Unsere Gletscher im Jahr 2050

Wie es im Jahr 2050 um die Gletscher der Welt bestellt sein wird und welche Gefahren der Gletscherschwund mit sich bringt, haben Umweltgeowissenschafter der Universität Wien im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit auf den Punkt gebracht.

Durch das zunehmende Schwinden der Gletscher im 21. Jahrhundert wird nach und nach Fläche eisfrei. Was hat das für Konsequenzen, Herr Häusler? "Das wird zu erheblichen Umgestaltungen des Gletschervorfeldes führen", warnt der Umweltgeowissenschafter der Universität Wien: "In übertieften Gletschersenken werden sich neue Gebirgsseen bilden, was das potentielle Risiko von Naturgefahren erheblich erhöhen wird. Eisabschmelzung werden Bergflanken, aber auch Hangfußlagen destabilisieren." Auch könnten Flutwellen ausgelöst werden und in den Tälern zu enormen Zerstörungen führen, wenn riesige Geröll- und Gesteinsmassen in die nach dem Abschmelzen gebildeten Seen stürzen, so Hermann Häusler weiter.

Der Forscher und sein Team am Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien haben die Gletscherentwicklung im Tien-Shan-Gebirge bis zum Jahr 2050 modelliert – als Lead-Partner in einem zweijährigen EU-Projekt zu den Auswirkungen des Klimawandels in den Alpen, Lappland und Krigisien. Die Forschung war Teil des "CIRCLE-2 MOUNTain"-Projekts (Climate Impact Research & Response Coordination for a Larger Europe), an dem WissenschafterInnen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz, der Tschechischen Republik, Schweden, Kirgisien, Kasachstan, Usbekistan und den USA beteiligt sind.

Glazial-hydrologisches Modell

Eine Herausforderung für die Wissenschafter war es, dass in Kirgisien nur sehr eingeschränkt Zeitreihen von Niederschlags- und Lufttemperaturdaten zur Verfügung stehen. Darum wurden auf Basis von globalen Analysedaten (1948-2012) und globalen Modelldaten (2001-2050) sogenannte statistische Downscaling-Methoden angewendet, um lokale Klimainformationen an ausgewählten meteorologischen Stationen zu berechnen. "Ziel war es, das für den Alpenraum bereits erfolgreich durchgeführte Downscaling-Verfahren für einzelne Regionen Zentralasiens anwendbar zu machen", erläutert Wolfgang Schöner, Projektpartner an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in Wien.

"Auf dieser Datenbasis ist es uns gelungen, die zukünftige Gletscherentwicklung anhand mehrerer Szenarien bis zum Jahr 2050 zu modellieren", erklärt Hermann Häusler. Dieses sogenannte "glazial-hydrologische Modell" erlaubt es, das zukünftige Gletscherverhalten und die damit verbundenen Prozesse und Risiken zu beurteilen. "Auch haben wir Vorschläge erarbeitet, wie die mit den geologischen Veränderungen einhergehenden Risiken reduziert werden können, und diese mit den Betroffenen in Kirgisien diskutiert", ergänzt Diethard Leber, Post-Doc im Team von Hermann Häusler.

Rätsel um galoppierende Gletscher

Im Rahmen des transnationalen Projekts ist Kirgisien besonders spannend. Obwohl zwar auch in Zentralasien generell das Abschmelzen der Gletscher überwiegt, sind im bis 7.000 Meter hoch gelegenen Projektgebiet im Grenzbereich Kirgisien-China-Kasachstan mehrfach "glacial surges" – rasche Gletschervorstöße – aufgetreten. Sie werden in der Literatur auch als "galoppierende Gletscher" beschrieben; der jüngste "surge" erfolgte 1996 im nördlichen Inylchek-Tal. Wieso das so ist, bleibt nach wie vor ein ungelöstes Rätsel.

Zeitreihenanalysen von Stereo-Luftbildern seit den 1940er-Jahren und Satellitenbilder bis zur Millenniumswende belegen zuerst ein Abschmelzen des nördlichen Inylchek-Gletschers, wodurch sich ein Gletschersee bis zu einer Länge von vier Kilometern ausbildete. Im Spätherbst des Jahres 1996 kam es zu einem über drei Kilometer weiten Vorstoß des Gletschers mit Geschwindigkeiten von bis zu 40 Meter pro Tag. Das vom Gletscher verdrängte Wasser hat schließlich einen tiefer gelegenen Talbereich überflutet.

"Es wäre interessant, die Ursachen derartiger rascher Gletschervorstöße weiter zu untersuchen, da sie in Zeiten der globalen Klimaerwärmung einen regional gegenläufigen Trend des Gletscherverhaltens anzeigen und die damit verbundenen Gletscherseeausbrüche ein erhöhtes Gefährdungspotenzial darstellen", erläutert Hermann Häusler.


Erst vom Hubschrauber aus sieht man das ganze Ausmaß der letzten Vermurung einer Feriensiedlung südlich von Bishkek. Starkniederschläge und Gletscherseeausbrüche bilden ein zunehmendes Gefährdungspotential. (Foto: Hermann Häusler)



Frühwarnsystem aufbauen

Derzeit wird in Kirgisien ein Frühwarnsystem eingerichtet. "Die europäischen WissenschafterInnen sind in ständigem Informationsaustausch mit ihren KollegInnen vor Ort", erzählt Hermann Häusler. Weiters werden Folgestudien gemäß den Anforderungen des kirgisischen Katastrophenschutzministeriums implementiert. (vs)


Das zweijährige Projekt "Impact of climate change and related glacier hazards and mitigation strategies in the European Alps, Swedish Lapland and the Tien Shan Mountains, Central Asia" unter der Leitung von Hermann Häusler und Diethard Leber vom Department für Umweltgeowissenschaften der Universität Wien lief im Rahmen des EU-FP7-Programms "CIRCLE-2 ERA-Net: Climate Impact Research & Response Coordination for a Larger Europe".