"Hardcore"- Grundlagenforschung zu Nitrifikation

Ohne Stickstoffkreislauf kein Leben: Mikroorganismen wandeln Ammoniak zu Nitrit und Nitrat um. Bis heute ist dieser hochkomplexe Vorgang der Nitrifikation trotz seiner globalen Bedeutung unzureichend erforscht. Diesem Manko nimmt sich nun Michael Wagner in seinem ERC-Projekt an.

"Ziemlich abgefahren" findet Michael Wagner sein aktuelles Projekt "NITRICARE". Und das aus gutem Grund: Erstmals setzt der Biologe mit dem Gerät NanoSIMS – ursprünglich für die Meteoritenanalyse entwickelt – ein Spezialmassenspektrometer in der Nitrifikationsforschung ein. Das rund drei Millionen Euro teure Instrument, das es weltweit neben der Universität Wien nur an einer Handvoll weiterer Standorte gibt, wurde bis dato hauptsächlich in der Materialwissenschaft und Geologie verwendet.


Dieser Artikel erschien im aktuellen Forschungsnewsletter der Universität Wien. Lesen Sie auch das Vorwort von Rektor Heinz W. Engl, den Artikel "Biochemie: Vom Leben in der Zelle" über die Forschung der Hertha-Firnberg-Stipendiatin Lucia Aronica, die aktuellen Neuberufungen sowie Interviews mit allen DekanInnen und ZentrumsleiterInnen.




Neuartige Einblicke in Mikroorganismen

"Mit NanoSIMS ist es möglich, mit einer räumlichen Auflösung von unter hundert Nanometern festzustellen, aus welchen Elementen – und deren Isotopen – Mikroorganismen aufgebaut sind und diese Daten bildlich darzustellen", so Wagner. NanoSIMS kann damit die Aktivitäten einzelner Zellen in ihren Ökosystemen dokumentieren. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Die zweite Methode, die das Team um Wagner zur Analyse der Nitrifikation einsetzt, ist die sogenannte Raman-Mikrospektroskopie. Im Gegensatz zu NanoSIMS, das im Inneren ein Hochvakuum erzeugt und somit nur tote Materie analysieren kann, ist es mit der Raman-Methode möglich, lebende Organismen zu untersuchen. "Wir erhalten einen Fingerabdruck an Verbindungen der nitrifizierenden Mikroorganismen, erfahren also, welche Lipide, Proteine, Speicherstoffe etc. in den Zellen vorhanden sind und welche Aktivitäten die untersuchten Organismen aufweisen."

Erstmalig kombinieren Wagner und sein Team nun diese beiden sogenannten Einzelzelltechniken – dies liefert den WissenschafterInnen einen detaillierten Einblick in die Biologie nitrifizierender Bakterien und Archaeen.


"Leider ist es so, dass der Mensch durch die industrielle Landwirtschaft massiv in den globalen Stickstoffkreislauf auf der Stufe der Nitrifikation eingreift", so Wagner zur gesellschaftlichen Relevanz seiner Grundlagenforschung. So ist es seit Beginn des 20. Jh. möglich, Ammoniak chemisch herzustellen, und zwar im sog. Haber-Bosch-Verfahren. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung hängt an diesem Verfahren zur Herstellung von Kunstdünger. (Foto: Albrecht E. Arnold/pixelio)



"Lab on an chip": Internationale Zusammenarbeit mit dem MIT

Durchaus komplex gestaltet sich auch die weitere Aufbereitung der Proben – darunter Ackerboden aus Wien, Regenwaldboden aus Costa Rica, Schwämme vom Great Barrier Reef und Biofilme aus Kläranlagen: Nach deren Untersuchung mit dem Ramanspektrometer werden nitrifizierende Zellen mit bislang unbekannten Eigenschaften in diesem Gerät mit einer sogenannten optischen Pinzette gefangen und aussortiert. "Diese noch lebenden Zellen können dann für Anzuchtversuche bzw. zur Bestimmung ihrer Genomsequenz eingesetzt werden", so Wagner.
 
Ein Nachteil dieser faszinierenden und völlig neuartigen Zellsortierungstechnik ist derzeit noch ihre relative Langsamkeit. Um in Zukunft tausende Mikroorganismuszellen aus Umweltproben in wenigen Minuten analysieren und anhand ihrer Aktivität oder chemischen Zusammensetzung sortieren zu können, entwickelt Michael Wagner nun gemeinsam mit WissenschafterInnen des MIT (Massachusetts Institute of Technology) im Rahmen des ERC-Projekts ein sogenanntes "Lab on a chip". Dabei sollen diese hochkomplexen Vorgänge der Ramanspektroskopie, Zellsortierung und Kultivierung bzw. DNA-Vermehrung für die Genomanalyse alle auf einem scheckkartengroßen Minilabor Platz finden; zweifelsfrei ein großer Meilenstein in der mikrobiellen Ökologie.


Nitrifizierende Mikroorganismen machen im Boden aus Ammoniak Nitrat, welches leicht ausgewaschen wird. "Dabei geht viel Dünger verloren; zudem gelangen Stickstoffverbindungen ins Grundwasser und in Flüsse, Seen und Meere." Dort kommt es zur Überdüngung, Algenteppiche entstehen und schlimmstenfalls Todeszonen. "Ein besseres Verständnis der Nitrifikation ist eine wesentliche Grundlage, um künftig ökologisch optimierte Düngeverfahren entwickeln zu können. (Foto: Andreas Hermsdorf/pixelio)



Die Grundlagen der Nitrifikation

Den Mikrobiologen beschäftigen vor allem ganz grundsätzliche Fragen rund um die Nitrifikation, die er mit Hilfe von NanoSIMS und der Raman-Methodik beantworten möchte: "Erst seit kurzem wissen wir, dass neben einigen wenigen hochspezialisierten Bakterien auch bestimmte Archaeen den ersten Schritt der Nitrifikation durchführen. Wie unterscheiden sich diese beiden Organismusgruppen in Bezug auf ihre Physiologie und Ökologie? Gibt es vielleicht noch weitere bislang unentdeckte Nitrifikanten? Existieren auch Archaeen, die den zweiten Schritt der Nitrifikation katalysieren? Und gibt es möglicherweise sogar Nitrifikanten, die sowohl Ammoniak zu Nitrit wie auch Nitrit zu Nitrat machen können? Bis dato sind nur spezialisierte, also jeweils unterschiedliche Mikroorganismen für die jeweilige Umwandlung bekannt. Und bezüglich bekannter Nitrifikanten interessiert uns, ob diese wirklich nur nitrifizieren oder auch andere Aufgaben in der Natur übernehmen", fasst Wagner die wesentlichen Aspekte seiner, wie er sie nennt, "Hardcore"-Grundlagenforschung" zusammen. (td)

Das fünfjährige ERC-Projekt "NITRICARE" läuft seit Mai 2012 unter der Leitung von Univ.-Prof. Mag. Dr. Michael Wagner, dem Leiter des Departments für Mikrobielle Ökologie und der Großgeräteeinrichtung für Isotopenforschung und wird im Rahmen eines ERC Advanced Grant mit 2,5 Millionen Euro gefördert.