Kaufkräftige RömerInnen?

Wieviel haben BürgerInnen im Römischen Reich verdient und was konnten sie sich dafür kaufen? Um dieser Frage nachzugehen, sind der Numismatiker Reinhard Wolters und die Epigraphikerin Mareike Tonisch tief in die antike Geschichte eingetaucht und haben tausende von lateinischen Inschriften analysiert.

"Wir wissen, dass ein römischer Soldat im ersten Jahrhundert pro Jahr 225 Denare verdient hat. Doch wieviel ist das? Damals hat ein Brot einen halben Sesterz gekostet. Wenn man das in Beziehung setzt, so können wir sagen, dass er für einen Denar circa eineinhalb Tage arbeiten musste. Dafür konnte sich unser Soldat dann acht Brote leisten", rechnet Reinhard Wolters, Vorstand des Instituts für Numismatik und Geldgeschichte an der Universität Wien, vor. "Man kann sich den tatsächlichen Verhältnissen aber immer nur annähern", betont der Forscher.

Abschrecken lässt er sich davon freilich nicht: Schon in seiner Postdoc-Zeit war der Numismatiker damit beschäftigt, verschiedenste Quellen, die Preise und Werteangaben enthalten, aus dem antiken Rom zu sammeln und auszuwerten. "Wenn man sich mit antiken Münzen beschäftigt, möchte man irgendwann eine Vorstellung davon haben, wie groß ihre Kaufkraft war – und Zusammenhänge etwa zwischen Geldverschlechterungen und Preisentwicklungen untersuchen", meint Wolters.

Das römische Geldsystem war ein relativ modernes System aus Gold-, Silber- und Bronzemünzen. Der Denar, der beinahe fünf Jahrhunderte lang als Leitwährung im Reich diente, wurde im Jahr 211 v. Chr. eingeführt. Es galt die Umrechnungsformel: 1 Denar (links oben) = 4 Sesterzen (rechts oben) = 16 Asse (unten Mitte). (Fotos: Marc Phillip Wahl)

Über 400.000 Inschriften

Für sein jüngstes Projekt hat sich der Wissenschafter die Epigraphikerin Mareike Tonisch als Unterstützung an Bord geholt. Sie hat in Heidelberg Alte Geschichte, Klassische Archäologie sowie Ur- und Frühgeschichte studiert und ist seit 2013 in Wien, um gemeinsam mit dem Numismatiker auf antike Spurensuche zu gehen. "In den letzten drei Jahren habe ich über 400.000 digital erfasste Inschriften durchforstet. Rund 2.500 davon enthielten Angaben zu Löhnen oder Preisen", fasst Tonisch zusammen.

Die Inschriften selbst stammen von unterschiedlichen Objekten und aus verschiedenen Regionen: mit dabei sind beispielsweise Texte auf Bauwerken, Statuenbasen, Meilensteinen, Grabsteinen oder Urnen, die in Italien, in Britannien, Gallien oder Nordafrika gefunden wurden. "Auch auf Häuserwände und verschiedene kleinere Gegenstände des täglichen Gebrauchs wurden Botschaften eingeritzt, die erhalten geblieben sind", schildert die Expertin.

Inschrift an einer Straße in Aeclanum (CIL IX, 6075): "Kaiser Hadrian… hat die aufgrund des Alters aufgegebene Via Appia auf der Länge von 15,75 (röm.) Meilen erneuert, indem er die von den Besitzern der (angrenzenden) Äcker gesammelte Summe von 569.100 Sesterzen um 1.157.000 Sesterzen erhöhte." (Foto: Corpus Inscriptionum Latinarum (CIL) Vol. IX, herausgegeben von Theodor Mommsen 1883)

Beamte und Soldaten

Was "erzählen" uns die gefundenen Überbleibsel? Wie groß war der Verdienst eines römischen Bürgers und einer römischen Bürgerin im Durchschnitt? "Das war sehr unterschiedlich", stellt Reinhard Wolters klar. "Wir kennen vor allem die Jahressätze von Beamten oder Soldaten. Kaufleute, Handwerker und Bauern sind nicht mit tarifvertraglich geregelten Löhnen zu fassen", berichtet der Forscher.

