Uta Heil: Was macht Europa aus?

Welche Bedeutung hat Religion in der heutigen Gesellschaft? Gibt es eine christliche Identität Europas? Aus 2.000 Jahren Kirchengeschichte schließt Uta Heil auf das Heute, denn: "Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen."

"Eigentlich wollte ich ja durchaus auch Pfarrerin werden und nach der Promotion ins Vikariat gehen. Aber als mir meine damalige Landeskirche offenbarte, dass daraus nie etwas werden würde, weil mein Mann katholisch ist – Ökumene hin oder her –, habe ich mich voll und ganz auf die akademische Laufbahn konzentriert", erzählt Uta Heil rückblickend.

Und diese liest sich geradlinig: Studium, Promotion, wissenschaftliche Mitarbeit, Habilitation und schließlich Professur. "Obwohl das im Nachhinein schwer zu glauben ist, gab es schon die eine oder andere Krise und Unsicherheit, ob der eingeschlagene Weg auch der richtige sei", schmunzelt die Theologin. "Zu Beginn des Studiums machten sich in meinem Freundeskreis radikale evangelikale Strömungen breit und ich fragte mich, ob man denn als Theologin zwangsläufig so werden müsse – oder ob auch ein 'normaler' Weg möglich sei", erinnert sich Heil. Kurz nach Studienbeginn nahm sie sich daher zwei Semester lang "frei", um in einem Kibbuz in Israel zu arbeiten und bei archäologischen Ausgrabungen zu helfen. "Das war eine sehr wichtige Zeit für mich. Damals habe ich beschlossen, am Ball zu bleiben und in Bonn weiter zu studieren", erzählt sie.

Meterweise Literatur

Die Zielstrebigkeit hat sich bezahlt gemacht. Seit einem Jahr forscht und lehrt die gebürtige Deutsche als Professorin für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Theologischen Fakultät. "An der Universität Wien sind Fächer wie klassische Philologie, Alte Geschichte und Mediävistik – mit denen ich als Kirchenhistorikerin ja eng verbunden bin – sehr gut aufgestellt", freut sie sich. "Und zum Glück gibt es immer weniger Scheu von Seiten der 'ProfanwissenschafterInnen', mit uns TheologInnen zusammenzuarbeiten", scherzt die Professorin und zweifache Mutter.  

"Stets Neues zu entdecken", das macht für Uta Heil den Reiz an ihrer Arbeit aus: "Auch wenn die Kirchengeschichte bereits gut erforscht ist, ergeben sich mit jeder Generation immer wieder neue Fragestellungen, und wir entdecken durchaus auch neue Texte."

Bogen zur Gegenwart


Zeiten des Übergangs und der Weichenstellungen haben es der Forscherin angetan, und so widmet sie sich dem 5. und 6. Jahrhundert, der Zeit der sogenannten "Völkerwanderung", mit besonderem Augenmerk. "Es hat mich ziemlich überrascht, dass aus dieser Zeit meterweise Literatur überliefert ist", so Heil, die untersucht, was aus solchen Umbrüchen hervorgeht und wie sich das Christentum damals entwickelte. Die Theologin schließt damit eine Lücke – in der theologischen Forschung wurde diese Zeit bisher eher stiefmütterlich behandelt – und schlägt den Bogen zur Gegenwart, indem sie in der Vergangenheit Antworten auf aktuelle gesellschaftsrelevante Fragen sucht.

Zurzeit bearbeitet Uta Heil u.a. diese Handschrift aus dem 15. Jh. Sie liegt im Kloster Kutlumus im heutigen Griechenland und enthält eine Abschrift der Didaskalie Jesu Christi: ein apokrypher Text – also ein Text, der nicht in einen biblischen Kanon aufgenommen wurde – aus dem 5./6. Jh. "Es ist ein Gespräch zwischen Jesus und den Aposteln. Sie sprechen über das Fasten, die Bedeutung der Wochentage, die richtige Sonntagsverehrung, Paradies und Hölle. Eine Geschichte erzählt von der Entstehung des Teufels: Einer der Erzengel habe sich geweigert, den gerade geschaffenen Adam zu verehren, da er ein minderwertiges Geschöpf aus Staub und Lehm sei. Daraufhin wurde er –  nunmehr der Teufel – aus dem Himmel geworfen samt seinem Gefolge, den Dämonen." (Foto: Privat)

Christliche Identität Europas?

