Winnetou war gestern

Lange Haare und Federschmuck, mutig und naturverbunden: Karl Mays Romanheld Winnetou prägt das deutsche "Indianerbild" bis heute. Doch wie reagieren indigene KünstlerInnen auf diese romantisierte Vorstellung? Diese Frage stellt Nicole Perry, Lise-Meitner-Stipendiatin an der Universität Wien.

Anmutig reitet ein weißer Mann auf seinem Pferd und begrüßt sein rot geschminktes Gegenüber mit einem inbrünstigen "Howgh" – als die damals 17-jährige Nicole Perry während eines Schüleraustauschs in einer Kleinstadt in Nordrhein-Westfalen (D) die Karl May-Festspiele besucht, traut sie ihren Augen nicht: "Ich konnte es einfach nicht fassen!" In ihrer kanadischen Heimat herrsche ein ganz anderes Bewusstsein für die Kolonialgeschichte, so die Germanistin, die im Rahmen des Lise-Meitner-Programms des FWF an der Universität Wien forscht.

UreinwohnerInnen in der deutschsprachigen Literatur

Die romantisierte, lang überholte Vorstellung des Wilden Westens, die im deutschsprachigen Raum noch immer präsent ist, lässt sie seither nicht mehr los. Im Lise-Meitner-Projekt erforscht Nicole Perry die Rezeption des deutschen "Indianerbilds" in Nordamerika und knüpft damit an ihre Dissertation an. "In meiner Doktorarbeit beschäftigte ich mich mit drei deutschsprachigen AutorInnen des 18. und 19. Jahrhunderts – Sophie von LaRoche, Charles Sealsfield und Karl May – die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit den nordamerikanischen UreinwohnerInnen auseinandersetzten", erzählt die junge Wissenschafterin.

Mit Plagiat und Fantasie

Karl May ist wohl der berühmteste der untersuchten AutorInnen. Seine Winnetou-Triologie war Ende des 19. Jahrhunderts mit 400.000 verkauften Exemplaren in nur drei Jahren ein absoluter Bestseller und prägte die Vorstellung über die nordamerikanischen UreinwohnerInnen maßgeblich. Doch: Karl May selbst war nie in Amerika. "Er war sehr belesen und damals gab es noch kein 'Copyright', er hat schlichtweg Dinge aus anderen Werken übernommen. Der Rest entsprang seiner Fantasie", so Nicole Perry.


Doch nicht nur Karl Mays Bücher, sondern auch die Verfilmungen trugen zur kollektiven Erinnerung an den Wilden Westen bei. Während der 60er Jahre entstanden zwei Versionen: Die westdeutsche UFA adaptierte die Romanvorlage und präsentierte die Blutsbrüder Old Shatterhand und Winnetou kämpferisch. Die ostdeutsche DEFA hingegen erzählte die Geschichte aus Sicht der unterdrückten UreinwohnerInnen. Die Bücher Karl Mays waren in der DDR verboten und nur auf Untergrund-Buchmessen erhältlich: "In Zeiten des Kalten Krieges sollte jede Positivzeichnung Amerikas vermieden werden, es war eine bewusste, politische Entscheidung", erklärt Perry. (Foto: "Apache Gold", 1963/Wikipedia)



"Ein Indianer kennt keinen Schmerz"

Das auf Winnetou zurückgehende "Indianerbild" des deutschsprachigen Raums lebt in Karnevalkostümen, Redensarten und den besagten Karl May-Festspielen weiter – doch wie gehen indigene KünstlerInnen in Nordamerika mit dieser romantisierten Vorstellung des Wilden Westens um? "Die KünstlerInnen wollen ein Umdenken provozieren – und das nicht immer sanft. Die Ausverhandlung erfolgt meist durch 'neue' Medien, Performancekunst, Film, Musik, vereinzelt auch Text oder Malerei", erklärt Perry.

Indigener Widerstand: Früher und heute


"Das Projekt stützt sich auf Fallstudien, um historische und zeitgenössische Formen des indigenen Widerstands zu verfolgen", so die kanadische Forscherin. Viele KünstlerInnen fordern die indigene Darstellung zurück und inszenieren sie neu: Traditionen der UreinwohnerInnen werden mit modernen Elementen gemischt. "Nordamerika hat eine bewegte Geschichte hinter sich. In den 'Residential Schools', die es noch bis 1996 in Kanada gab, wurden Kinder aus den 'First Nations' regelrecht umerzogen. Sie mussten Englisch oder Französisch lernen und wurden von ihrem kulturellen Erbe ferngehalten. Nun ist man auf die indigene Herkunft stolz – und zeigt das auch."


