Warum sind wir nicht perfekt symmetrisch?

In einer Studie untersuchten WissenschafterInnen der Universität Wien erstmals genetische Marker und ihren Einfluss auf die Gesichtsasymmetrie. Die – unerwarteten – Ergebnisse der Untersuchung erschienen im Fachmagazin PLOS ONE.

Warum unsere Gesichtsform nicht perfekt symmetrisch ist, kann viele genetische und umweltbedingte Ursachen haben. In einer neuen Studie untersuchten WissenschafterInnen der Universität Wien erstmals genetische Marker (Punktmutationen), die mit der Entwicklung der Gesichtsform in Zusammenhang stehen, auf ihren Einfluss auf die Gesichtsasymmetrie. Weiters wurde der Einfluss von Homozygotie – auch Reinerbigkeit – auf die Gesichtsasymmetrie analysiert.

Gesichter in 3D

WissenschafterInnen um Sonja Windhager vom Department für Anthropologie der Universität Wien unter Beteiligung weiterer Departments der Fakultät für Lebenswissenschaften untersuchten auf Basis von Genomdaten zum ersten Mal moderne genetische Aspekte menschlicher Gesichtsasymmetrien. Sie verwendeten hierfür eine "Big Data"-Analyse auf Basis bereits existierender umfangreicher Genomdaten von 3.215 Individuen, die dazu korrespondierende 3D-Information der Gesichter sowie genetische Daten aus dem "1000 Genomes Project". Insgesamt konnten so die Daten mehrerer Tausend Personen in die Studie aufgenommen werden.

Getrennte spiegelbildliche Hälften

Viele körperliche Merkmale des Menschen sind bilateralsymmetrisch, d.h. es sind äußerlich zwei von einer Symmetrieebene getrennte spiegelbildliche Hälften erkennbar. Dazu gehört auch das Gesicht. Ein hoher Grad an Symmetrie in Gesicht und Körper steht der gängigen Meinung nach für Entwicklungsstabilität beziehungsweise für die Fähigkeit, schädliche Einflüsse während der Entwicklung abgepuffert zu haben. Homozygotie gilt hier weitgehend als einschränkender Faktor.

Aufgrund des doppelten Chromosomensatzes (Diploidie) haben Menschen an einem Ort des Genoms entweder zwei gleiche ("homozygot") oder zwei verschiedene Ausprägungen ("heterozygot"). Wenn z.B. eine Person die Blutgruppe A aufweist, sind verschiedene genetische Varianten möglich: Es können beide Elternteile die Erbinformation für Blutgruppe A vererben, dann wäre diese reinerbig oder homozygot – sprich "AA", es könnte jedoch auch ein Elternteil die Blutgruppe A, der andere die Blutgruppe B vererben, dann wäre die Blutgruppe der betreffenden Person "AB" – und damit mischerbig oder heterozygot.  Wer mehrere Ausprägungen zur Verfügung hat – so der bisherige Forschungsstand – kann dadurch besser auf verschiedene Störungen reagieren. Ein prominentes Beispiel hierfür sind bestimmte Gene unseres Immunsystems.

Erste Untersuchung mit genetischem Datenmaterial

Nun ist aber niemand perfekt symmetrisch und es wird angenommen, dass das Ausmaß der Abweichungen sowohl durch genetische als auch umweltbedingte Stressoren (Stressfaktoren) beeinflusst wird. Bei bisherigen Untersuchungen wurde die Genetik oft nur indirekt über Familienstammbäume oder Blutgruppen berücksichtigt. Zugängliche Datenbanken und die zunehmende Veröffentlichung von genomischen Datenmaterial jedoch erlaubten nun einen neuen, innovativen Ansatz durch die Einbeziehung direkter genetischer Information.

Weder Punktmutationen noch Homozygotie

"Wir untersuchten einzelne Punktmutationen, von denen aus vorangegangenen Studien bekannt war, dass sie die Gesichtsform beeinflussen, in Hinblick auf einen Zusammenhang mit Gesichtsasymmetrie. Darüberhinaus wurde ein Wert für die Homozygotie eines jeden Teilnehmers errechnet und dieser ebenso in die Analyse einbezogen. Bei beiden Aspekten konnten wir wider Erwarten keinen Zusammenhang mit der Gesichtsasymmetrie nachweisen", so die Anthropologin Sonja Windhager. Die ForscherInnen arbeiten derzeit an einem qualitativ noch wesentlich höherwertigen Datensatz, um zu überprüfen, ob dieser neuartige Forschungsansatz zu einer vollständigen Widerlegung der etablierten Theorien führt. (vs)

Die Publikation "Variation at Genes Influencing Facial Morphology Are Not Associated with Developmental Imprecision in Human Faces" (AutorInnen: Windhager S, Schaschl H, Schaefer K, Mitteroecker P, Huber S, et al.) erschien am 10. Juni 2014 in PLOS ONE.