Ägyptologie: Geschichten aus den Totenstädten

Mit dem Alten Ägypten verbinden die meisten die Pyramiden von Gizeh – Ruhestätten ägyptischer Könige. Die reich dekorierten Gräber des späteren Mittleren Reichs fanden bisher hingegen wenig Beachtung. Der Ägyptologe Peter Jánosi und sein junges Team machen diesen Schatz nun für alle zugänglich.

Vor hundert Jahren wohnte hier Arthur Schnitzler: "Oma-Tapeten", ein Kachelofen, eine Sitzecke mit Holztäfelung, eine Inneneinrichtung, die noch auf Adolf Loos zurückgeht, prähistorische Weinamphoren und über alle Zimmer verteilt meterhohe Bücherregale. So präsentiert sich den BesucherInnen das Institut – bzw. die Bibliothek – für Ägyptologie der Universität Wien.

In diesem geschichtsträchtigen und gemütlichen Ambiente versuchen der Ägyptologe Peter Jánosi und seine Projektmitarbeiterinnen Lubica Hudáková und Andrea Kahlbacher eine wichtige Ära des Alten Ägypten aus ihrem Schattendasein zu führen – die Periode des Mittleren Reichs.

Grabszenen online abrufbar

Der von 1983-1794 v. Chr. bestehende Staat im Alten Ägypten fand weder in der Wissenschaft noch in der Öffentlichkeit die verdiente Aufmerksamkeit: Die Tempel und königlichen Grabanlagen aus jener Zeit sind – im Gegensatz zu jenen aus dem Alten und Neuen Reich – fast alle zerstört und die Beamtengräber sowie deren Dekorationen schlecht erhalten.


Die Innenkammer des Grabes Djehutihoteps II. in Deir el-Berscheh: Zahlreiche Zerstörungen sowie die späteren Malereien der Kopten sind gut erkennbar. Wer solche Grabfotos aus seinem letzten Ägyptenurlaub mitgebracht hat, kann sie Jánosi und seinen KollegInnen schicken, damit sie Bilddatenbank zu ägyptischen Grabdekorationen vervollständigen können. Veränderungen und Neuerungen in der ägyptischen Kunst in der Zeit vom Alten ins Mittlere Reich stehen dabei im Mittelpunkt. (Foto: Privat)



"Das macht es besonders mühsam, die Puzzlestücke sinnvoll zusammenzuführen", so Jánosi, der zukünftige Arbeiten für sich und seine FachkollegInnen einfacher gestalten will: Im Rahmen eines FWF-Projekts erstellt er zusammen mit seinem Team eine frei zugängliche Bilddatenbank, in der alle Themen, Szenen und Bilddetails der dekorierten Gräber der Oberschicht abrufbar sind. Das Projekt schließt eine Lücke innerhalb der ägyptologischen Kunstforschung. "Bisher haben wir fast tausend Datenbankeinträge – 27 Bildthemen aus über 100 Gräbern haben wir bereits bearbeitet und eingetragen– das bedeutet ein Drittel der Themen ist abgedeckt", berichtet der Projektleiter stolz.

Auf der Suche nach den Totenstädten


Während aus dem Alten Reich über 600 dekorierte Gräber bekannt sind, sind es aus dem Mittleren Reich nur ungefähr hundert: "Das hängt mit den veränderten Strukturen im Mittleren Reich zusammen", erklärt Projektmitarbeiterin Kahlbacher. Während es im Alten und Neuen Reich große Residenz-Nekropolen gab, waren die Nekropolen – also die "Totenstädte" – im Mittleren Reich über die Provinzen zerstreut und fielen dem Verfall oder Zerstörungen durch sekundäre Nutzungen leichter zum Opfer.
Im Bild die Portikusfassaden dreier Gräber. (Foto: Privat)



Von verschiedenen "Grabpublikationen" ausgehend – Bildbände in denen die Dekorationen der Gräber abgebildet sind – versuchen die ÄgyptologInnen jedes Detail der dargestellten Szenen zu beschreiben und kategorisch in die Datenbank einzuspeisen. Das Problem dabei: Viele dieser Publikationen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts herausgegeben – d.h. mit Strichzeichnungen; meist ohne Fotos oder Farben, wodurch viele Informationen verlorengegangen sind. "Da die einfachen Zeichnungen meist auf Details verzichten, versuchen wir nun, auf unkonventionellem Weg an Farbfotos zu gelangen. Möglich wäre ein Aufruf an die UserInnen: Gibt es Privatfotos von Gräbern von der letzten Urlaubsreise nach Ägypten? Für die Bilddatenbank wären Farbfotos eine wichtige Bereicherung", argumentiert die Projektmitarbeiterin Hudáková.