Und wie sieht es mit den Werten aus, der sogenannten Kaufkraft? "Über den einzelnen Bürger und die einzelne Bürgerin wüsste man gerne mehr. Ein Problem ist, dass die meisten Inschriften auf Bauwerken zu finden sind und die dort angegebenen Preise in der Regel sehr hoch sind", meint Tonisch. Angaben zu kleineren Beträgen für Alltagsgegenstände oder für Lebensmittel seien demgegenüber Mangelware. "Hier haben wir nur wenige Quellen wie etwa einzelne Wandkritzeleien in Pompeji oder Holztafeln aus dem nordenglischen Militärkastell Vindolanda. Letztere sind im Grunde Abrechnungen für die Lagerverwaltung mit Preisangaben zu Lebensmitteln und Ausrüstung", beschreibt die Forscherin.

Große regionale Unterschiede

Die akribische Analyse der tausenden von Inschriften hat eines ganz klar gezeigt: Die gefundenen Preisangaben variieren sowohl sehr stark in ihrem Inhalt als auch in der Art und Weise, wie sie überliefert wurden. "Alle Angaben haben nur eine eingeschränkte regionale Gültigkeit. Man kann nicht einfach einen Preis von Gallien nach Britannien übertragen, sondern muss stets den spezifischen geographischen und zeitlichen Kontext beachten, um das wissenschaftlich seriös einschätzen zu können", gibt Wolters zu bedenken.

Vor allem ist die Art der Preisangaben etwa in Nordafrika eine ganz andere als zum Beispiel in Rom oder anderen Gebieten des riesigen Imperiums. "Wir fassen hier kulturelle Unterschiede", kommentiert Wolters das überraschende Ergebnis. Inschriften auf Grabsteinen, die Strafen für Grabfrevel enthalten, existieren beispielsweise fast nur in und um Rom herum, während in Nordafrika Preisangaben für Ehrenstatuen äußerst beliebt waren. "Das sind spannende regionale Phänomene, die einen interessanten Einblick in die damaligen Menschen, ihre Denkweisen und Repräsentationsabsichten geben", so der Numismatiker.

Datenbank und Dissertation

Wer die umfassenden und detaillierten Informationen, die Wolters und Tonisch in ihrem Projekt zusammengetragen haben, näher studieren möchte, muss sich im Moment noch etwas gedulden. "Wir werden eine öffentlich zugängliche Datenbank online stellen, in der das gesamte Material nach bestimmten Kriterien und Gesichtspunkten – wirtschaftlichen, kulturgeschichtlichen und regionalen – geordnet und ausgewertet ist. Diese Datenbank soll ein Nachschlagewerk für alle sein, die sich für die Antike und für Numismatik interessieren", meint Wolters.

Vor Freischaltung der Datenbank und der geplanten Buchveröffentlichung ist noch ein weiteres großes Ziel mit dem Projekt verbunden, nämlich die Dissertation von Mareike Tonisch. "Meine Doktorarbeit trägt den selben Titel wie das Projekt und wird noch in diesem Jahr fertig werden", verrät die Epigraphikerin. (ms)

BUCHTIPP:
Im 2005 erschienenen Buch "Löhne, Preise, Werte – Quellen zur römischen Geldwirtschaft" hat Reinhard Wolters gemeinsam mit seinem mittlerweile im Ruhestand befindlichen Kollegen Wolfgang Szaivert alle Preise, Löhne und Wertangaben aus der antiken Literatur zusammengetragen. Auch die Ergebnisse seines jüngsten Projekts, das sich mit Inschriften auseinandersetzt, sollen in Buchform veröffentlicht werden.

Das dreijährige Forschungsprojekt "Löhne, Preise und Werte im Römischen Reich: Erschließung der epigraphischen Überlieferung und Gesamtauswertung" von Univ.-Prof. Dr. Reinhard Wolters, M.A. und Mareike Tonisch M.A. vom Institut für Numismatik und Geldgeschichte der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät wurde durch den Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank finanziert und Ende März 2016 abgeschlossen. Kooperationspartner ist das Institut für Alte Geschichte und Altertumskunde der der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät.