"Sinai Palimpsest Project": Alte Schriften neu entdecken

Das Katharinenkloster am Sinai ist ein Ort voller Geheimnisse. Ein internationales Forschungsteam rund um Claudia Rapp von der Universität Wien sucht in den Schätzen der dortigen Bibliothek nach ausradierten Schriften und verlorenen Sprachen. Von 25. bis 27. Oktober wird das Projekt präsentiert.

"Das 'Sinai Palimpsest Project' ist einzig in seiner Art: Ziel ist die Bearbeitung von mittelalterlichen Handschriften aus dem Katharinenkloster am Sinai in Ägypten, die einer frühen Form des Recycling unterzogen wurden", erklärt Claudia Rapp, stellvertretende Vorständin des Instituts für Byzantinistik und Neogräzistik der Universität Wien. Die Expertin fungiert im Rahmen des ambitionierten internationalen Forschungsvorhabens als Scholary Director: "Recycling heißt in dem Fall, dass die ursprüngliche Tinte von den Buchseiten abgewaschen oder abgekratzt und das Pergament wieder als Beschreibstoff verwendet wurde."

Schätze der Handschriftenkunde …

Das Katharinenkloster am Fuße des Berges Sinai in Ägypten wurde im 6. Jahrhundert vom byzantinischen Kaiser Justinian gegründet und ist damit das älteste bis heute bewohnte Kloster der Christenheit. Über mehr als ein Jahrtausend lang haben sich dort Mönche, Pilger und Forscher mit dem christlichen Schrifttum auseinandergesetzt. Die Klosterbibliothek enthält mit über 4.500 Objekten große Schätze der Handschriftenkunde. Darunter sind auch über 130 Palimpsesthandschriften, deren ausradierte Schriften ein Spiegelbild der mittelalterlichen Christenheit darstellen: Griechisch, Syrisch, Georgisch, Altkirchenslavisch, Armenisch, Arabisch, Äthiopisch, aber auch Latein sind dort in den ausradierten Textschichten zu finden.



Die Bibliothek des Katharinenklosters gilt als die älteste erhaltene christliche Bibliothek. In ihrer Sammlung, die an Umfang nur durch die des Vatikans übertroffen wird, befinden sich zahlreiche handschriftliche Schätze. Zumindest die wichtigsten davon wurden mittlerweile auf Film gebannt, um sie für die weitere wissenschaftliche Erforschung zugänglich zu machen.



… zu neuem Leben erwecken


Der Arbeitsprozess, durch den die alten überschriebenen Teile der "recycelten" Handschriften wieder zum Leben erweckt werden, vollzieht sich in mehreren Schritten: "Zuerst erfolgt die kodikologische Analyse der Handschrift vor Ort, mit der festgestellt wird, in welcher Reihenfolge die einzelnen Pergamentblätter zu kleinen Heften zusammengefasst sind, die dann den gegenwärtigen Kodex formen. Dies ist meine Aufgabe, die mich mehrfach im Jahr in das Kloster am Sinai führt", betont die Professorin für Byzantinistik an der Universität Wien, die auch die Abteilung Byzanzforschung am Institut für Mittelalterforschung der ÖAW leitet.

Anschließend wird jede Seite 31 Mal mit verschiedenen Wellenlängen von Licht und unterschiedlichen Einstrahlungsvarianten aufgenommen. "Diese Aufnahmen werden in einem nächsten Schritt durch die Image Scientists in verschiedener Weise gemixt und an Computern manipuliert, um die untere, ausradierte Schrift lesbarer zu machen", erläutert die Expertin. Danach sind FachwissenschafterInnen an der Reihe, die aufgrund der bearbeiteten Aufnahmen den Text identifizieren und die paläographischen Charakteristika der jeweiligen Handschrift feststellen. "Das Endprodukt wird eine Open-Access Datenbank sein, die neben den nachbereiteten Digital-Aufnahmen auch eine kurze Katalogbeschreibung für jede Seite enthält", stellt Rapp klar.


Im Bild ist ein Beispiel einer ausradierten Schrift ersichtlich, die mittels aufwändigen technologischen Verfahren wieder zum Leben erweckt werden konnte. Um dies zu ermöglichen, greifen Experten aus den Bereichen Computer- und Aufnahmetechnik auf experimentelle Methoden des "Image Processing" zurück.



Wiederentdeckte Sprachen

Bereits 2001 wurde auf diese Weise von Zaza Alexidze, einem Mitglied des internationalen Projektteams aus Georgien, eine Sprache entdeckt, die bis dahin nur von Inschriften und indirekten Quellen bekannt war: Caucasian Albanian, entfernt verwandt mit der heutigen Sprache des Kaukausus-Volks der Udi in Aserbaidschan. Eine weitere Sprache bzw. Dialektvariante, die durch die Sinai-Palimpseste erst jetzt in großem Umfang bekannt geworden wird, ist Christian Palestinian Aramaic. Diese Schrift ist mit dem Syrischen verwandt und wird seit dem 12. Jahrhundert nicht mehr gebraucht.

"Hier in Wien hat Heinz Miklas (Slawistik) erst vor kurzem ein langjähriges Projekt zu einer Palimpsesthandschrift aus derselben Sammlung zum Abschluss bringen können, dessen ausradierte Schicht liturgische Texte in glagolitischer Schrift enthielt, die für die Slawistik von großer Bedeutung sind", ergänzt Claudia Rapp.

Konferenz mit prominenter Gästeliste

Das "Sinai Palimpsest Project" wird im Auftrag seiner Eminenz Damianos, Erzbischof und Abt des Katharinenklosters, und der Heiligen Versammlung der Mönche des Klosters sowie mit tatkräftiger Unterstützung des Bibliothekars Hieromonachos Justin Sinaites ("Father Justin") durchgeführt. Die Projektleitung hat Michael Phelps, Präsident von EMEL (Early Manuscript Electronic Library), inne. "Alle drei werden uns bei der Tagung von 25. bis 26. Oktober mit ihrer Anwesenheit beehren", freut sich Rapp.

Father Justin, ehemals ein Student der klassischen Philologie in Texas, wird den öffentlichen Eingangsvortrag mit dem Titel "The Sinai Palimpsets Project: Piercing the Mists of Time" am Freitag halten. Am Samstag findet dann die Arbeitssitzung der ProjektmitarbeiterInnen am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik in der Postgasse statt. Die Veranstaltung wird erstmals alle MitarbeiterInnen des Projekts, das Technical Team ebenso wie das hochkarätige Team internationaler FachwissenschafterInnen in der Handschriftenkunde der verschiedenen Sprachen zusammenbringen. (red)

The Sinai Palimpsests Project – International Workshop

Freitag, 25. Oktober 2013 (Voranmeldung telefonisch unter +43-1-4277-41001)
Club Stephansplatz 4
Stephansplatz 4, 1010 Wien
Samstag, 26. Oktober 2013 (nur mit Einladung)
Institut für Byzantinistik und Neogräzistik, Lecture Room
Postgasse 7, 1010 Wien
Sonntag, 27. Oktober 2013 (nur für Projektmitglieder)
Institut für Byzantinistik und Neogräzistik
Postgasse 7, 1010 Wien
Programm (PDF)
TeilnehmerInnen (PDF)