Wirtschaften im Labor

Ökonomischen Theorien liegt die Vorstellung von rationalen und eigennützigen Menschen zugrunde. Wie aber verhalten sich Personen tatsächlich, wenn sie wirtschaftliche Entscheidungen treffen? Welche Institutionen fördern Kooperation? Dies sind Fragen, mit denen sich Jean-Robert Tyran von der Fakultät für Wirtschaftwissenschaften beschäftigt.

Wer an einem Experiment am Vienna Center for Experimental Economics (VCEE) teilnimmt, der tut das seit Herbst 2011 in einem modernen Labor am Campus der Universität Wien. Die Einrichtung ist gut ausgelastet, denn Experimente werden ein immer wichtigeres Werkzeug wirtschaftlicher Forschung. Der gebürtige Schweizer Jean-Robert Tyran ist einer, der in dieser Disziplin besonders emsig ist. Gemeinsam mit Wieland Müller leitet er das Fakultätszentrum für Experimentelle Wirtschaftsforschung. Erst kürzlich wurde er im VWL-Ranking der Zeitschrift "Handelsblatt" als forschungsstärkster Professor der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Wien angeführt.

"Selbstgewählte Regeln funktionieren besser"


Seine beiden jüngsten Publikationen beschäftigen sich damit, wie sich Gruppen durch Regelsetzung selbst managen können. Jean-Robert Tyran – der seinen Erfolg auf gute Ideen sowie auf viel Fleiß und harte Arbeit ("10 percent inspiration and 90 percent perspiration") zurückführt – stellt die Frage, wie dieser Prozess Menschen zur Zusammenarbeit motiviert und wirtschaftlich produktiver macht. Im Laborexperiment bekommen die TeilnehmerInnen Geld, das sie entweder behalten oder in einen Topf einzahlen. Das investierte Geld wird z.B. verdoppelt und dann aufgeteilt. Für die Gruppe ist das die lukrativere Variante, für den Einzelnen aber nicht. In diesem klassischen Experiment kann Kooperation gut beobachtet werden: Wer zahlt in den Topf ein, wer nicht?


Laborexperiment kurz erklärt:
Das Grundelement des Experiments ist hier (mit dänischem Text, Tyran war bis 2010 an der Universität Kopenhagen) illustriert: Vier Gruppenmitglieder erhalten je 50 dänische Kronen (etwa 7 Euro) und entscheiden, ob sie das Geld behalten oder den Gesamtbetrag bzw. Teile davon in ein Gemeinschaftskonto einzahlen. Im dargestellten Beispiel landen dort insgesamt 90 Kronen. Dieser Betrag wird verdoppelt und gleichmäßig aufgeteilt. Am meisten verdient, wer gar nicht erst in das Gemeinschaftskonto einbezahlt hat (Bild 6, gelb). Nun kommen zwei (in der Illustration nicht dargestellte) Aspekte dazu. Zuerst wird eine zentrale Instanz eingeführt, die Personen bestraft, die nicht zum Gruppenkonto beitragen. Diese Instanz – deren "Arbeit" 20 Kronen kostet – verlangt eine "Buße" von 70 Öre pro einbehaltene Krone. Dann lässt man die TeilnehmerInnen abstimmen, ob sie dieses Organ wollen oder nicht. Geht man davon aus, dass alle Beteiligten eigennützig und rational sind, ist die Instanz profitabel: Ohne sie würde jeder die 50 Kronen behalten, in Anbetracht der Strafe zahlen alle ein und erhalten 80 Kronen (50 Kronen verdoppelt, minus die Kosten der Instanz). Es zeigt sich aber, dass die TeilnehmerInnen lieber einen eigenständigen Weg zu einer profitablen Kooperation suchen und die Instanz, samt ihrer Fixkosten, ablehnen.



