Anthropologie: Dem non-verbalen Charisma auf der Spur

Wirken sich nonverbale Signale und Äußerlichkeiten auf das Wahlverhalten aus? Ja, sagt der Anthropologe Markus Koppensteiner von der Universität Wien und untersucht die Rolle des Bewegungsflusses bei der Einschätzung von Politikern.

Um den Inhalt seiner Forschung zu erklären, muss Markus Koppensteiner etwas ausholen. Genauer gesagt, führt er uns in die 1980er-Jahre zurück: "Damals schlug die Person-Perseption-Forschung einen neuen Weg ein", sagt der Forscher des Departments für Anthropologie. Dabei zeigt man Versuchspersonen Fotos oder spielt ihnen ganz kurze Videosequenzen vor, und sie müssen eine Einschätzung der Person abgeben. Dann wird überprüft, inwieweit diese Instant-Einschätzungen mit den tatsächlichen Eigenschaften der Person übereinstimmen. Koppensteiner: "Da gibt es erstaunlich hohe Trefferquoten, die zeigen, dass Menschen in der Lage sind, Persönlichkeitseigenschaften an Äußerlichkeiten abzulesen."

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte man hauptsächlich versucht nachzuweisen, welche Fehlleistungen Menschen bei solchen Einschätzungen begehen. Mit dem Aufkommen neuer Methoden musste man feststellen, dass die Leute durchaus in der Lage sind, gewisse Informationen korrekt aus dem Verhalten abzulesen.

Mimik? Gestik? Was genau uns zu Hellsehern macht, weiß keiner so genau. "Und da setzt mein Forschungsprojekt an", sagt Koppensteiner. Er will im Rahmen seines FWF-Projekts "Die Rolle der Bewegung bei der Einschätzung von PolitikerInnen" herausfinden, "wo genau das Signal drinnen liegt – vielleicht sind es ja die Muster des Bewegungsflusses", mutmaßt der Forscher. Um das zu verifizieren, hat sich der Wissenschafter Videoaufzeichnungen von 40 PolitikerInnen aus dem deutschen Bundestag organisiert und Methoden zur Beschreibung von Bewegungsmustern entwickelt: Der Anthropologe übertrug die Politiker-Bewegungen auf Strichmännchen. Damit wurden etwaige Einfluss-Faktoren – etwa das Geschlecht – eliminiert.

Wem vertrauen Sie?

Koppensteiner: "Das Erstellen der Stimuli – der Animationen – ist relativ aufwendig, da trotz beträchtlicher Fortschritte in der automatischen Bewegungserfassung durch neu entwickelte Software-Routinen bisher noch keine Genauigkeit erzielt werden konnte, die das Nachbessern von Hand überflüssig macht. Das Programm habe ich selbst geschrieben."



Das Programm funktioniert folgendermaßen: "Man geht die Videos Bild für Bild durch, setzt mit der Maus Punkte und verfolgt so die Bewegungen nach. Die Punkte werden abgespeichert und in eine Animation umgewandelt, indem man die Punkte abspielt. Verbindet man sie durch Linien, ist das Strichmännchen fertig."

Sehen Sie hier eine von Markus Koppensteiner simulierte Bewegungsstudie.



Im nächsten Schritt schauen sich 150 ProbandInnen, überwiegend Studierende, die nur etwa 15 Sekunden langen Video-Clips der auf ihre Bewegungen reduzierten Strichmännchen an. Und beurteilen das stumme, gestikulierende Strichmännchen auf dem integrierten Fragebogen in Sachen Persönlichkeitsfaktoren sowie Kompetenz etc. Zum Beispiel: Wem würde man vertrauen? Wem nicht?


Ängstlich? Emotional instabil?

Um die Methode zu etablieren, hat sich Koppensteiner vorerst auf einfache Signale konzentriert, "weil ich dachte, dass die vielleicht die Aufmerksamkeit binden". Einige der vorläufigen Ergebnisse: Personen, die Phasen von geringer Aktivität mit solcher von mehr Bewegung abwechseln, werden als angenehmer bewertet. Wer den Kopf nicht stillhalten kann, wird als weniger gewissenhaft eingestuft. Fahrige Bewegungen werden als emotionale Instabilität, Ängstlichkeit und fehlendes In-Sich-Ruhen wahrgenommen.

Bereits Ende des 20. Jahrhunderts untersuchte der Psychologe Siegfried Frey den Einfluss der nonverbalen Kommunikation auf Kultur sowie Politik und stellte fest, dass es Leute gibt, die so etwas wie nonverbales Charisma haben. Koppensteiners Ergebnisse weisen in dieselbe Richtung und bestätigen seine Vermutung: "Das Signal, um das sich alles dreht, ist die Körperbewegung, der Bewegungsfluss."

Mag. Dr. Markus Koppensteiner vom Department für Anthropologie  der Fakultät für Lebenswissenschaften leitet das FWF-Projekt "Die Rolle der Bewegung bei der Einschätzung von PolitikerInnen", das noch bis Ende 2014 läuft.