Tiere mit speziellem Status

Alen Kristof, Zoologe am Department für Integrative Zoologie der Universität Wien, spürt ganz besonderen Tieren nach: den Spritzwürmern. Was erwachsene Sipuncula so besonders macht, ist die fehlende Segmentierung.

Sommer 2013, Wladiwostok. Alen Kristof hat sich bei seinen Kooperationspartnern der Meeresbiologischen Station angekündigt. Die nächsten acht Wochen verbringt der junge Forscher vom Department für Integrative Zoologie der Universität Wien hier am japanischen Meer, umgeben von praktisch nur Natur, um seine Forschungsobjekte einzusammeln: Sipunculiden, auf gut deutsch Spritzwürmer.

Dazu müssen die Taucher der Station runter auf fünf bis acht Meter Tiefe: "Ich erkläre meinen Kooperationspartnern, was sie holen sollen – viele zusammenhängende Muscheln." Dazwischen findet Kristof seine Objekte der Begierde. "Die Spritzwürmer nutzen die Fläche zwischen den Muscheln, um geschützt zu sein", erklärt er. "Sie filtern das Wasser und ernähren sich von den Partikeln im Wasser oder fressen Substrat vom Meeresboden. So, wie es Regenwürmer in den Bodenschichten der Erde auch machen. Es gibt etwa 150 Arten in unterschiedlichen Größen. Die, mit denen ich arbeite, sind erwachsen etwa 15 Zentimeter groß." Die Tiere sind nicht segmentiert. Der schlanke rüsselartige Vorderkörper kann in den Hinterleib eingezogen werden. Am Ende des Vorderkörpers sitzt ein Kranz mit Tentakeln, mit denen die Spritzwürmer ihre Nahrung aufnehmen.

Verwandtschaftliche Zuordnung unklar

Klingt, als wären die Spritzwürmer gut erforscht. Doch die verwandtschaftliche Zuordnung der Tiere war bis vor kurzem vollkommen unklar. Bis weit in die 1960er Jahre wurden sie beispielsweise mit Stachelhäutern in Verbindung gebracht. Eine andere Deutung stellte Beziehungen zu Ringelwürmern her, wobei hier sowohl eine Art Vorläuferstatus der Spritzwürmer, als auch ein abgeleiteter Status – also sekundärer Verlust einer Körpersegmentierung – postuliert wurde. "Mittlerweile haben wir viele Ergebnisse, die darauf hindeuten, dass sie tatsächlich zu den Ringelwürmern gehören", sagt Kristof. Unter anderem auch seine Doktorarbeit.

Die letztgenannte Interpretation wird neuerdings durch molekulargenetische Studien stark unterstützt. Alen Kristof konnte auf die molekularen Forschungsergebnisse von Kollegen aufbauen und stellte fest, dass das Merkmal der Segmentierung beim erwachsenen Wurm zwar verloren gegangen, in der Entwicklung aber noch vorhanden ist. "Das wollen wir jetzt molekular nochmals untersuchen. Wir wollen bestimmte Gene bei den Spritzwürmern untersuchen – jene, die bei segmentierten Tieren dafür verantwortlich sind, die Segmente aufzubauen."

Gleich ist nicht gleich

Der Zoologe an der Fakultät für Lebenswissenschaften möchte klären, ob die Entwicklung gleich abläuft, wie bei ähnlichen Tieren. "Wenn nicht, zeigt es – wieder einmal –, dass gleiche Gene in verschiedene Tieren doch nicht das Gleiche machen" sagt er.

Kristof spricht ein Problem an: "Wissenschafter, die an Modellorganismen wie Zebrafisch oder Drosophila arbeiten, verallgemeinern ihre Forschungsergebnisse gerne." Sie entschlüsseln an ihrem Modelltier das Gen, das zum Beispiel für die Kopfentwicklung zuständig ist und schließen, dass es immer und überall für die Kopfentwicklung zuständig sei. Weil Fliege und Fisch so weit entfernt verwandt sind, muss der gemeinsame Vorfahre der beiden auch einen Kopf gehabt haben. Eigentlich sei diese Schlussfolgerung unzulässig.

Zurück in Wladiwostok: Alen Kristof bringt seine Forschungsobjekte ins Labor und hält sie im Meerwasser, "das ich täglich wechsle". Und wartet. Langsam erwärmt sich das Wasser und die Tiere laichen ab. "Ich brauche viele Tiere für meine Forschungen, um die RNA zu bekommen, mit der ich arbeite und in der ich meine Gene finde." Mit zehn Eiern pro Stadium ist da nichts, "da brauche ich schon 1.000 in unterschiedlichen Stadien". Dann geht es zurück nach Wien und "ich schicke die RNA zu einer Firma, die sie sequenziert". Später geht es ans Vergleichen der Gene. Die Tiere behält sich Kristof für seine Laborarbeit. Er liebe die Abwechslung von Feld-, Labor- und Schreibarbeit, sagt er. "Sonst wäre mir langweilig."

Das FWF-Projekt "Molekulare Mechanismen bei der Sipunkuliden Morphogenese" unter der Leitung von Dipl.-Biol. Dr. Alen Kristof läuft im Rahmen des Lise-Meitner-Programms noch bis November 2015.