"Meine Forschung": Beruf StummfilmschauspielerIn – Traum oder Alptraum?

In den 1920er Jahren wollten viele junge Menschen nur eines: KinodarstellerIn werden! Geblendet vom Glamour der Stars rannten sie aber in ihr Unglück. Wie sich der Beruf des Stummfilmschauspielers zum Traum- und Modeberuf des Jahrzehnts entwickeln konnte, erforscht Anna Denk in ihrer Dissertation.

Die nächste Asta Nielsen, der nächste Rudolph Valentino werden – das war das Ziel zahlreicher junger Frauen und Männer nach Ende des Ersten Weltkriegs. Sie wollten ebenso berühmt, ebenso reich und ebenso vergöttert werden wie die Stummfilmstars ihrer Zeit. In den Vorstellungen des Kinopublikums, das sich in den zunehmend aufkommenden Filmillustrierten regelmäßig über das berufliche und private Leben der Stars informierte, verdienten diejenigen, "die es geschafft hatten", horrende Summen mit einer vergleichsweise leichten Arbeit, für die man sie zudem noch bewunderte.

Tatsächlich waren die Stummfilmgrößen auch zu Vorbildern in Sachen Mode und Lifestyle geworden. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte man in den Zeitschriften, was die LeinwandheldInnen trugen, wie und vor allem mit wem sie lebten. Vorbilder gab es für das österreichische Publikum genügend. Dafür musste man nicht einmal über die Grenzen des Landes schauen, auch die nunmehr kleine Republik hatte viele Stars zu bieten: von Liane Haid, Österreichs erstem Kinoliebling, über Hubert Marischka, Bruder von Filmregisseur Ernst, bis hin zu Lucy Doraine, dem Star der österreichischen Monumentalfilmära.

Im uni:view-Dossier "Meine Forschung" stellen DoktorandInnen der Universität Wien ihre Forschungsprojekte vor. Das Dossier läuft in Kooperation mit dem DoktorandInnenzentrum.


Geplatzte Träume, enttäuschte Hoffnungen

Beflügelt von den Berichten über das glamouröse Leben der Stars und angetrieben durch das entbehrungsreiche Leben der Nachkriegszeit, entschieden sich viele FilmenthusiastInnen dafür, selbst eine Karriere als KinodarstellerIn einzuschlagen. Doch schon bald merkten sie, dass die Kluft zwischen Traum und Wirklichkeit sehr groß war. Anstelle des Glanz und Glamour versprechenden Stardaseins fristeten die meisten ein Leben im "Heer der Komparsen", was einen täglichen Existenzkampf bedeutete. Ergatterte eine/r von ihnen schließlich doch einmal einen der begehrten Jobs, dann musste die- oder derjenige für ein geringes Honorar lange und körperlich anstrengende Drehtage erdulden.

Um diesen "verlorenen Seelen" zu helfen, gründete der Verband der Filmdarsteller und der Filmkomparserie kurz nach seiner Entstehung im Jahr 1919 die Wiener Filmbörse. Hier kamen die Namenlosen der Branche zusammen und warteten Tag für Tag darauf, dass ein Hilfsregisseur käme, um sie im Auftrag einer großen Filmfirma auszuwählen. Nicht selten wurde die Filmbörse so zum Endpunkt einer hoffnungsvoll begonnen Filmkarriere.

Fehleinschätzung der realen Arbeitsmarktsituation


An dieser Situation war jedoch weniger das Schicksal oder sonst eine höhere Macht schuld. Vielmehr wurde der Arbeitsmarkt über- und das Anforderungsprofil unterschätzt. Tatsächlich überstieg das Angebot an Nachwuchskräften bei weitem die Nachfrage. Die Filmfirmen selbst hatten nicht zuletzt aufgrund der Nachkriegsinflation und einem stark verkleinerten Absatzmarkt mit dem Überleben zu kämpfen.

Dazu kam noch, dass die sich zahlreich anbietenden Filmneulinge ihr eigenes Potenzial überbewerteten. Nur schön zu sein, wie man gemeinhin glaubte, reichte nicht. StummfilmschaupielerInnen mussten, neben darstellerischem Know-How, auch ein Verständnis für die technische Seite des Mediums mitbringen. Zum Beispiel wirkte ein theaterhaft aufgetragenes Make-Up aufgrund des für bestimmte Farbtöne unempfindlichen Filmmaterials schnell befremdlich. Unter anderem musste beim Einsatz von Rouge gespart werden, weil rot auf der Leinwand sehr dunkel wirkte und zu rote Wangen sonst den Eindruck von schwarzen Löchern erweckt hätten.

"Aus dem Schatten der Geschichte holen"


"Zeitgenössisches Wissen wie dieses will ich aus dem Schatten der Geschichte holen", sagt Anna Denk, Doktorandin der Universität Wien. "Die Filmwissenschaft hat sich dem Stummfilmschauspiel(er) bisher häufig auf filmanalytische Weise genähert, obwohl nur ein kleiner Prozentsatz der bis 1930 produzierten Filme noch existiert", so Denk weiter.

Sie selbst wolle hinter die Kulissen der Branche blicken und Fragen zum Qualifikationsprofil und zu den Arbeitsverhältnissen nachgehen. Zu diesem Zweck hat die Wiener Filmhistorikerin über 6.000 Ausgaben der in Österreich erschienenen Stummfilmzeitschriften durchgesehen, die als umfangreichste erhaltene Quellen der Zeit gelten dürfen und wie kein anderes zeitgenössisches Medium über den Beruf des "Kinomimen" zu berichten wissen.

Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass es sich bei einem überwiegenden Teil um Branchenorgane handle, die das Interesse einer bestimmten Berufsgruppe vertreten hätten. "Man kann sehr viel aus den Filmperiodika erfahren", so Denk abschließend, "aber man muss lernen, auch zwischen den Zeilen zu lesen."

Mag. Anna Denk, geb. 1986 in Wien, studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und an der University of Illinois at Urbana Champaign (USA). Seit September 2013 ist sie Projektmitarbeiterin im Filmarchiv Austria. Der Arbeitstitel ihrer Dissertation, die am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft von Frau Univ.-Prof. Dr. Hilde Haider-Pregler betreut wird, lautet: "Der Schauspielberuf im Kontext der Wiener Stummfilmlandschaft. Quellenkritische Analyse der österreichischen Stummfilmperiodika 1907-1930".


Literaturtipps zum Thema:
Bono, Francesco: "Bemerkungen zur österreichischen Filmwirtschaft und Produktion zur Zeit des Stummfilms", in: Elektrische Schatten. Beiträge zur Österreichischen Stummfilmgeschichte. Wien: Filmarchiv Austria, 1999, S. 47-75.
Hickethier, Knut: "Schauspieler zwischen Theater und Kino in der Stummfilmzeit", in: Grenzgänger zwischen Theater und Kino. Berlin: Ästhetik und Kommunikation, 1986, S. 10-42.

Die Österreichische Nationalbibliothek hat bereits einen Teil der österreichischen Filmzeitschriften digitalisiert und stellt diese auf ihrer Internetplattform "ANNO" (Austrian Newspapers Online) kostenlos zur Verfügung.