"Meine Forschung": Freie Brüche, oder: Das Rechnen mit Wörtern

Würfel mit Buchstaben

Mathematik verbinden die meisten Menschen wohl vor allem mit Zahlen. Nicht so Konrad Schrempf – der promovierte Mathematiker rechnet mit ganzen (und "gebrochenen") Wörtern.

Wie man das Rechnen mit Bruchzahlen zum Rechnen mit "Bruchwörtern" erweitern kann, zeigt Mathematiker Konrad Schrempf in seiner Dissertation auf.

Lange bevor wir uns mit der Konstruktion der rationalen Zahlen (aus den ganzen Zahlen) an der Universität beschäftigen, lernen wir in der Schule mit Brüchen zu rechnen. Bei Zahlen sind wir eine kommutative Multiplikation gewöhnt, z.B. 2 x 3 = 6 = 3 x 2. Auf der anderen Seite lernen wir – noch lange vorm Schreiben – das Sprechen mit Wörtern, die aus nicht-kommutierenden Buchstaben bestehen, z.B. lager ≠ regal (mit der Aneinanderreihung als Multiplikation).

Nun, wenn man Zahlen und Wörter auf natürliche Weise miteinander verbindet, erhält man sogenannte nicht-kommutative Polynome, die man einfach addieren und multiplizieren kann, z.B. (¾xy + z) + ¼xy = xy + z oder 2x·(yx + 3z) = 2xyx + 6xz. Aber wie kann man diese Polynome invertieren? Durch Null dürfen wir nicht dividieren und daher ist es sehr schwer, Ausdrücken in der Form 1/("lager"-"regal") einen Sinn zu geben. (Wer’s nicht glaubt, sollte einmal beliebige Zahlen in die Buchstaben l, a, g, e und r einsetzen.)

Anwendungen

Überall dort, wo man mit Matrizen arbeitet, also insbesondere in der freien Wahrscheinlichkeitstheorie und Steuerungstheorie bzw. Regelungstechnik, können freie Brüche nützlich sein. Zum Beispiel, um komplizierte (rationale) Ausdrücke zu vereinfachen oder Gleichungen zu lösen. Nicht-Kommutativität ist allgegenwertig, man denke nur an Bewegungen im Raum: Einen Schritt vorwärts zu gehen und sich dann um 90 Grad (im Uhrzeigersinn) zu drehen, führt zu einem ganz anderen Ergebnis als sich zuerst zu drehen (und dann den Schritt zu machen). Die verschiedenen Teilbewegungen eines Roboters in der Montage lassen sich mit Matrizen beschreiben, die Gesamtbewegung ist dann deren Produkt.

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum. (© Universität Wien)

Klassisches Bruchrechnen   

Brüche verwendet man, um rationale Zahlen bzw. Verhältnisse zu beschreiben. Man kann sie addieren und multiplizieren und – wenn ungleich Null – deren Kehrwert bilden. Wenn es möglich ist, kürzt man zwischendurch, um Zähler und Nenner möglichst klein zu halten. Ganz so einfach ist es aber trotzdem nicht, weil man vorher die ganzen Zahlen in Primzahlen zerlegen bzw. faktorisieren muss, zum Beispiel 1/2+3/2=4/2=(2⋅2)/2=2 oder 2/3⋅3/4=6/12=(2⋅3)/(2⋅2⋅3)=1/2.

Mit viel Übung gewöhnt man sich daran und lernt, wie man prüft, ob zwei Brüche gleich sind, wie man Doppelbrüche auflöst und wie man mit gemischten Zahlen arbeitet. Irgendwann greift man auf einen Taschenrechner oder Computer zurück und verwendet Kommazahlen – das Bruchrechnen tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Dabei sind rationale Zahlen wichtiger denn je, zum Beispiel für die Verschlüsselung (Kryptographie).

