Einblicke in den Erdmantel
| 14. Juli 2011Keine Stadt im Umkreis von mehreren 100 Kilometern, von Straßen ganz zu schweigen: Jakutien in Nordost-Russland ist das – nicht ganz ungefährliche – Forschungsgebiet von Theodoros Ntaflos und Cornelius Tschegg. Dort, wo die Eurasische und die Nordamerikanische Kontinentalplatte zusammentreffen, finden die beiden Lithosphärenforscher einzigartige Basaltgesteine, die Blicke in den Erdmantel erlauben. Im aktuellen FWF-Projekt "Volcanism near the North America-Eurasia Plate boundary" analysieren sie diese "Botschafter aus dem Erdinneren".
Abenteuer Forschung: Nur die Kleider am Körper, den Reisepass in der Tasche sowie eine 30 Kilogramm schwere Holzkiste mit Gesteinsproben – das Ergebnis wochenlanger Arbeit – konnten Theodoros Ntaflos und Cornelius Tschegg nach einem Unfall auf einer ihrer jüngsten Nordost-Russland-Expeditionen retten. "Da es kaum Straßen gibt, müssen vor allem Flüsse als 'Verkehrswege' genutzt werden", erzählt Cornelius Tschegg: "Damals verlor unser Fahrzeug aufgrund der starken Strömung an Bodenhaftung und blieb im Fluss stecken. Zum Glück ist alles nochmal gut gegangen."
An der Plattengrenze
Strapazen wie diese nehmen Projektleiter Ntaflos und Projektmitarbeiter Tschegg aufgrund der einzigartigen tektonischen Lage Jakutiens auf sich: Hier kollidieren heute die Eurasische und die Nordamerikanische Kontinentalplatte, was zu hoher seismischer Aktivität in der Region führt. An der Oberfläche finden sich überdurchschnittlich viel plutonische und vulkanische Gesteine: Der sogenannte "Chersky Seismic Belt" ist ein wahres Schlaraffenland für LithosphärenforscherInnen.
Kooperation mit Russland
Im Rahmen einer Kooperation mit der Russian Foundation for Basic Research (RFBR) arbeiten Ntaflos und Tschegg im aktuellen FWF-Projekt eng mit russischen WissenschafterInnen zusammen, die einerseits über gute Ortskenntnisse verfügen und andererseits Behördenwege vereinfachen. "Trotzdem war es nicht immer leicht, unsere Gesteinsproben von Russland nach Österreich zu bringen", resümiert Theodoros Ntaflos.
Blinde Passagiere
Von den russischen KollegInnen erfahren die beiden Lithosphärenforscher auch von interessanten Fundgebieten basaltischer Gesteine entlang des "Chersky Seismic Belt". Die Geländewagenfahrt dorthin ist mühsam, lohnt sich aber meistens: Theodoros Ntaflos und Cornelius Tschegg erkennen "ihre" Basalte auf den ersten Blick, da die dunkelgrauen bis schwarzen Gesteine von charakteristischer feinkörniger Struktur sind.
Besonders freuen sich die Forscher, wenn der Basalt auf seinem Weg aus rund 100 Kilometer Tiefe noch "Passagiere", sprich Gesteinseinschlüsse, mit sich bringt. "Beim Aufstieg aus dem Erdinneren reißen die Basalte, die oft nur zwei bis drei Tage an die Erdoberfläche brauchen, andere Gesteine und Mineralien mit", erklärt Ntaflos: "Und zwar von ganz unterschiedlichen Schichten des Erdmantels. Für uns ist das die einzige Möglichkeit, in den Erdmantel zu blicken, da kein Bohrer in solche Tiefen vordringen kann."
Im Labor
Wieder in Wien geht die Arbeit im Labor des Departments für Lithosphärenforschung weiter. Die Gesteinsproben werden mit unterschiedlichen mikroskopischen und geochemischen Methoden analysiert, um Aufschlüsse über das Erdinnere und die dortigen Prozesse zu erhalten. Zuerst erstellen die Forscher Dünnschliffe und studieren die Struktur der Gesteine sowie deren Einschlüsse unter dem Mikroskop. Welche Spurenelemente das Gestein und die darin vorkommenden Minerale enthalten, finden sie über geochemische Methoden heraus.
Ein ganz besonderes Verfahren ist dabei die Bestimmung der Verhältnisse sogenannter radiogener Isotope: Das sind Elemente, die zwar nur in extrem geringer Menge in den Gesteinen zu finden sind, aber sehr viele essenzielle Informationen beinhalten. Die Untersuchungen dazu führte Cornelius Tschegg über zwei Monate in einem High-Tech-Labor an der University of South Carolina durch. "Sind die radiogenen Isotope isoliert und analysiert, befinden wir uns quasi an 'der Quelle': Diese Elemente 'berichten' uns über die Prozesse im Erdinneren und tragen zum Verständnis der Basalt-Entstehung bei", so Tschegg.
Fragen der Wissenschaft
Durch diese und andere Analyseverfahren können die Forscher etwa das Alter der Basalte – manche entstanden vor bis zu 37 Millionen Jahren – sowie das der Einschlüsse bestimmen. Auch die Tiefe jener Stelle, an der die Gesteine ihre Reise an die Erdoberfläche antraten, lässt sich genau ermitteln. Eine weitere Frage, die Ntaflos und Tschegg klären möchten, ist welche tektonischen Prozesse sie an die Oberfläche brachten.
In diesem Zusammenhang konnten sie bereits feststellen, dass dafür eine plötzlich auftretende Druckentlastung im Erdinneren verantwortlich war, die zu einer Schmelzbildung führte. Ihre bisherigen Forschungsergebnisse publizierten die Lithosphärenforscher kürzlich in der geowissenschaftlichen Fachzeitschrift "Lithos". (td)
Das FWF-Projekt "Volcanism near the North America-Eurasia Plate boundary", unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Dr. Theodoros Ntaflos und unter Mitarbeit von Mag. Dr. Cornelius Tschegg, startete im Juni 2009 und läuft bis Mai 2012. Es wird in Kooperation mit der Russian Foundation for Basic Research (RFBR) durchgeführt.
Das Paper "Magmatism at the Eurasian–North American modern plate boundary: Constraints from alkaline volcanism in the Chersky Belt (Yakutia)" (Autoren: Cornelius Tschegg, Michael Bizimis, David Schneider, Vyacheslav V. Akinin, Theodoros Ntaflos) erschien im Juli 2011, das Paper "Polybaric petrogenesis of Neogene alkaline magmas in an extensional tectonic environment: Viliga Volcanic Field, northeast Russia" (Autoren: Cornelius Tschegg, Theodoros Ntaflos, Vyacheslav V. Akinin) im Februar 2011 in der Fachzeitschrift "Lithos".