Auf die richtige Formel kommt es an

Wie viele Lottotipps sind bei "6 aus 45" möglich? Die Mathematikerin Ilse Fischer kennt die Antwort, schließlich ist sie Expertin im Bereich sogenannter Abzählprobleme. In ihrem aktuellen START-Projekt löst sie noch viel komplexere Zahlenrätsel – immer auf der Suche nach der richtigen Formel.

"In meinem Spezialgebiet geht es eigentlich um etwas sehr Einfaches", so Ilse Fischer von der Fakultät für Mathematik über ihren Forschungsschwerpunkt, der in Fachkreisen unter dem Begriff "Abzählkombinatorik" subsumiert wird. Für die allgemeine Öffentlichkeit sei der Inhalt ihrer wissenschaftlichen Arbeit trotzdem oft nur schwer verständlich. "Jedes Kind kann zählen", wagt Fischer einen Erklärungsversuch: "In meinem Gebiet geht es aber darum, eine möglichst effiziente Abzählmethode zu entwickeln und auch bei noch so komplexen Problemen die dahinterstehende Logik zu entschlüsseln und – wenn möglich – in eine relativ einfache Formel zu packen."

Zur Veranschaulichung verweist die Mathematikerin, deren aktuelles Projekt im Rahmen des START-Programms des FWF gefördert wird, auf ein konkretes Alltagsbeispiel. "Nehmen wir an, Sie wollen herausfinden, wie viele verschiedene Lotto-Zahlenkombinationen möglich sind. Um dieses Rätsel zu lösen, können Sie sich entweder hinsetzen und mühsam alle rund acht Millionen unterschiedlichen Ziffernfolgen notieren. Oder aber Sie greifen auf eine einfache Formel zurück. Letztere beschreibt gewissermaßen das dahinterliegende mathematische Muster, das Bildungsgesetz hinter einer bestimmten Zahlenfolge. Genau das will ich auch für andere, noch weitaus schwierigere Abzählprobleme herausfinden", erläutert die Expertin.


Ein Abzählproblem mit Anwendungsbezug: Eine Anordnung mit Wasserstoff- (H) und Sauerstoffatomen (O) lässt sich so gruppieren, dass Wassermoleküle (H2O) entstehen. Wie viele verschiedene Kombinationen sind möglich? "Bei kleinen Systemen lässt sich das noch gut mit der Hand abzählen. Die Frage ist aber, ob es eine Formel zur einfachen Berechnung größerer Systeme gibt", so Fischer. ForscherInnen haben sich über zehn Jahre lang mit diesem Problem befasst. In den 1990er Jahren präsentierte ein Mathematiker eine Lösung: Der schriftliche Beweis dazu ist 84 Seiten lang.



Weitreichender Nutzen


Der praktische Nutzen der aufwändigen mathematischen Berechnungen, die Fischer und ihre KollegInnen der Kombinatorikgruppe an der Fakultät für Mathematik durchführen, ist weitreichend. "Abzählprobleme treten weit häufiger auf, als den meisten bewusst ist", betont die 38-Jährige, die sich seit nunmehr 15 Jahren mit diesem Forschungsbereich beschäftigt. "Wir haben es hier mit sehr grundlegenden Fragestellungen in der Mathematik zu tun. Lösungen zu diesen Problemen werden aber überall gebraucht: Ganz egal ob in Physik, Chemie, Biologie oder den Wirtschaftswissenschaften – es kommen oft KollegInnen aus einem völlig anderen Fachgebiet zu mir, weil sie in ihrer Forschung auf ein Abzählproblem gestoßen sind."


Dieser Artikel erschien im
Forschungsnewsletter Oktober 2013
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Knifflige Lösungen


Wer aber glaubt, dass sich jedes noch so komplizierte Abzählproblem mit einer einfachen Formel lösen lässt, irrt. "Das Erstaunliche ist, dass es eigentlich nur für sehr wenige solcher Probleme eine Formel gibt, die mit den Grundrechnungsarten hinlänglich dargestellt werden kann. In der Mehrheit der Fälle lässt sich gar keine entsprechende Lösung finden", schildert Fischer. Wenn doch, sei das aufgrund der hoch komplexen Zusammenhänge zumeist eine sehr knifflige und aufwändige Aufgabe, die MathematikerInnen zum Teil auch über mehrere Jahre hinweg fordern kann.

Auf Problemstellungen, wo eine Formellösung gelingt, stoße man streng genommen nur "per Zufall". "Das bedeutet, dass wir heute im Grunde die konkreten Zusammenhänge noch nicht verstehen. Wir wissen nicht, wann es eine solche Formel gibt und wann nicht. Mit meinem Projekt möchte ich deshalb letztendlich auch dazu betragen, das diesbezügliche Verständnis entscheidend zu verbessern", erklärt Fischer.


Auch diese Kachelungen eines Sechsecks mit Rhomben ("rhombus-tilings") stellen ein Abzählproblem dar. "Überraschenderweise gibt es oft für sehr komplexe Probleme eine relativ einfache Formel. Umgekehrt lässt sich manchmal für eher einfache Probleme keine schöne Lösung finden. Dahinterzukommen, wieso das so ist, das ist für mich der Reiz an dem Forschungsgebiet", fasst Fischer zusammen.



Diskrete Mathematik


Mit ihrem Forschungsschwerpunkt liegt die gebürtige Kärntnerin, die vor ihrer Position als assoziierte Professorin bereits als Studentin und Assistentin am Institut für Mathematik in Wien sowie als Gastprofessorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätig war, voll im Trend. Die sogenannte "Diskrete Mathematik", zu der auch die Abzählkombinatorik gehört, hat im Laufe der letzten Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. "Dieses Teilgebiet, das sich im Gegensatz zur 'kontinuierlichen Mathematik' mit endlichen oder zumindest abzählbaren unendlichen Mengen befasst, ist noch relativ jung. Erst im 20. Jahrhundert entstand durch den Computer und die Möglichkeit der raschen digitalen Datenverarbeitung eine Vielzahl neuer Anwendungen", merkt Fischer an.

An der Fakultät für Mathematik wurde im Jahr 2005 die erste Professur für Diskrete Mathematik vergeben. Träger dieser Position ist der Wittgenstein-Preisträger Christian Krattenthaler, aktueller Vizedekan und Leiter der Kombinatorikgruppe an der Universität Wien. "Heute ist dieser Bereich ein fixer Forschungsschwerpunkt an der Fakultät für Mathematik. Seit März 2013 gibt es zudem einen eigenen hochdotierten Spezialforschungsbereich, der sich – unter dem Titel 'Algorithmic and enumerative combinatorics' – diesem speziellen Teilgebiet widmet", so Fischer abschließend. (ms)


Das Projekt "Kompakte Abzählformen für verallgemeinerte Partitionen" unter der Leitung von Assoz. Prof. Mag. Dr. Ilse Fischer von der Fakultät für Mathematik wird im Rahmen des START-Programms des FWF gefördert und läuft von 1. Mai 2010 bis 30. April 2016.