen bringt sie unter anderem seit 2011 als Vorsitzende in der ARGE Religionspädagogik sowie seit 2013 auch als Vorsitzende des Österreichischen Religionspädagogischen Forums mit ein. Aber auch in internationalen Gremien wie der Europäischen Arbeitsgemeinschaft für Katechese oder der European Society for Women in Theological Research ist sie als Mitglied vertreten.

"Ich beschäftige mich bereits seit meiner Studienzeit mit diesem Bereich. Das Besondere an der Praktischen Theologie ist, dass sie sich mit dem Leben der Menschen und den konkreten gesellschaftlichen Entwicklungen aus unterschiedlichen theoretischen Perspektiven auseinandersetzt. Dabei muss man ständig am Ball bleiben und versuchen, neue Erkenntnisse aus der Erforschung von Praxis wieder in die Gestaltung von Praxis einfließen zu lassen", beschreibt Lehner-Hartmann die Faszination, die sie mit ihrem Fachgebiet verbindet.

Von der Uni in die Praxis …

Wenn es um die Verknüpfung von Theorie und Praxis geht, hat die Forscherin bereits einiges an Erfahrung gesammelt. "Ich habe nach dem Studium eine Zwischenpause in einer Pfarre und in einer Schule eingelegt. Mein Aufgabenbereich war damals sehr breit gestreut und reichte von der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bis hin zu Erwachsenen", blickt die heutige Professorin zurück.

Während dieser Zeit habe sie viel gelernt und auch erkannt, dass es oft eine zu große Kluft zwischen Theorie und Praxis gibt. "Dabei ist es gerade in der Religionspädagogik enorm wichtig, dass man stets beide Seiten im Blick hat", betont Lehner-Hartmann.

… und wieder zurück

Nach insgesamt neun Jahren der praktischen Arbeit zog es die Theologin dann allerdings wieder zurück an die Universität Wien: Nach einer Assistenzprofessur folgte 2009 die Mitarbeit in der Leitung der Forschungsplattform "Theory and Practice of Subject Didactics", 2003 dann die Leitung des Instituts für Praktische Theologie. 2013 legte sie mit ihrer Habilitationsschrift "Religiöses Lernen" endgültig den Grundstein für ihre aktuelle Professur. "Ich sehe meine Berufung auch als Bestätigung meiner bisherigen Arbeit und freue mich auf die neue Herausforderung", so die Wissenschafterin.

Lehre und Forschung

In ihrer neuen Position will sich Lehner-Hartmann dabei sowohl in der Lehre als auch der Forschung engagieren. Im erstgenannten Bereich geht es ihr vor allem um das "nachhaltige Involvieren der Studierenden": "Mir ist wichtig, dass sie aus der Reflexion eigener Lernprozesse möglichst viel für ihren späteren Beruf lernen können."

Viel vor hat die Religionspädagogin auch in punkto Forschung. Im Rahmen der Initiative "lebens.werte.schule", einem Kooperationsprojekt mit der evangelischen Religionspädagogik und der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems, wird sie sich verstärkt dem Thema "inklusive Schule" in europäischer und interdisziplinärer Perspektive widmen. Ein weiteres Projekt mit dem Titel "Leben und Lernen von und mit Flüchtlingen" untersucht, welche Auswirkungen die Aufnahme von Flüchtlingskindern auf die jeweilige Schule hat und welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind." (ms)

Die Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Andrea Lehner-Hartmann, Professorin für Religionspädagogik und Katechetik und Vorständin des Instituts für Praktische Theologie, zum Thema "Wenn Gott in die Schule geht – Religiöse Bildung als Beitrag zur Entwicklung einer demokratischen Schule" findet am Dienstag, 21. Juni 2016, um 18 Uhr im Kleinen Festsaal der Universität Wien statt.