"Meine Forschung": Ein griechischer Autor "big in Japan"

Was hat die römische Antike mit Japan und China zu tun? Welche griechischen Gestalten tauchen in Anime und Manga auf? In der Dissertation Aesops Fabeln in Japan erforscht Petra Palmeshofer gerade in Wien die Rezeption eines antiken Werkes in der Bildliteratur Japans der Meiji-Zeit (1868-1912).

Die Fabeln des griechischen Dichters Aesop (griech. Αἴσωπος) sind als literarisches Werk erstmals im 16. Jahrhundert nach Japan gekommen. Jesuiten übersetzten das sogenannte Isoho Monogatari伊曾保物語 ins Japanische und druckten die Fabeln zunächst in Lateinbuchstaben. "Sie verwendeten die international leicht verständlichen Tiergeschichten, um selbst Japanisch zu lernen, nachdem sie schon zuvor mit deren Hilfe Latein geübt hatten", erzählt die Doktorandin Petra Palmeshofer. "Die Kirchenmänner vermittelten westliche moralische Werte, wie sie es auch in anderen Erdteilen im Zuge der Kolonisation taten." Als das Christentum in Japan 1612-1614 unter Ieyasu endgültig verboten und die jesuitischen Missionare zur Zeit der japanischen Christenverfolgung unter Hidetada und Iemitsu aus Japan verbannt wurden, verwendete man das Werk kontinuierlich weiter, denn es galt nicht als christliches Oeuvre.

Aesop und Alice in Wonderland – die Meiji-Zeit (1868-1912)


Zu Beginn der Meiji-Zeit sind die Fabeln Aesops in Form einer englischen Übersetzung von Thomas James mit Bildern von John Tenniel, der auch die Illustrationen zu Alice in Wonderland schuf, wieder neu eingeführt worden. Sie wurden bald sehr beliebt. 1873 entstand eine japanische Version mit dem Titel Tsūzoku Isoppu-monogatari 通俗イソップ物語 "Populäre Fabeln Aesops", von Watanabe On (1835-1889), die am erfolgreichsten war. Der Schwerpunkt dieser losgelösten Überlieferungslinie lag einerseits auf der Vermittlung westlicher Werte im Zuge der Bildungsreformen. Andererseits benutzte man sie als politische Karikatur, die ebendiese teils fehlgeschlagenen Reformbemühungen der Regierung in einer Umbruchszeit kritisierten.

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.


Der Wolf im Schafspelz

Als einer der bekanntesten Künstler, die die Fabeln Aesops in ihren ukiyo-e 浮世絵 "Bilder der fließenden, vergänglichen Welt" verwendeten, ist in diesem Zusammenhang das Enfant terrible der Szene, Kawanabe Kyōsai 河鍋狂斎 (1831-1889), zu nennen. Der exzentrische Blockdruckkünstler malte nicht nur den Wolf im Schafspelz an die Wand, um sein Land wachzurütteln, sondern verband in seinen Karikaturen auch Westliches und Östliches auf allen Ebenen. Er "japanisierte" und "verwestlichte" zugleich in lebendiger, humorvoller Weise und erzog damit schließlich Kinder und Erwachsene.

Abb. - Brandl (2013f): 羊と狼の話 "Geschichte vom Schaf und Wolf"


Wie man an seinem Bild "Der Wolf und das Schaf", das Text und Bild miteinander vereint, gut erkennen kann, stellen die ukiyo-e die geschichtliche Voraussetzung der heutigen Bild-, Manga- und Animekultur Japans dar. Was Wolf bzw. Schaf sagen, ist in einer Art "Sprechblase" vom restlichen Text der Geschichte abgetrennt. Das gesamte Blatt wirkt fast wie eine Form von Zeitungsartikel mit Headline und entsprechender Illustration der Ereignisse – und tatsächlich wurden die ukiyo-e als Vorläufer der heutigen japanischen Zeitungen lange Zeit auch zur Nachrichtenübermittlung verwendet.

Pictorial Turn

"In diesem wissenschaftlichen Projekt möchte ich Texte und Bilder gemeinsam analysieren", erklärt die Doktorandin der Japanologie Petra Palmeshofer. Dabei sollen bewährte Methoden aus der Bildwissenschaft zur Anwendung kommen. "Zuerst will ich feststellen, wie viele Bilder und Texte es gibt, die sich mit den Fabeln Aesops im Japan der Meiji-Zeit beschäftigen, dann näher darauf eingehen, wie die Künstler und Autoren diese bearbeitet haben", sagt Palmeshofer, die damit ein erweitertes Bildbewusstsein bzw. einen umfangreicheren Medienbegriff schaffen möchte und dazu beitragen will, aktuelle Phänomene der Massenkommunikation besser zu verstehen. "Letztere sind nicht zuletzt seit den Publikationen von Mitchell oder Boehm Anfang der 1990er-Jahre ins Zentrum des medienwissenschaftlichen Interesses gerückt", so die Nachwuchsforscherin.

ISOHO MONOGATARI versus ISOPPU MONOGATARI

Die Rezeption der Fabeln bei japanischen Künstlern und Autoren schließt laut Palmeshofer eine leere Fläche auf der Landkarte der internationalen Aesop-Forschung. Denn der romanische und angloamerikanische Bereich erscheinen bereits gut erforscht, aber in japanischen Literaturgeschichten werden sie nur mit einem Satz erwähnt. "Es gibt nur kürzere Fachartikel, die vor allem die Geschichte der ersten Ausgaben in Japan oder einzelne Teilaspekte behandeln", erzählt die Japanologin. "Und das, obwohl ihre Rezeptionsgeschichte in der Edo- und Meiji-Zeit sicherlich mehrere Bände füllen könnte!"

Mag. Petra Palmeshofer, MA hat an der Universität Wien und Ōsaka Japanologie / Spanisch und Latein studiert. Nebenbei arbeitete sie als Lehrerin, beschäftigte sich mit Sprachen, Kunst, Literatur und Film. Sie schreibt ihre Dissertation, die von Em.O.Prof.Dr.Dr.h.c. Sepp Linhart betreut wird, am Institut für Ostasienwissenschaften im Rahmen des Ukiyo-e Karikaturenprojekts des FWF. Titel des Projekts: Aesops Fabeln in Japan - Rezeption des graeco-lateinischen Werkes Aesops Fabeln in der Blockdruckkunst und Bildliteratur Japans der Meiji-Zeit.

Literaturtipps zum Thema:
Brandl, Noriko: 2013 "Isoho-monogatari no uchi 11033-06. Hitsuji to ōkami no hanashi", Sepp Linhart: Ukiyo-e Karikaturen 1842-1905. FWF Datenbank. (05.05.2013). 「伊曾保物語之内・11033-06・羊と狼の話」セップ・リンハルト: 『浮世絵版画の風刺画・1842年-1905年・FWFデータベース』
Formanek, Susanne: 2005 Written Texts - Visual Texts. Woodblock-printed Media in Early Modern Japan. Amsterdam: Hotei Publishing.
Köhn, Stephan: 2005 Traditionen visuellen Erzählens in Japan: eine paradigmatische Untersuchung. (Kulturwissenschaftliche Japanstudien 2) Wiesbaden: Harrassowitz.
Stöckl, Hartmut: 2004 Die Sprache im Bild - das Bild in der Sprache. Berlin: De Gruyter.
Youtube: Big in Japan von Alphaville, Big in Japan von den Guano Apes, Big in Japan von Martin Solveig