Bierbrauen – nur Männersache?

Inwiefern änderten sich die Bildinhalte und Bildthemen vom Alten zum Mittleren Reich? Warum unterlagen diese Szenen einem Wandel, und welche Entwicklungen kann man daraus ablesen? Hudáková schaut sich dafür in erster Linie die Darstellungen der Frauen in den Gräbern an: "Anhand der Tätigkeiten, bei welchen die Frauen – im Vergleich zu anderen Personen im Bild – dargestellt werden, können wir versuchen, Rückschlüsse auf ihre Berufstätigkeit, bzw. ihren sozialen Status zu ziehen", erklärt die Dissertantin. Während im Alten Reich Frauen auch beim Bierbrauen dargestellt wurden, kommen im Mittleren Reich solche Szenen nicht mehr vor: "Frauen waren jetzt offenbar nur mehr für die Weiterverarbeitung des Getreides und das Brotbacken zuständig."


Das Bierbrauen war im Mittleren Reich zwar nur mehr den Männern vorbehalten, doch beim Brotbacken kamen nach wie vor Frauen zum Einsatz. Der Ausschnitt aus einer Szene des Brotbackens und Bierbrauens zeigt Frauen beim Brotbacken. (Bild: Grab der Senet aus der Grabpublikation von Davies, N. de G. "The Tomb of Antefoker, Vizier of Sesostris I, and of his Wife, Senet", London 1920.)



Spezialisierung und neue Wirtschaftszweige


Dass sich zwischen dem Alten und dem Mittleren Reich eine Spezialisierung in gewissen Bereichen ausgebildet hat, zeigen auch Szenen zur Herstellung von Fischernetzen: Im Alten Reich sitzt eine Person mit den Fischern am Ufer und repariert Netze – im Mittleren Reich befinden sich die reparierenden Männer von den Fischern getrennt in einer Werkstatt. Es hat sich offensichtlich ein eigener Wirtschaftszweig entwickelt. Für die Frauen war die Bürokratisierung und Spezialisierung anscheinend nicht von Vorteil – zumindest in der Leinenherstellung: "Im Alten Reich kennen wir Frauen als Vorsteherinnen des Weberinnenhauses während ihnen im Mittleren Reich dieser Titel abhandenkommt: Die Männer werden immer mehr als Verwalter und Frauen als Arbeiterinnen dargestellt“, analysiert Lubica Hudáková eine Bildszene.

Bürokratisierung und Dezentralisierung

Hudákovás Kollegin Andrea Kahlbacher befasst sich mit der regionalen Entwicklung der funerären Bildszenen in den Gräbern Mittelägyptens und vergleicht diese mit anderen Ruhestätten des Mittleren und Alten Reichs. "Die größten Unterschiede ergeben sich aus der Dezentralisierung im Mittleren Reich: Neben den bestehenden Nekropolen – die an das Alte anknüpfen konnten – kamen mit der Regionalisierung einige Totenstädte mit dementsprechend vielen Neuerungen in den Grabdekorationen hinzu", erklärt Kahlbacher. Auch die Bürokratisierung hat sich auf die Grabszenen ausgewirkt: Die Beamten gewannen im Mittleren Reich an sozialem Ansehen und übernahmen verstärkt die – bis dahin den ägyptischen HerrscherInnen vorbehaltene – königliche Ikonographie.

Wie viele spannende Geschichten die Grabszenen sonst noch zu erzählen haben, zeigt die Fülle an Texten und Verweisen auf weiterführende Literatur in der entstehenden Bilddatenbank. (ps)




Das FWF-Projekt "Bildinhalt & Bedeutung in den Gräbern des Mittleren Reiches" (Projektnummer: P 21571) läuft seit 1. November 2009 bis 31. Mai 2013 unter der Leitung von Ao. Univ.-Prof. Dr. Peter Jánosi, stellvertretender Vorstand des Instituts für Ägyptologie. ProjektmitarbeiterInnen sind die DissertantInnen Mag. Andrea Kahlbacher und Mag. Lubica Hudáková vom Institut für Ägyptologie und Dipl.-Ing. Christian Mader von der Forschungsgruppe Multimedia Information Systems.