Von Königen, Bimssteinen, Sternen und Wein: Die Zeitmessung der Vergangenheit

Geschichtsschreibung live: Zwölf Jahre intensive Forschung im Spezialforschungsbereich SCIEM 2000 brachten Licht in viele "dunkle Stellen" in der Chronologie des 2. Jt. v. Chr. für Ägypten, die Levante, Zypern und die Ägäis. Manfred Bietak, Ägyptologe an der Universität Wien und der ÖAW, zieht Bilanz.

Man darf sich das zweite Jahrtausend v. Chr. nicht als einen durch historische Daten dicht erschlossenen Zeitraum vorstellen. Es gibt viele Lücken und dunkle Zeiträume, über die man nur wenig Gesichertes weiß. Im Rahmen des zwölfjährigen Spezialforschungsbereichs SCIEM 2000 (Synchronization of Civilizations In the Eastern Mediterranean in the 2nd Millennium BC) ist es unserem Forschungsteam an der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit internationalen KollegInnen gelungen, viele dieser Lücken zu schließen.

Zentrales Ergebnis ist ein völlig neu berechneter überregionaler Chronologierahmen auf der Basis neu analysierter Regierungszeiten. Dazu haben wir die ägyptische Chronologie von gesicherten historischen Daten im ersten vorchristlichen Jahrtausend bis ins zweite Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgt und mit astronomischen Daten verglichen.


Manfred Bietak, langjähriger Sprecher des Spezialforschungsbereichs SCIEM 2000, hielt am 14. November 2012 in Chicago vor den über 1.000 TeilnehmerInnen der Jahrestagung der renommierten American Schools of Oriental Research – einer der größten amerikanischen archäologischen Vereinigungen – die Keynote "The Discourse between Historical and Radiocarbon Chronology of the Bronze Age in the Levant". Dieser Festvortrag, bei dem der Ägyptologe Bilanz über die Ergebnisse der zwölfjährigen Forschungen zog, wird demnächst publiziert. (Foto: Jeff Callen)




Mit Weinamphoren ...

So haben wir u.a. unsere neuesten Erkenntnisse über die Regierungslängen ägyptischer Könige eingearbeitet, die sich einerseits durch Synchronismen mit der vorderasiatischen Chronologie, andererseits durch neue Funde aus Ägypten ergeben haben. Um die Regierungsdauer eines Herrschers abzuschätzen, sind Weinamphoren besonders aufschlussreich: Auf den Weinetiketten sind häufig die Regierungsjahre des jeweiligen Königs angegeben; und zur Berechnung der Zeitabschnitte der ägyptischen Geschichte hat sich der Mittelwert aus den maximalen und minimal möglichen Regierungsjahren als die wahrscheinlichste Lösung herausgestellt.

... und Sternen Geschichte schreiben

Gleichzeitig ist es Maria Firneis vom Institut für Astrophysik durch neuere Untersuchungen gelungen, die sogenannte Scheingenauigkeit astronomischer Daten der altägyptischen Chronologie zu bereinigen.

Nun umfasst die Schwankungsbreite für den Beginn des Neuen Reiches um 1551 v. Chr. nur mehr plus/minus 15 Jahre, was für eine historische Datierung dieses Zeitabschnittes bemerkenswert ist.


Königsliste von Karnak, eine Darstellung von altägyptischen Könige (Pharaonen) im Amuntempel von Karnak. (Foto: Wikipedia)



Chronologie der materiellen Kultur

Eine besondere Herausforderung war es, die gewonnenen Regierungsdaten auf die archäologischen Fundzusammenhänge umzusetzen. Skarabäen und andere Siegel mit Königsnamen sind trügerisch, da diese Namensträger noch Generationen nach dem Tod des Königs in Verwendung waren und erst mit großer Verzögerung den Weg in ihre endgültigen Deponien fanden.