Auch ohne Strafandrohungen kooperativ

Doch damit ist es nicht getan: Schließlich werden ÖkonomInnen u.a. dazu auf den Plan gerufen, die wirtschaftliche Effizienz zu erhöhen. Eine Möglichkeit besteht in der Schaffung geeigneter Institutionen. Welche Institutionen das sind, kann im Experiment getestet werden. Eine Variante ist die Schaffung einer zentralen Instanz, die diejenigen bestraft, die nicht kooperieren. Natürlich wird eine solche Instanz oft nicht umsonst zu haben sein.

"Diese formalen Regeln sind so gewählt, dass sie die Kosten ihrer Einführung wert sind. Es zeigte sich aber, dass diese Regeln meist nicht beliebt sind und die TeilnehmerInnen den günstigeren Weg informeller Regeln wählen. Dabei handelt es sich um eine Art gegenseitige Selbstkontrolle, bei denen sich die Gruppenmitglieder wechselseitig überwachen und strafen können", erklärt Tyran, seit 2010 Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Wien. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die ProbandInnen auch ohne formale Strafandrohungen relativ kooperativ sind und den "Gruppendruck" mit Umsicht einsetzen. Auch ist zu erkennen, dass selbstgewählte Regeln oft besser funktionieren als von außen auferlegte.


Dieser Artikel erschien im
Forschungsnewsletter Oktober 2013.

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Wer misst sich gerne mit anderen?

Bei der zweiten Studie geht es um die Frage, wann Wettbewerb zwischen Gruppen die Kooperation erhöhen kann. Hier stehen mehrere Gruppen im Wettbewerb. Diese Versuchsanordnung bildet nicht nur (betriebs-)wirtschaftliche Situationen ab, es konkurrieren z.B. auch ForscherInnengruppen um nationale Forschungsmittel. Im Rahmen des Experiments stimmen die TeilnehmerInnen über ein System mit oder ohne Wettbewerb ab. Tyran meint: "Überraschenderweise ist der Wettbewerb bei unseren Versuchspersonen, in diesem Fall Studierenden, recht beliebt. Wir haben auch festgestellt, dass Wettbewerb zwischen den Gruppen die Kooperation innerhalb der Teams erhöhen kann. Dabei müssen aber die Anreize richtig gesetzt werden, d.h. keine Gruppe darf entmutigt werden, am Wettbewerb teilzunehmen."

Hohe Akzeptanz, hoher Nutzen


Die Studien sind Teil von Tyrans umfassender Forschung zu "Kooperation und Institutionen", bei der der Wissenschafter den Fokus auf die Akzeptanz (wirtschafts-)politischer Maßnahmen legt. Er interessiert sich hier u.a. dafür, wie sich Menschen bestimmte Institutionen wünschen, z.B. effizienzverbessernd oder gerechtigkeitsfördernd. Der Ökonom konnte belegen, dass Institutionen, die mit großen Mehrheiten angenommen werden, einen wirtschaftlich und gesellschaftlich höheren Nutzen bringen als andere. Ob diese Ergebnisse auch in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern ähnlich aussehen, wird Tyran gemeinsam mit Thomas Markussen von der Universität Kopenhagen untersuchen.

Kooperation ist nicht nur sein Forschungsgegenstand, sondern auch gelebte Forschungsrealität: Aktuell ist Tyran Teil des Nationalen Forschungsnetzwerks "Experimental Labor Economics", in dem der Themenbereich "Arbeit, Kooperation, Arbeitsmarkt" aus verschiedenen Perspektiven betrachtet wird. Im Labor darf dann nicht mehr nur investiert, sondern auch gearbeitet werden. (dy)

Die Publikation "Self-Organization for Collective Action: An Experimental Study of Voting on Sanction Regimes" (Autoren: Thomas Markussen, Louis Putterman, Jean-Robert Tyran) erschien im Juli 2013 in "Review of Economic Studies". Der Artikel "Competition, Cooperation, and Collective Choice" (Autoren: Thomas Markussen, Ernesto Reuben, Jean-Robert Tyran) erscheint in "Economic Journal".