Karl Monkman ist ein Performancekünstler, Schauspieler und Maler aus Kanada, der sich dem stereotypisierten "Indianerbild" annimmt. Er adaptiert und ergänzt die Werke klassischer Maler aus dem 19. Jahrhundert, die – wie zum Beispiel Albert Bierstadt – die Weite des Wilden Westens festhielten, um provokante Details. Das Foto zeigt eine Performanceeinlage im National Museum of the American Indian in Washington D.C., wo sein Alter Ego "Miss Chief Eagle Testickle" mit hohen Stiefeln und Federschmuck auftrat. (Foto: Katherine Fogden, NMAI/www.kentmonkman.com)    



Forschen mit persönlicher Beziehung

Derzeit beschäftigt sich Perry vorwiegend mit kanadischen KünstlerInnen, möchte aber den gesamten nordamerikanischen Raum mit einbeziehen. "An der Universität Wien gibt es hervorragende WissenschafterInnen, die zum deutschsprachigen Amerikabild arbeiten. Für die Forschung braucht es aber oftmals eine persönliche Beziehung. Aus der Distanz ist es schwierig, Kontakte zu knüpfen, daher kehre ich in den Sommermonaten für einen Forschungsaufenthalt nach Kanada zurück", so die sympathische Germanistin, die gerade dabei ist, InterviewpartnerInnen zu finden. "Es ist als gleichzeitig ein Vorteil und ein Nachteil, dass ich in Wien bin", schmunzelt sie.


Das Trio "A Tribe Called Red" um DJ NDN, Bear Wittness and 2oolman mischt traditionellen Pow Wow mit Elektro. ATCRs Musik verkörpert die "Native Youth Renaissance" – viele junge Indigene sind stolz auf ihre Herkunft, verbinden Tradition mit Mode, Pop und Kunst. (Youtube-Video: A Tribe Called Red - Electric Pow Wow Drum/Foto: Pat Bolduc)



Kindheitserinnerung und unbegrenzte Freiheit

"Auch wenn das deutsche 'Indianerbild' positiv ist, bleibt es ein Klischeebild", sagt Perry. Den Begriff "Indianer" verwendet sie in ihrer Forschung ganz bewusst, um auf eine Spezifität des deutschen Sprachraums hinzuweisen: "Der Begriff sollte im alltäglichen Gebrauch natürlich ersetzt werden, schon bei der Bezeichnung 'Indianer' schwingt ein kolonialer Gedanke mit." Doch warum ist das hierorts noch nicht ganz angekommen? "'Indianer und Cowboy' – damit verbinden viele Menschen Kindheitserinnerung, Unbeschwertheit und grenzenlose Freiheit. Diese Nostalgie möchte man sich nur ungern nehmen lassen", vermutet Perry.


Der kanadische Autor Drew Hayden Taylor erzählt in seinem humorvollen Buch "The Berlin Blues" von deutschen Bauunternehmern, die im fiktiven Otter Lake Reserve einen indigenen Themenpark entlang klassischer Stereotype planen. "Er setzt sich mit den Stereotypen der Ureinwohner auseinander und zeigt so auch, dass die deutsche Begeisterung für die indigene Kultur der Ureinwohner bekannt ist – aber er spielt auch mit den deutschen Klischees, wie Pünktlichkeit und Effizienz", so Perry.



Von Weingebiet zu Weingebiet

Nicole Perry absolvierte ihren Master an der McGill University in Montreal und dissertierte 2012 an der University of Toronto. An die Universität Wien kam sie bereits 2009 als Ernst Mach-Stipendiatin; das Lise Meitner-Stipendium des FWF – das sich an hochqualifizierte ForscherInnen aus dem Ausland richtet – hat sie seit 2014 inne. Geboren und aufgewachsen ist Nicole Perry im westkanadischen Penticton, eine kleine Stadt inmitten eines Weinanbaugebiets: "Von Weingebiet zu Weingebiet, vielleicht fühle ich mich deshalb in Österreich so daheim." (hm)

Das Projekt "Ausführendes Deutschtum, Wiedergewinnende Indigenität" von Dr. Nicole Perry, MA vom Institut für Germanistik wird im Rahmen des Lise-Meitner-Programms des FWF gefördert und läuft seit 1. März 2014 bis zum 28. Februar 2016.