Kann man von einer christlichen Identität Europas sprechen? "Die Selbstverständlichkeit des Sonntags als Feier- oder Ruhetag zeigt, dass die Gesellschaften der europäischen Länder überwiegend christlich geprägt sind. Und im Rückblick sieht man, wie es dazu kam – und wie stark sich die Verhältnisse wandeln können. Klammert man die Unterschiede, z.B. zwischen norddeutschen LutheranerInnen und spanischen KatholikInnen, aus, kann man zwar von einer europäischen christlichen Identität sprechen – nicht aber von der einen christlichen Identität. Die Einflüsse anderer Kulturen und Religionen sind zu berücksichtigen", so Uta Heil.

Vor allem im Zusammenhang mit Migration oder EU-Erweiterung steht die Frage, was Europa ausmacht, immer wieder im Raum. Wichtige Antworten darauf lassen sich in den Diskursen und Entwicklungen zwischen 400 und 700 n.Chr. finden: Denn damals wurden die entscheidenden Weichen für die Entwicklung des Christentums in den Regionen des heutigen Europas gestellt. "Außerdem stammen die Überlieferungen bedeutender Texte und die Glaubensbekenntnisse, wie Apostolikum, Nizänum und Athanasianum, aus dieser Zeit", so die Expertin und sie erklärt: "Damals herrschte in Europa ein konfessioneller Dualismus. Die einwandernden 'Völker' – wie Westgoten, Ostgoten und Vandalen – haben zwar das Christentum angenommen, aber in einer anderen Konfession. Deswegen gewannen die Bekenntnisse an Bedeutung." Uta Heil untersucht nun, was das Christentum damals ausmachte und was es bedeutete, Christ zu sein.

ChristInnen im Streit

"Natürlich könnte man die Geschichte auch rein profangeschichtlich untersuchen", so Heil. "Aber damals waren Politik und Religion eng miteinander verflochten. Deshalb dürfen wir die Vergangenheit nicht nur unter sozialgeschichtlichen oder politischen, sondern müssen sie auch unter theologischen Fragestellungen betrachten", argumentiert die Forscherin und ergänzt: "Denn gerade heute stellt sich wieder die Frage, welche Rolle Religion in der Gesellschaft einnimmt bzw. einnehmen darf oder wie interreligiöse Dialoge geführt werden sollen." Ob ChristInnen überhaupt Dialoge führen können, ist ein anderes Thema, das in der Forschung heftig diskutiert wird. In ihrer Antrittsvorlesung wird Uta Heil daher u.a. die Streitkultur des spätantiken Christentums beleuchten.

"Ich sehe die Kirchengeschichte als Schatz: Denn das, was wir in den letzten 2.000 Jahren angesammelt haben, hilft uns, die Gegenwart zu deuten und Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen", so die Theologin, die sich in ihrer Freizeit sehr wohl auch den profanen Dingen des Lebens widmet: Krimis lesen und Gartenarbeit wie Rasen mähen und Hecken schneiden. (ps)  
 
Am Donnerstag, 17. März 2016, um 18 Uhr hält Univ.-Prof. Dr. Uta Heil, stv. Leiterin des Instituts für Kirchengeschichte, Christl. Archäologie und Kirchliche Kunst, ihre Antrittsvorlesung zum Thema: "Können Christen einen Dialog führen? Zur Streitkultur des spätantiken Christentums" im Kleinen Festsaal der Universität Wien. Sie hält ihre Antrittsvorlesung gemeinsam mit Univ.-Prof. Dr. habil. Annette Schellenberg, die zum Thema "'Ihre Brüste sollen dich allezeit trunken machen' (Prov 5,19). Zum weisheitlichen Umgang mit der Erotik (des Hohelieds?)" spricht (zum Porträt von Annette Schellenberg).