Freies Bruchrechnen

Freie Brüche verwendet man, um nicht-kommutative rationale Funktionen, d.h. Elemente des freien Schiefkörpers, zu beschreiben. Dabei spielt die Reihenfolge bei der Multiplikation eine entscheidende Rolle, weil Buchstaben nicht miteinander kommutieren, d.h. frei ("ohne Beziehung") sind. So ist z.B. 2wasser x 3glas = 6wasserglas, während 3glas x 2wasser = 6glaswasser ist (hier geht es nicht um die grammatikalische Korrektheit). Noch einfacher ist die Addition, z.B. ¼brot + ¾brot = 1brot = brot (die Eins kann man weglassen). Doch was ist mit dem Kehrwert? Im einfachsten Fall hat man so etwas wie 1/2"wasser"⋅2"wasser"=1, kann also kürzen. Im Allgemeinen muss man schon aufpassen – so kann man die "maschine" der "waschmaschine" nur von rechts kürzen. Und das kann noch viel komplizierter und verschachtelter werden. Selbst auf dem sonst so geduldigen Papier verliert man schnell den Überblick, insbesondere dann, wenn man auch Klammern verwendet: Welches einfache Wort (mit drei Buchstaben) ist "a"-1/(1/"a"+1/(1/"h -"a"))= ...?

Diese Karikatur ist ein Spiel mit dem Wort "frei". Tatsächlich sind normale Brüche auch freie Brüche. Flussabwärts auf der rechten Seite ist die kommutative Welt, 2 x 3 ist untrennbar mit 3 x 2 verbunden. Flussabwärts auf der linken Seite ist die nicht-kommutative: Während "xy" im Fluss badet hüpft "yx" über eine Buchstabenkarawane, die gerade vom Berg herabkommt. Der Bruch 1/("xy" -"yx") wäre unzulässig, könnte man die Buchstaben vertauschen. (© Konrad Schrempf)

Für jene, denen nun der Kopf schwirrt: Nur keine Sorge. Mehrere der besten MathematikerInnen des zwanzigsten Jahrhunderts haben knapp vier Jahrzehnte gebraucht, um das überhaupt präzise mit einer mathematischen Theorie beschreiben zu können. Und in der Zwischenzeit sind weitere fünf Jahrzehnte vergangen, in denen die wesentlichen Grundlagen entstanden sind, mit denen einfache Rechenregeln (für freie Brüche) formuliert werden können und die in der Folge auch eine Anwendung am Computer ermöglichen.

Die gesamte mathematische Theorie ist sehr lange und selbst für die Zusammenfassung sind umfangreiche mathematische Kenntnisse notwendig. In meiner Dissertation "Über die Konstruktion minimaler linearer Darstellungen von Elementen des freien Schiefkörpers (freier assoziativer Algebren)" kommen aber auch die Anwendungen nicht zu kurz. Eine Unterstützung in Form einer experimentellen Implementierung im Computer-Algebra-System FriCAS (für allgemeine symbolische Berechnungen) gibt es schon mit dem Paket FDALG ("Freie DivisionsALGebra" ist eine andere Bezeichnung für den freien Schiefkörper).

Übrigens: Die Lösung des komplizierten freien Bruches lautet "aha".

Konrad Schrempf, geb. 1975 in Bad Ischl, Bruchrechnen gelernt 1986 ebendort, maturiert 1994 an der HTBLA Hallstatt; nach vielen verschiedenen beruflichen Stationen 2003 ins kalte Wasser des Mathematikstudiums an der TU Graz gesprungen und 2008 mit einer Diplomarbeit im Bereich des Schiffbaus an Land gekommen. Nach weiteren Stationen zurück an die Universität, wo er vor Kurzem am Institut für Mathematik der Universität Wien seine Dissertation zum Thema "Über die Konstruktion minimaler linearer Darstellungen von Elementen des freien Schiefkörpers (freier assoziativer Algebren)" verteidigt hat. (© Konrad Schrempf)