Zellen auf Identitätssuche
| 17. Juni 2015Wer schon immer wissen wollte, wie aus einer Zelle ein Mensch entsteht, sollte sich mit Martin Leeb unterhalten. Der Mikrobiologe und WWTF-"Young Investigator" 2014 hat vor rund einem Monat seine Arbeit an der Universität Wien aufgenommen.
Martin Leeb ist einer von drei im "Vienna Research Groups for Young Investigators"-Call 2014 prämierten jungen WissenschafterInnen. Der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF) holt mit diesem Programm herausragende internationale Nachwuchstalente nach Wien, die hier ihre eigene Forschungsgruppe aufbauen und längerfristig unabhängige Forschung betreiben können. Die Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien waren diesmal gleich doppelt erfolgreich: Neben Martin Leeb bringt auch Christopher Campbell von der University of San Francisco die mit 1,6 Millionen Euro dotierte Förderung an die MFPL.
Young Investigator Martin Leeb kehrt aus Großbritannien an "seine" Alma Mater zurück, an der er im Jahr 2009 bereits das Doktorat abgeschlossen hat. Im Wellcome Trust – MRC Stem Cell Institute in Cambridge legte er dann den Grundstock für seine Forschung, die er nun an den MFPL fortsetzen wird: Jenen molekularen Kreisläufen auf die Spur zu kommen, durch die aus einer Stammzelle die "Bauteile" der Säugetiere entstehen.
"Young Investigator" Martin Leeb hat vor rund einem Monat seine Arbeit an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien aufgenommen. Noch ist er allein in seinem Büro: In den nächsten Jahren wird sein Team auf sechs bis acht WissenschafterInnen und TechnikerInnen anwachsen. (Foto: MFPL, Daniel Hinterramskogler)
Zellen, aus denen ganze Menschen werden
Stammzellen sind für die Forschung wegen ihres Potenzials interessant, sich in alle spezifischen Zelltypen ausdifferenzieren zu können. Was aus ihnen einmal wird – Organe, Knochen etc. – ist noch nicht festgelegt. Wie "entscheidet" sich aber der Entwicklungsweg einer Stammzelle? Dieser Frage wird Martin Leeb in den kommenden Jahren nachgehen.
Den Schlüssel dazu bieten die haploiden Stammzellen, die er gemeinsam mit KollegInnen in Cambridge entwickelt hat. Von ihrer Funktion her entsprechen sie anderen Stammzellen, tragen im Unterschied zu ihnen aber jedes Gen nur in einer Kopie. Während "normale" Zellen immer mit einem doppelten Chromosomensatz ausgestattet sind, sind hier nur die des weiblichen Elternteils vorhanden. Denn haploide Stammzellen werden aus chemisch ausgetricksten Eizellen gewonnen, denen die Befruchtung vorgetäuscht wurde.
Wenn Forschende nun zufällige Mutationen im Erbgut dieser Zelle hervorrufen, können sie damit verbundene Veränderungen leicht erkennen. Im Gegensatz zu "normalen" Zellen steht hier nämlich kein anderes Gen bereit, das die Funktionen des mutierten Gens übernehmen würde.
Von den Genen zum Regelwerk
Haploide Stammzellen sind damit der Wegweiser zu den Genen, die an der Entwicklung der Stammzelle beteiligt sind: "Wenn man die Mutationen findet, die die Differenzierung von Zellen verhindern, dann kennt man die Gene, die im Normalzustand eine Rolle spielen", erklärt der 35-jährige.
Viele dieser Gene haben seine KollegInnen und er bereits gefunden. "Aber was bestimmt die Identität einer Zelle? In welche Richtung geht es? Die alte Identität der Stammzelle muss abgeschaltet werden und dann braucht es einen Anstoß, um die neue Identität zu formen", erläutert Leeb sein Forschungsinteresse. Dem bisher unbekannten molekularen Regelwerk, dem die Zellen hier folgen, wird er sich in den nächsten Jahren widmen.
Forschung für die Gesellschaft als gemeinsames Projekt
Wenn Martin Leeb die Zellen während ihrer Identitätsfindung beobachtet, betreibt er Grundlagenforschung, die der anwendungsorientierten Forschung neue Möglichkeiten eröffnen kann: "Meine Motivation ist es, mit meiner Forschung zum nutzvollen Wissen für die Gesellschaft beizutragen." Dabei denkt er zum Beispiel an die Entwicklung von Zellen, die Insulin produzieren oder Alzheimer aufhalten können. Für diese und andere Forschungen soll seine Arbeit die Basis schaffen.
Aber weder anwendungsorientierte Forschung noch jene an den Grundlagen lässt sich allein im stillen Kämmerlein (bzw. Labor) bewerkstelligen. Daher arbeitet Martin Leeb mit internationalen ForscherInnen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Sein eigenes Team soll in den nächsten Jahren auf bis zu acht MitarbeiterInnen anwachsen.
Beste Forschungsbedingungen an der Universität Wien
Am Standort Wien sieht er optimale Bedingungen. Die Universität Wien und der WWTF bieten ihm eine langfristige Perspektive durch die Tenure Track-Option, die ihm nach einem gelungenen Projekt eine Anstellung als assoziierter Professor an der Universität Wien in Aussicht stellt, erklärt der junge Gruppenleiter. Die Qualität der Forschung "seines" und der verwandten Institute "in Griffweite" müsse sich europaweit keineswegs verstecken: "Ausschlaggebend für meine Bewerbung war auch die hohe Qualität der Forschung, die hier an den MFPL stattfindet. Die vielen jungen Gruppenleiter und -leiterinnen geben dem Institut eine sehr positive Dynamik." (jr)
Mag. Dr. Martin Leeb vom Department für Mikrobiologie, Immunbiologie und Genetik ist Leiter der Forschungsgruppe "Molecular control of cell fate decisions", Projektlaufzeit von Mai 2015 bis ca. April 2021. Die Forschungsgruppe ist am Zentrum für Molekulare Biologie der Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien angesiedelt und erhält Förderung durch den Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds, "Vienna Research Groups for Young Investigators"-Call 2014.