Wenn Mehrsprachigkeit zum Hindernis wird

Wie läuft Kommunikation ab, wenn mehrsprachige MigrantInnen aus afrikanischen Herkunftsländern und VertreterInnen Wiener Behörden oder Gerichte einander begegnen? Diese Frage steht im Mittelpunkt des transdisziplinären Forschungsprojekts "PluS – Plurilinguale SprecherInnen in unilingualen Kontexten", finanziert aus den Mitteln des "Diversität – Identität Call 2010" des WWTF, das sich aus einer menschenrechtlichen Perspektive damit auseinandersetzt, wie "einander verstehen" – als Grundvoraussetzung für ein faires Verfahren und Gleichheit vor dem Recht – gelingen kann.

"Sprachen verstehen wir nicht als voneinander abgrenzbare Einheiten, sondern als eine Vielfalt verwobener Stimmen, die ein Mensch in sich trägt", erklärt Projektleiterin Brigitta Busch vom Institut für Sprachwissenschaft die Ausgangsthese. Gemeinsam mit einem transdisziplinären Team aus Sprach-, Afrika- und RechtswissenschafterInnen befasst sie sich mit der Kommunikation zwischen PraktikerInnen des Behörden- und Gerichtswesens und MigrantInnen aus afrikanischen Herkunftsländern. Ziel des WWTF-Projekts ist es, das mehrsprachige Repertoire der MigrantInnen sichtbar zu machen und in Zusammenarbeit mit den beteiligten AkteurInnen – u.a. RichterInnen, DolmetscherInnen, RechtsberaterInnen, PolizistInnen – zu besseren Kommunikationsbedingungen zu gelangen.

Kommunikation in einer einsprachigen Umwelt

Abhängig von der jeweiligen Kommunikationssituation bedienen sich Menschen unterschiedlicher Elemente ihres sprachlichen Repertoires. Beherrscht eine Person mehrere Sprachen, erweitern sich die Möglichkeiten. Bei Gericht und Behörden kann darauf aber nicht zurückgegriffen werden, denn dort treffen mehrsprachige MigrantInnen auf eine stark monolingual orientierte Umwelt: Im Asylverfahren beispielsweise vereinbaren RichterIn und MigrantIn eine Sprache und in diese wird gedolmetscht. In den meisten Fällen ist das Englisch.

"Hier steckt die Annahme dahinter, es gäbe nur das 'eine Englisch'. Wir haben es aber mit verschiedenen Varietäten des Englischen zu tun, die sich teilweise stark von jener unterscheiden, die sich DolmetscherInnen im Zuge ihrer Ausbildung aneignen. Eine funktionierende Kommunikation wird dadurch oft nicht ermöglicht", so Projektmitarbeiterin Gabriele Slezak vom Institut für Afrikawissenschaften.

Vielfältiges Sprachrepertoire

Hinzu kommt, dass die Amtssprachen Englisch oder Französisch in den Herkunftsländern der MigrantInnen eine eher untergeordnete Rolle spielen. In Nigeria beispielsweise, wo es insgesamt mehr als 400 Sprachen gibt, decken die meisten Menschen mit Yoruba, Hausa oder Igbo ein weit größeres Spektrum der Alltagskommunikation ab als mit der Amtssprache Englisch.

Weiters seien Gerichte und Behörden nicht darauf vorbereitet, dass mehrsprachige Personen von einer Sprache in die andere wechseln. Projektmitarbeiter Karlheinz Spitzl, Institut für Afrikawissenschaften und Institut für Translationswissenschaft, erläutert: "Im Rahmen eines Asylverfahrens kann beispielsweise die Bezugnahme auf traumatische Erlebnisse eine zentrale Rolle spielen. Das ist auch in der eigenen Sprache eine Herausforderung. Hier stellen sich Fragen wie: Würden die Betroffenen lieber eine Sprache wählen, zu der mehr Distanz besteht, da sie diese erst später in ihrer Sozialisation erlernt haben? Oder können bestimmte Dinge nur in der Muttersprache erzählt werden?“

Sprachbiographien erstellen

"Das Paradoxe im Hinblick auf Sprechen ist, dass wir in diesem Bereich zwar alle ExpertInnen sind: Wir sprechen ständig, das Reden gehört zum Leben dazu und ist mit Emotionen verbunden. Dennoch ist es alles andere als einfach, über Sprache zu sprechen", so Brigitta Busch. In einem ersten Schritt geht es nun darum, Sprachbiographien der beteiligten Personen zu erstellen.

Um herauszuarbeiten, über welches sprachliche Repertoire – seien es Sprachen, Dialekte, Jargons etc. – eine Person verfügt und wie sich dieses im Laufe des Lebens entwickelt hat, bedienen sich die ProjektmitarbeiterInnen verschiedener qualitativer Methoden; u.a. werden die AkteurInnen im Rahmen von Workshops gebeten, ihr Sprachrepertoire in Form eines sogenannten "Sprachenporträts" darzustellen.
"Diese Visualisierungen erlauben es, sich vom 'Zugzwang' des Erzählens zu distanzieren, innezuhalten und über Sprache zu reflektieren. Darüber hinaus drängen sich im Bild Begrifflichkeiten wie Muttersprache oder Fremdsprache weniger auf. Die Visualisierungen können wiederum ein Erzählanlass für anschließende Gruppendiskussionen sein", so die Projektleiterin.

Beobachtungen und Analyse von Rechtstexten

Daneben wird das Forschungsteam auch teilnehmende Beobachtungen durchführen. "Im Vorläuferprojekt haben wir den konkreten Prozess der Sprachwahl im Asyl- und Strafverfahren nachgezeichnet und die Ursachen für sprachbezogene Missverständnisse identifiziert. In der Fortsetzung ist es nun unser Ziel, Personen über einen längeren Zeitraum hinweg zu begleiten – zum Beispiel RichterInnen in verschiedenen Situationen ihres Berufsalltags", erklärt Slezak.

Ein weiterer Schwerpunkt des Projekts ist die Arbeit mit Rechtstexten, die die ProjektmitarbeiterInnen in Zusammenarbeit mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte analysieren. Die Ergebnisse der Forschung fließen im Rahmen von Arbeitsgruppen und Trainingsmodulen in die behördliche und gerichtliche Praxis ein. (dh)

Das Projekt "PluS: Plurilinguale SprecherInnen in unilingualen Kontexten. MigrantInnen aus afrikanischen Ländern in Wien: Sprachliche Praktiken und institutionelle Kommunikation" wird von Univ.-Prof. Doz. Dr. Brigitta Busch vom Institut für Sprachwissenschaft und Univ.-Prof. i.R. Dr. Walter Schicho vom Institut für Afrikawissenschaften geleitet. ProjektmitarbeiterInnen: Mag. Martina Rienzner, Mag. Dr. Gabriele Slezak, Mag. Karlheinz Spitzl, BA (Institut für Afrikawissenschaften und Zentrum für Translationswissenschaft), Mag. Margit Ammer, E.MA, Mag. Barbara Liegl (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte Wien), Ass.-Prof. Mag. Dr.phil. Dieter Halwachs (Zentrum für Sprache, Plurilingualismus und Fachdidaktik, Universität Graz). Finanziert wird "PluS" aus den Mitteln des "Diversität – Identität Call 2010" des WWTF (Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds. Es läuft von März 2011 bis März 2013.