Hier sind die Bestattungen der Könige und ihrer höchsten Würdenträger in den Residenznekropolen verlässlicher: Diese Daten haben die KollegInnen Bettina Bader vom Institut für Ägyptologie der Universität Wien sowie David A. Aston und Karin Kopetzky von der Kommission für Ägypten und Levante der ÖAW erfolgreich verwendet, um die Chronologie der materiellen Kultur – vor allem der Keramik und ihrer Entwicklung – zu erarbeiten.

Funde kombinieren

In der Folge konnten wir die ägyptische Chronologie in die anderen Regionen des ostmediterranen Raumes transferieren, was besonders gut durch eine sogenannte "vergleichende Stratigraphie" gelang: Dazu verwendeten wir Fundkombinationen, die sich von Ägypten ausgehend in der Levante, Zypern und in der Ägäis wiederfinden. Eine solche Linie führte schließlich auch zu einer Verbindung der ägyptischen und der altbabylonischen Chronologie – ein bisher ungelöstes Rätsel.


Verbindung zwischen ägyptischer und altbabylonischer Chronologie über die Stratigraphie des Tells von Hazor (Abb.: M. Bietak)




Weiters erlaubten die Fundkombinationen von Tell el-Daba im östlichen Nildelta den "Export" der ägyptischen Chronologie in die Levante, Zypern und Ägäis. Zentrales Ergebnis ist die Korrektur der Chronologie der mittleren Bronzezeit, die wiederum vom Fundplatz Hazor im nördlichen Israel eine Verbindung zur Altbabylonischen Chronologie schafft. Hier gibt es eine deutliche Verbindung zur Phase F auf Tell el-Daba im Nildelta (ca. um 1700 v. Chr.), was die "Hohe", die "Mittlere" sowie die ultrakurze "Neue Chronologie" ausschaltet und nur die sogenannte "Kurze Chronologie" (Hammurabi 1728-1686 v. Chr.) möglich macht.


Darstellung der Fundkombinationen, die Schichten verschiedener Tellstratigraphien zusammenschließen (Abb.: SCIEM 2000).  Informationen zu Tell el-Daba




Die Korrespondenz, die Hazor – die mächtigste Königsstadt in Kanaan – als wichtigen Handelspartner von Mari am Euphrat erwähnt, endete bei der Eroberung der Stadt im 32. Jahr Hammurabis.

Was Bäume erzählen

Begleitet wurde die historisch-archäologische Chronologie, die vor allem auf der ägyptischen Chronologie beruht, durch naturwissenschaftliche Datierungsmethoden. So hat Otto Cichocki von der Interdisziplinären Forschungsplattform Archäologie (VIAS) der Universität Wien im Rahmen des Spezialforschungsbereichs eine neue Dendrochronologie (Datierungsmethode auf Basis von Jahresringen von Bäumen) der libanesischen Zeder von der Gegenwart bis ins dritte Jahrtausend v. Chr. aufgebaut. Eine vollständige Dendrochronologie zu erstellen dauert jedoch Jahrzehnte, da die Holzproben aus allen Jahrtausenden lückenlos und mehrfach erfasst werden müssen. Einstweilen liegen Teil-Dendrochronologien vor, die sich bereits bei Synchronisierungsfragen als sehr nützlich erwiesen haben.

Jahrtausendealte Bimssteine mit Konfliktpotenzial

Aufschlussreich war auch die Ausbreitung der Bimssteine aus der Minoischen Eruption (spätbronzezeitlicher Ausbruch der ägäischen Vulkaninsel Thera, heute Santorin). Über die Datierung dieses Vulkanausbruchs gibt es seit Jahrzehnten einen erbitterten Disput zwischen AnhängerInnen der historischen Wissenschaften und den PhysikerInnen der Radiokarbondatierung.


Bimssteine der Eruption von Thera aus Tuthmosidischen Fundschichten in Tell el-Dab'a (Archiv ÖAW)




Max Bichler vom Atominstitut der TU Wien und sein Team haben im Rahmen von SCIEM 2000 mittels Neutronenaktivierung und Petrographie über 400 Bimssteine aus ägyptischen und levantinischen Fundstellen untersucht: Mit dem Ergebnis, dass alle Proben der Minoischen Eruption aus Fundschichten des Neuen Reiches bzw. der späten Bronzezeit (ab ca. 1530 v. Chr.) stammen, während alle früheren Bimse anderen Vulkanen zuzuordnen sind.

