Vom Schmutzwasser zu den Geheimnissen des Lebens

Bakterien, die Nitrit oxidieren, spielen in Kläranlagen eine entscheidende Rolle und können als Modellorganismen dienen, um den Stickstoff-Kreislauf in der Natur besser zu verstehen. Holger Daims vom Department für Mikrobielle Ökologie erforscht diese Zusammenhänge.

Holger Daims rückt zur Wiener Hauptkläranlage aus. Mit dabei hat er einen Becher an einem langen Stab. "Damit schöpfen wir den Klärschlamm ab", sagt er. Und nimmt ein paar Liter – "in Glasflaschen schön auf Eis gekühlt" – mit ans Department für Mikrobielle Ökologie der Fakultät für Lebenswissenschaften an der Universität Wien. Und wozu das alles? Der Mikrobiologe untersucht Klärschlamm, genauer gesagt: Nitrit oxidierende Bakterien.

"Nitrit oxidierende Bakterien finden sich überall in der Natur und sind Teil des Stickstoff-Kreislaufs", erklärt Holger Daims: "Dieser wird von Mikroorganismen angetrieben und ist sehr wichtig, denn alle Lebewesen brauchen Stickstoff." Bakterien oxidieren Nitrit zu Nitrat – ein Schlüsselprozess in Kläranlagen, weil im Abwasser zu viel Stickstoff enthalten ist. Es kann bis hin zur Eutrophierung ("Umkippen") natürlicher Gewässer und zur Vergiftung von Wasserlebewesen gehen.

Nützliche Mikroorganismen

"Eine der wichtigsten Aufgaben in den Kläranlagen ist es, diesen Überschuss an Stickstoff herauszuholen", so Daims: "Dabei ist die so genannte Nitrifikation ein zentraler Schritt. Und die Nitrit oxidierenden Bakterien sind Teil dieses Prozesses." Die Krux dabei: Die meisten können nicht im Labor gezüchtet werden. Und so untersucht das Team um Holger Daims die Nitrit-Oxidierer mit neuesten molekularbiologischen Methoden – oft sogar direkt im Klärschlamm der Anlage. "Das funktioniert weitgehend ohne Kultivierung im Labor."

Bunte Bakterien

Apropos Labor: Wir sind mit unseren Glasflaschen voller Klärschlamm und unzähligen Bakterien zurück in der Wiener Althanstraße: "Jetzt folgt die Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung", so Daims mit einem Schmunzeln über den holprigen Fachbegriff, den er sogleich erklärt: "Nennen wir es einfach FISH, jene Methode, mit der wir die Bakterien einfärben können." Mit diesem Verfahren wird etwa die Bakteriengattung Nitrospira rot eingefärbt, "und wir können sie unter einem Fluoreszenzmikroskop in der Belebtschlamm-Probe sehen und bestimmen. Wenn wir möchten, können wir andere Nitrit-Oxidierer in anderen Farben einfärben. Denn wir wollen wissen, welche Bakterienarten darin sind und wie viele."

Mit mehreren Farbstoffen kann die FISH-Methode bis zu sieben verschiedene Bakterienarten gleichzeitig nachweisen, in Kombination mit neuesten Techniken der Mikroskopie und der digitalen Bildanalyse sogar noch mehr. "In einer Kläranlage befinden sich aber hunderte bis tausende Arten."

Kein Leben ohne Mikroorganismen

Kläranlagen, die nicht funktionieren – haben Mikrobiologen herausgefunden – enthalten oft zu wenige Nitrit-Oxidierer. Daims Interesse gilt aber nicht nur den Kläranlagen: "Wir schauen uns die Nitrit-Oxidierer auch in natürlichen Lebensräumen an", sagt er und ergänzt: "Die Vielfalt der Bakterien ist die größte aller Lebewesen. Es ist eine riesige und spannende Aufgabe herauszufinden, was die verschiedenen Bakterien in der Natur tun. Sie sind diejenigen, die alles am Laufen halten."

Daims hat die Kläranlagen also als Modellökosystem erkoren, Nitrospira ist sein Modellorganismus. "Kläranlagen sind ein Super-Ökosystem, weil sich eine unwahrscheinliche Menge an Bakterien darin findet." Nachdem der Forscher manche Kläranlagen öfter beprobt, kann er sogar die Entwicklung der Populationen beobachten. "Kläranlagen, die nicht stabil funktionieren, leiden möglicherweise an mangelnder Mikroorganismen-Vielfalt – was die Nitrit-Oxidierer anlangt, ist eine solche Kläranlage vielleicht sogar eine Monokultur." Wenn das Abwasser nun etwas enthält, womit diese eine Bakterienart nicht fertig wird, liegt die Nitrit-Oxidation lahm: Der Betreiber der Kläranlage hat ein Problem. "Nehmen sie im Vergleich dazu eine Kläranlage, in der es zahlreiche verschiedene Nitrit-Oxidierer gibt – sie haben eine viel größere Chance, dass einige davon das Problem bewältigen!"

Das Ziel sei es also, eine große Vielfalt an Bakterien in der Kläranlage zu erhalten. "Betreibt man die Kläranlage unter möglichst konstanten Bedingungen, selektiert man auf einige wenige Bakterien, die an diese Bedingungen am besten angepasst sind. Die Diversität ist vergleichsweise niedrig. Wir müssen also zusätzliche ökologische Nischen schaffen, die für mehr verschiedene Bakterien, z.B. Nitrit-Oxidierer, passen", erklärt Daims.

Das schaffe man, indem man die Bedingungen immer wieder ein wenig verändere (Intermediate Disturbance Hypothesis). "Man könnte sagen, man stört die Bakterien absichtlich ein bisschen", sagt der Mikrobiologe. Und ermöglicht es so weiteren Arten, sich in der Kläranlage anzusiedeln.

Stickstoffkreislauf verstehen

"Wir wollen die Nitrit-Oxidierer als Modellorganismen in der Kläranlage verstehen und das, was wir dort lernen, in die Natur übertragen", resümiert Mikrobiologe Daims. "Denn Nitrospira sind auch in der Natur die wichtigsten bekannten Nitrit-Oxidierer. Und damit haben wir den Stickstoffkreislauf da draußen besser verstanden."