PiratIn für die Nation

Piraten sind nicht nur die Helden oder Bösewichte aus den Geschichten unserer Kindheit. Dass diesen Romanfiguren ein nationaler "Bildungsauftrag" zukam und sie nicht immer "raue Männer" waren, zeigt Alexandra Ganser in ihrem Elise Richter-Projekt.

Wie wird aus einer Bevölkerung eine Nation, wenn sie sich durch diverse kulturelle, soziale und geographische Hintergründe und unterschiedliche Muttersprachen auszeichnet? Nicht nur für jene, die im späten 18. Jahrhundert für einen unabhängigen US-amerikanischen Staat kämpften, war dies eine wesentliche Frage.

Auch die Literatur des 19. Jahrhunderts tat das ihrige, um die Bildung der Nation zu unterstützen. Dies entsprach dem gängigen Diskurs jener Tage, in denen sich der US-amerikanische Nationalstaat konsolidierte. Der Pirat bzw. die Piratin war in diesen Romanen eine typische literarische Figur.

Mit Piratenromanen Geschichte verstehen

Die oft billig produzierten Vorläufer der heutigen Groschenliteratur gehören zum Grundstock des Habilitationsprojekts von Alexandra Ganser. In den nächsten zweieinhalb Jahren wird sie an der Universität Wien die Piraterie als Thema atlantisch-amerikanischer Literatur zwischen dem späten 17. Jahrhundert bis zum Ende des amerikanischen Bürgerkriegs im Jahr 1865 untersuchen. Ihre Anstellung am Institut für Anglistik und Amerikanistik wird zur Hälfte durch das Elise Richter-Programm des FWF getragen.

"Mir geht es um die Frage, wie die Piratenfigur in der Literatur und Kultur entworfen und artikuliert wird", erklärt die Forscherin. Welche Funktionen hat diese Figur?" Dabei interessiert es sie vor allem, wie über die Rolle der PiratInnen Vorstellungen von Legitimität und Illegitimität verhandelt werden bzw. wie sich diese verändern. Mit ihrer Forschungsperspektive betritt sie Neuland, das in den existierenden literatur-, kultur-, und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten noch nicht erschlossen wurde.

Zwischen Umsturz und Freiheitskampf

Piraten in Alexander Exquemelins Roman "The Buccaneers of America" (1678) sind noch blutrünstige Gestalten …

War "der Pirat" in der Literatur des 17. Jahrhunderts noch eine blutrünstige Gestalt, sah sein literarisches Image zwei Jahrhunderte später ganz anders aus. Im 19. Jahrhundert verwandelten sich die RäuberInnen der Meere in FreiheitskämpferInnen: Durch die Unterdrückung seitens der britischen Krone in diese Rolle "gezwungen", wurden sie als mutige, höheren moralischen Zielen verpflichtete HeldInnen gezeichnet.

Die rückblickenden Darstellungen vermittelten auf populäre Weise eine Nationalgeschichte, die mit den aus britischer Sicht illegalen Unabhängigkeitsbestrebungen in den amerikanischen Kolonien ihren Anfang nahm. Entsprechend wurden "piratische" AktivistInnen für einen eigenständigen Staat nicht als kriminell, sondern als heroisch dargestellt.

PiratInnen als Vorbilder und kulturelle VermittlerInnen

Der Bedeutungswandel der Figur verweist daher einerseits auf die Auseinandersetzungen um die Legitimität der US-Nation. Andererseits hatten die piratischen RomanheldInnen auch eine kulturelle Vermittlungsfunktion inne: "Der Pirat als Outlaw wird eingemeindet und wieder in das nationale Narrativ eingebettet, um eine gemeinsame Identität zu konstruieren", erklärt die Forscherin. Wie Cowboys eignen sich PiratInnen als Rollenvorbilder, "um ImmigrantInnen aus der Working Class ein Nationalgefühl und die nationale Geschichte zu vermitteln."

Um zu gelingen, musste sich dieses Ansinnen sowohl an ein männliches als auch an ein weibliches Publikum richten. Vereinzelt erschienen Geschichten auf dem Markt, in denen Romanheldinnen in Männerkleidung piratische Abenteuer erlebten. Wie für ihre männlichen Pendants konnten sich diese Geschichten auf historische Vorbilder beziehen, wenngleich Piratinnen die Ausnahme blieben.

… was auf Fanny Campbell (Hauptfigur des Romans von Lieutenant Murray, 1844) nicht mehr zutrifft. Sie und andere PiratInnen vermittelten im 19. Jahrhundert US-Geschichte. (Quelle: American Antiquarian Society)

Spitzenforschung durch Frauenförderung

Im Elise Richter-Programm des FWF findet Alexandra Ganser die Unterstützung, ohne die Spitzenforschung nicht leistbar wäre. Aber auch im Jahr 2015 kämpfen Frauenförderungsprogramme, die die männliche Dominanz des Wissenschaftsbetriebs durchbrechen, mit dem Klischee geringerer Kompetitivität. "Die Erfolgsquote ist dort genauso hoch bzw. niedrig wie in anderen Programmen, weil es so wahnsinnig viele Bewerbungen gibt", betont Ganser, die bereits in den USA und Erlangen gelehrt und geforscht hatte, bevor sie an "ihre" Alma Mater zurückkehrte.

In ihren vielfältigen Forschungen beispielsweise zu weiblichen Erzählungen des Reisens oder dem transatlantischen Austausch in der Populärkultur blieb sie den "Figuren der Bewegung" als Motiv treu. Gemeinsam mit der Forschungsplattform "Mobile Kulturen und Gesellschaften" an der Fakultät für Sozialwissenschaften und der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien plant sie für Jänner 2016 eine Konferenz zur Darstellung maritimer Mobilität in Literatur und Kultur, auf der Vorstellungen von Mobilität interdisziplinär diskutiert werden sollen. (jr)

Mag. Dr. Alexandra Ganser forscht derzeit am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien für ihre Habilitation mit dem Titel "Crisis and Discourses of (Il)Legitimacy in American Narratives of Piracy, 1678-1865". Sie erhält Forschungsmittel aus dem Elise Richter-Programm des FWF, Projektlaufzeit Februar 2015 bis Februar 2018.