Gemeinsam mit den Ergebnissen unserer vergleichenden Stratigraphie steht dieses Resultat im eklatanten Gegensatz zur mittels Radiometrischer Messungen erfolgten Datierung der Thera-Eruption in die zweite Hälfte des 17. Jh. v. Chr.

Schneeballeffekt in der Forschungslandschaft


All diese im Spezialforschungsbereich erarbeiteten neuen Ergebnisse – publiziert in über 40 Monographien und unzähligen Artikeln aus allen Bereichen der Chronologieforschung und Kulturwissenschaften der untersuchten Region – haben insgesamt einen enormen Schneeballeffekt in der Forschungslandschaft ausgelöst. Neben einer Reihe von Folgeprojekten hat SCIEM 2000 in den USA zu zahlreichen Forschungskooperationen geführt, die bis heute andauern. Oft zeigt sich die Dynamik eines Forschungsnetzwerks erst im Nachhinein und hält dieses weiter lebendig.
 


INFOKASTEN:
SCIEM 2000: Im Zentrum des groß angelegten ägyptologischen Forschungsprojekts "Synchronization of Civilizations In the Eastern Mediterranean in the 2nd Millennium BC (SCIEM 2000)", einem 2011 abgeschlossenen, gemeinsamen FWF-Spezialforschungsbereich der Universität Wien, der ÖAW und der Technischen Universität Wien, stand die Chronologie Ägyptens, des ostmediterranen Raumes und der Ägäis im zweiten vorchristlichen Jahrtausend. Geleitet wurde das zwölf Jahre laufende Forschungsprogramm von Manfred Bietak von der Universität Wien und der ÖAW.

TEAM
:
Das Team des Großprojekts bestand neben ÄgyptologInnen der Universität Wien (Manfred Bietak, Irmgard Hein, Bettina Bader) und der ÖAW (David Aston, Bettina Bader, Astrid Hassler, Karin Kopetzky, Vera Müller, Felix Höflmayer, Robert Schiestl) weiters aus Ägäischen PrähistorikerInnen der ÖAW (Sigrid Jalkotzy, Eva Alram), PhysikerInnen des VERA-Labors der Universität Wien (Walter Kutschera, Eva-Maria Wild, Peter Steier, Franz Weninger) sowie Dendrochronologen des Vienna Institute of Archaeological Science der Universität Wien VIAS (Otto Cichocky). Beteiligt war zudem das Atominstitut der TU Wien mit dem Projekt "Thera Asche – eine Datumslinie für die Europäische Geschichte" (Max Bichler, Claudia Peltz, Johannes Sterba). Zahlreiche internationale ForscherInnen waren eingebunden.

ERGEBNISSE:
Im Rahmen von SCIEM 2000 entstand eine redigierte neue Chronologie für Ägypten, die Levante, Zypern und die Ägäis unter ein gemeinsames Dach bringen konnte. Die Ergebnisse wurden in über 40 Monographien und zahlreichen Aufsätzen veröffentlicht. Zur Projektwebsite



Literaturtipps:
M. Bietak, "Antagonisms in Historical and Radiocarbon Chronology", in: A. J. Shortland and C. Bronk Ramsey (Hg.), Radiocarbon and the Chronologies of Ancient Egypt, Oxford 1912, S. 78-110.

W. Kutschera et al., "The Chronology of Tell el-Daba: A Crucial Meeting Point of 14C Dating, Archaeology, and Egyptology in the 2nd Millennium BC", E. Boaretto & N. R. Rebollo Franco (Hg.), Proceedings of the 6th International Radiocarbon and Archaeology Symposium, Radiocarbon Vol. 54, Nr. 3-4 (2012).