Nicht alles dreht sich um die Sonne
| 27. September 2013Die Neurobiologin Kristin Teßmar-Raible, Leiterin der Forschungsplattform "Marine Rhythms of Life" der Universität Wien, und ihre Doktorandin haben nun erste Hinweise, wie bei dem Wurm Platynereis dumerilii die "innere" Mond- und Sonnenuhr interagieren. Sie publizierten dazu im Journal Cell Reports.
Lange Zeit widmete sich die molekulare Chronobiologie hauptsächlich den circadianen – 24 Stunden dauernden – Rhythmen, die den Tag-Nacht-Rhythmus beschreiben und deren "Zeitgeber" die Sonne ist. Der Zeitgeber ist ein äußerer Einfluss, der auf die "innere Uhr" eines Lebewesens wirkt und veranlasst, dass die inneren Rhythmen mit der Umwelt synchronisiert werden. Gerade in der Wiege der Evolution, dem Meer, stellen Tiere ihre innere Uhr jedoch auch zusätzlich nach dem Mond. Erste Hinweise, wie "innere" Mond- und Sonnenuhren interagieren, liefern nun die Neurobiologin Kristin Teßmar-Raible und ihr Team an den Max F. Perutz Laboratories (MFPL) der Universität Wien und der Medizinischen Universität Wien im Journal "Cell Reports".
Richtiges Timing garantiert Nachkommen
Zwar wurde schon in der Antike beobachtet, dass sich Meerestiere für die Fortpflanzung nach den Mondphasen richten, auf molekularer Ebene sind diese sogenannten circalunaren Rhythmen und der zugrunde liegende endogene Mechanismus – die "Monduhr" – bisher allerdings fast gänzlich unerforscht. Völlig unbekannt war insbesondere, wie diese mit der 24-Stunden-Uhr zusammenspielen. Am Beispiel des marinen Wurms Platynereis dumerilii beschreiben Kristin Teßmar-Raible, Leiterin der Forschungsplattform "Marine Rhythms of Life" der Universität Wien, und ihr Team nun erstmals sowohl seine 24-Stunden-Uhr als auch seine Monduhr, und wie diese beiden Uhren miteinander interagieren.
Die etwa drei Zentimeter großen Würmer, die am Meeresboden leben, reifen und schwimmen in Abhängigkeit vom Mond- und Sonnenzyklus an die Wasseroberfläche. Dort vollführen sie einen Paarungstanz und geben zeitgleich ihre Spermien und Eier in das Wasser ab. Dieses Phänomen der synchronisierten Fortpflanzung findet man bei vielen Meereslebewesen mit äußerer Befruchtung, etwa bei den Korallen des Great Barrier Reefs oder den Krabben der Weihnachtsinsel.
Mehr als nur eine Uhr
Eine bisher ungeklärte Schlüsselfrage war, ob ein Organismus von einer oder von mehreren inneren Uhren gesteuert wird. Das Team um Kristin Teßmar-Raible konnte nun erstmals nachweisen, dass mindestens zwei Uhren, die circadiane und die circalunare Uhr, daran beteiligt sind. Diese Zeitmesser beeinflussen sich sowohl auf Genregulationsebene als auch bei der Verhaltenssteuerung. Letzteres konnte auch mithilfe des technischen Setups von Andrew Straw vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) geklärt werden.
Wie Monduhr und 24-Stunden-Uhr interagieren
Die Ergebnisse weisen einerseits darauf hin, dass die Monduhr unabhängig von der 24-Stunden-Uhr ist, genauer gesagt vom Oszillieren der Clock-Gene. Andererseits scheint die 24-Stunden-Uhr sehr wohl von der Monduhr beeinflusst zu sein: Der Wurm ist eigentlich nachtaktiv, aber er "tagwandelt" während jener Phase des Monats, in der Vollmond wäre.
"Die richtig spannende Frage ist jetzt, ob solche mehrfachen Uhren auch in anderen Tieren und dem Menschen vorhanden sind. Erste Hinweise, dass der Mondzyklus zumindest den menschlichen Schlafzyklus beeinflusst, gibt es bereits", erklärt Juliane Zantke, Erstautorin der Studie und Doktorandin bei Kristin Teßmar-Raible.
Auf diesen Erkenntnissen basierend können nun weitere Fragestellungen beantwortet werden, etwa welche einzelnen Gene und Zelltypen bei der Monduhr involviert sind und worum es sich eigentlich bei dem Mondlichtrezeptor handelt. Daran forschen Kristin Teßmar-Raible und ihr Team bereits parallel. (vs)
Die Publikation "Circadian and Circalunar Clock Interactions in a Marine Annelid" (AutorInnen: Juliane Zantke, Tomoko Ishikawa-Fujiwara, Enrique Arboleda, Claudia Lohs, Katharina Schipany, Natalia Hallay, Andrew D. Straw, Takeshi Todo und Kristin Teßmar-Raible) erschien am 26. September 2013 im Fachjournal "Cell Reports".