Werkzeuge für die Alzheimer-Forschung

Phospho-Tau-Verfärbungen in der menschlichen Großhirnrinde

Weltweit sind über 44 Millionen Menschen von neurodegenerativen Krankheiten betroffen. Davon wird Alzheimer am häufigsten diagnostiziert. Chemikerin Gunda Köllensperger entwickelt in einem aktuellen EU-Projekt Messstandards für Biomarker, die bei der Früherkennung der Krankheit hilfreich sind.

Biomarker sind Stoffe im menschlichen Körper, die ein eindeutiges Indiz für eine bestimmte Krankheit sind und in Körperflüssigkeiten gemessen werden können. Das ist aber nicht immer einfach, denn für die meisten Messungen existieren keine Standards, wie Gunda Köllensperger von der Fakultät für Chemie erzählt. "Gerade in der Demenzforschung gibt es viele widersprüchliche Daten", stellt die Chemikerin fest. "Das liegt zum Teil daran, dass die Messungen keine Standards haben und deshalb nicht international vergleichbar sind."

Dabei spielt das Messen von Metallen und Proteinen im Körper eine wichtige Rolle bei der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen. "Gerade hier ist es wichtig, dass man ein Molekül- oder Metallmuster identifiziert, mit dem sich früh Aussagen treffen lassen." Das EU-Projekt "Role of metals and metal containing biomolecules in neurodegenerative diseases such as Alzheimer's disease" soll Klarheit in das Dickicht der Messstandards bringen.

Neue Standards schaffen

Im Forschungsprojekt, das in Zusammenarbeit mit mehreren Partnerinstitutionen entsteht, will die Wissenschafterin Messstandards und Messmethoden entwickeln, die eine frühe Diagnose neurodegenerativer Erkrankungen möglich machen. Die Zielsetzung ist klar: "Am Ende sollen konkrete Anleitungen stehen, wie man etwas zu analysieren hat", so die Leiterin des Instituts für Analytische Chemie.

Die ForscherInnen versuchen in mehreren Schritten, Standards für die zwei wichtigsten Biomarker-Proteine in der Alzheimerforschung, das Beta-Amyloid und das Tau-Protein, herzustellen, aber auch geeignete Testmethoden für Metalle zu entwickeln.

"Die Idee des Biomarkers ist, dass man ihn aus einer Körperflüssigkeit möglichst wenig invasiv misst und dann eine sehr genaue Idee entwickeln kann, wie eine Therapie auszuschauen hat." Biomarker sollen künftig vor allem bei der Diagnose helfen. Derzeit sei das Gespräch mit dem Arzt die beste Möglichkeit für eine Diagnose wie Alzheimer. "Es gibt bisher kein Molekül, das eine ähnliche Aussagekraft hätte", stellt Köllensperger fest.

Für die Entwicklung eines grünen Standards für Messungen in der Metabolomforschung erhielt Köllensperger am 4. Mai 2017 den mit 150.000 Euro dotierten Houskapreis (zum uni:view-Artikel). Der Messstandard ist leistbar und gleichzeitig höchst präzise. Solche Standards sind vor allem in medizinischen Bereichen, wie z. B. der Krebs- oder Stammzellenforschung, von zentraler Bedeutung. (Foto: B&C/APA-Fotoservice/Schedl)

Metalle im Gehirn

Neben den Proteinen widmen sich die WissenschafterInnen auch der Messung von Metallen. "Man weiß, dass bei Alzheimer die Metallhomöostase, das Gleichgewicht der Metalle im Gehirn, gestört ist. Allerdings weiß man nicht, ob das Ursache oder Wirkung der Krankheit ist", erklärt die Wissenschafterin die Problematik. Um Metalle auf ihre Eignung als Biomarker zu testen, braucht es daher zunächst einmal geeignete Messmethoden. Genau darum geht es im Projektteil, den Köllensperger leitet.

