Andreas Wanninger: Verwandtschaftsforscher im Tierreich
| 05. Januar 2012Man sieht es ihnen nicht an, aber die langsame, schleimige Schnecke und der agile, vielarmige Tintenfisch sind eng miteinander verwandt. "Wie aber komm' ich vom Schneck' zum Tintenfisch?", fragt der neue Professor für Morphologie der Tiere, Andreas Wanninger.
Andreas Wanninger ist, wie sein Akzent verrät, in Oberbayern aufgewachsen – am Land: So habe er die Liebe zur Natur und sein Interesse für Tiere, Pflanzen, Umwelt und Ökologie "praktisch in die Wiege gelegt bekommen" – auch wenn er kein "Klischee-Biologe" sei, der schon im Kleinkindalter Käfer und Schnecken gesammelt hat, wie er schmunzelnd gesteht.
Die 1990er Jahre, als er seine Leidenschaft zum Beruf machte und in München im Hauptfach Zoologie und in den Nebenfächern Botanik und Fischereibiologie studierte, waren bewegte, innovative Jahre für die Disziplin. Zum einen begann gerade die Erfolgsgeschichte der Genetik. Dass die Genforschung nicht sein Schwerpunkt wird – "ich wollte immer mit 'handfesten' Tieren arbeiten" – , war ihm aber damals schon klar, wenngleich der 41-Jährige heute auch molekularbiologische Methoden nutzt, um seine anatomisch-morphologischen Fragestellungen so umfassend wie möglich zu beantworten. "Zum anderen hielten in dieser Zeit viele neue mikroskopische Techniken Einzug in die Biologie: Zum Beispiel die Konfokalmikroskopie, die ich gemeinsam mit meinem damaligen Doktorvater Gerhard Haszprunar – übrigens ein gebürtiger Wiener und Alumnus der Universität Wien – in seiner Arbeitsgruppe etabliert habe."
Was in der anatomisch-morphologischen Forschung – überspitzt ausgedrückt – vor 25 Jahren pro Tier eine ganze Doktorarbeit in Anspruch genommen hätte, ist mit Hilfe der Konfokalmikroskopie heute die Sache von einem Tag. Dadurch sind in überschaubaren Zeiträumen größere vergleichende Studien möglich. (Foto: Andreas Wanninger) |
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Leidenschaft, Innovationsmut und Expertise bringt der Morphologe und Entwicklungsbiologe nun – nach Zwischenstationen u.a. als Postdoc an der University of Queensland (Australien) sowie als Assistenzprofessor und Leiter der Abteilung für Vergleichende Zoologie an der Universität Kopenhagen (Dänemark) – mit an die Universität Wien. Seit März 2011 ist er Professor für Morphologie der Tiere, seit Juli 2011 leitet er das neue Department für Integrative Zoologie: "Hier setzen wir, wie der Name schon sagt, auf Breite, Vielfalt und vergleichende Forschung: sowohl was die untersuchten Tiergruppen als auch was die methodische Herangehensweise betrifft."
Von den ganz Kleinen zum großen Ganzen
Inhaltlich beschäftigt man sich u.a. mit Verwandtschaftsverhältnissen von Tiergruppen. Der Forschungsschwerpunkt des Departmentleiters ist die vergleichende Untersuchung der Evolution von Organsystemen (Morphogenese) – mit Fokus auf Muskel- und Nervensysteme. Die Forschungsobjekte sind oft Tiere, die noch einen Großteil der ursprünglichen Merkmale ihres jeweiligen Tierstamms aufweisen. Da das Leben im Meer entstanden ist, zählen dazu hauptsächlich Meeresbewohner, wie etwa Würmer (z.B. Anneliden) oder Weichtiere (Mollusken). "Letztendlich suchen wir nach dem Urzustand, dem basalen Körperbauplan dieser Tiere", bringt es Wanninger auf den Punkt.
Hier sieht man das – mit einem Antikörper gegen den Neurotransmitter Serotonin gefärbte – Nervensystem einer Larve aus dem Stamm der Kamptozoa (Nicktierchen). Die Größe des Tieres liegt bei ca. einem Zehntel Millimeter. (Foto: Andreas Wanninger) |
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Da er hauptsächlich entwicklungsbiologisch arbeitet, sind viele Untersuchungsobjekte – Embryos und Larven – so klein, dass man sie mit bloßem Auge nur als schwimmende Punkte erkennt. Die Konfokalmikroskopie erlaubt es, auch diese Winzlinge – wie beispielsweise Larven der Furchenfüßer aus dem Stamm der Mollusken, die der Evolutionsforscher in einem aktuellen FWF-Projekt untersucht – im Detail zu analysieren: Dabei werden Nerven- oder Muskelsysteme mit Fluoreszenzfarbstoffen eingefärbt und im Lasermikroskop gescannt – das Ergebnis ist ein dreidimensionaler Datensatz.
Morphogenese und Entwicklungsgenetik kombinieren
Zusätzlich machen es molekularbiologische Methoden möglich, tierische Entwicklungsprozesse – z.B. die Metamorphose von der Larve zum ausgewachsenen Wurm – nicht nur auf Organebene, sondern auch auf Genexpressionsebene zu untersuchen: Welches Gen ist beispielsweise daran beteiligt, dass sich das Nervensystem ausbildet? "Das ist für mich persönlich eine neue Richtung: die Kombination von Morphogenese und Entwicklungsgenetik", sagt Wanninger, betont aber: "Letztendlich geht es darum, fragestellungsorientiert zu arbeiten: Was ist die jeweils beste Methode oder vielmehr: die beste Methodenkombination, um meine Forschungsfrage zu beantworten?"
Die Suche nach dem Urzustand
Im aktuellen FWF-Projekt geht es um die Evolution von Mollusken, zu denen auch Tintenfische und Schnecken gehören: Wie sah der Urmollusk aus? "Man stelle sich vor, dass Schnecken mit ihrem relativ einfach gebauten Nervensystem und Tintenfische mit ihren vielfältigen kognitiven Fähigkeiten quasi Schwestergruppen sind. Hier kann auch der Laie erkennen, dass da im Laufe der Evolution etwas Interessantes passiert sein muss!", veranschaulicht der Wissenschafter, was ihn an seinem Forschungsfeld so fasziniert.
Chitonenlarven – primitive Weichtiere (Mollusken) – sind ca. ein Fünftel Millimeter groß. Im Bild die Muskulatur einer Chitonenlarve. (Foto: Andreas Wanninger) |
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"Dazu kommt eine gewisse kindliche Neugier: Wir arbeiten nicht mit Modellorganismen, sondern mit teilweise noch sehr wenig erforschten Tierarten", fährt Wanninger, der sich gerne auch in der Grundlehre engagiert und jungen Studierenden seine Begeisterung für Evolution und Morphologie weitergibt, fort: "Da kommt es schon mal vor, dass ich ein Muskelsystem vor mir habe, das noch kein Mensch kennt, aufs Lamperl drücke, durchs Mikroskop schaue und der erste bin, der das jemals sieht!" (br)
Univ-Prof. Dr. Andreas Wanninger hält am Freitag, 13. Jänner 2012, um 17 Uhr seine Antrittsvorlesung zum Thema "Morphologie als biologische Schlüsseldisziplin im Zeitalter von Genomik und Proteomik" im Kleinen Festsaal der Universität Wien.
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