Um Metalle zu messen, wird dem Körper eine kleine Menge Plasma oder zerebrospinales (aus dem Rückenmark) Fluid entnommen. "Dabei arbeitet man üblicherweise mit einer viel größeren Probenmenge, denn man schließt das Probenmaterial zuerst mit Säure auf und analysiert es dann. Das ist aber erstens zeitaufwändig und zweitens braucht man sehr viel Flüssigkeit."

Um dieses Problem zu lösen, haben sich die WissenschafterInnen zum Ziel gesetzt, mit den verfügbaren zehn Mikroliter Probenmaterial eine Multielement-Analyse durchzuführen, ohne die Probe mit Säure vorzubereiten. Damit die Vergleichbarkeit auch innerhalb des Projekts gewährleistet ist, werden die Experimente in verschiedenen Laboratorien durchgeführt: Alle acht Partner analysieren dasselbe Material und vergleichen ihre Ergebnisse mit unterschiedlichen Methoden.

uni:view: Wie beantworten Sie unsere aktuelle Semesterfrage: Gesundheit aus dem Labor – was ist möglich?
Gunda Köllensperger: Wir als analytische Chemikerinnen können Methoden konzipieren, um Dinge messbar zu machen, die vorher nicht messbar waren. Dies wird in Zukunft ermöglichen, dass man viel maßgeschneiderter vorgehen und in die Therapie eingreifen kann. Vor zwanzig Jahren war eine genetische Analyse ein immenser Aufwand, der Monate oder Jahre gedauert hat. Heute gibt man eine Probe ab und hat am nächsten Tag die Ergebnisse. So etwas sollte es in Zukunft auch für Moleküle oder kleine Proteine geben. Das wird helfen, Therapien besser einsetzen und Krankheiten früher erkennen zu können

Messstandards als Anfang

Doch auch wenn die genauen Messstandards für Metalle zur Verfügung stehen, ist immer noch unklar, was Metalle über die Krankheit Alzheimer aussagen. Dies sei laut Köllensperger eine generelle Forschungsfrage. "Genaue und präzise Messungen sind ein erster Schritt in die richtige Richtung, um die Diagnoseverfahren zu optimieren", betont sie. 

Dass Metalle in Zukunft alleine als Biomarker dienen können, hält die Wissenschafterin jedenfalls für unwahrscheinlich. "Das ist nur im Zusammenspiel mit Proteinen möglich. Es wird nie reichen, ein Metall oder auch fünf Metalle alleine zu messen, genauso wie es nie reichen wird, ein oder zwei Proteine alleine zu messen", meint Köllensperger. Zudem gäbe es so viele Arten von Demenzerkrankungen, dass nicht ein Biomarker für alle Varianten gelten kann.

Die Chemikerin betont den Grundlagenforschungscharakter des Projekts, zeigt sich aber optimistisch, dass es letzten Endes auch einen großen Einfluss auf die klinische Forschung haben wird. "Man wird am Ende des Projekts nicht viel mehr über Alzheimer wissen. Aber man wird Werkzeuge in der Hand haben, die es ermöglichen, es systematisch zu untersuchen", so Köllensperger. (pp)

Jedes Semester stellt die Universität Wien ihren WissenschafterInnen eine Frage zu einem Thema, das die Gesellschaft aktuell bewegt. In Interviews und Gastbeiträgen liefern die ForscherInnen vielfältige Blickwinkel und Lösungsvorschläge aus ihrem jeweiligen Fachbereich. Die Semesterfrage im Sommersemester 2017 lautet "Gesundheit aus dem Labor – was ist möglich?". Zur Semesterfrage

Das EU-Projekt "Role of metals and metal containing biomolecules in neurodegenerative diseases such as Alzheimer's disease (ReMIND)" ist ein  Zusammenschluss der Universitäten Wien, Gent, Aberdeen und der Charité sowie der nationalen metrologischen Institute PTB (Deutschland), BAM (Deutschland), LGC (Großbritannien) und TUBITAK (Türkei). Es läuft von 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2019. Das Projekt wird im Rahmen des European Metrology Programme for Innovation and Research sowie des Horizon 2020 Programms für Forschung und Innovation der Europäischen Union gefördert und von den teilnehmenden Staaten kofinanziert.