Im Takt der Moleküle

Wie reagieren Moleküle, wenn sie auf Licht treffen? Leticia González und ihr Team vom Institut für Theoretische Chemie der Universität Wien simulieren und interpretieren den "Tanz der Moleküle" am Supercomputer VSC – und liefern damit wertvolle Erkenntnisse für die Krebsforschung.

"Wir interessieren uns für ultraschnelle photoinduzierte Dynamik – das hört sich zunächst komplizierter an, als es eigentlich ist", schmunzelt die junge Chemikerin. Leticia González und ihre KollegInnen erforschen, wie sich Moleküle in einer chemischen Reaktion mit Licht verhalten. Die Bewegung der Atome in den Molekülen findet in Femtosekunden statt. Eine Femtosekunde entspricht 10-15 Sekunden; im Verhältnis zu einer Sekunde ist dies genauso wenig wie eine Sekunde im Verhältnis zu 32 Millionen Jahren. Um diese molekularen Prozesse nachvollziehen zu können, braucht es eine Simulation in Zeitlupe.

Die wohl schnellste Kamera der Welt

"Wenn man mit einer Kamera ein Pferd in Bewegung filmen möchte, dann muss die Auflösung so schnell sein wie das rennende Pferd. Genauso ist es mit den Molekülen: Wenn eine chemische Reaktion gefilmt werden soll, braucht es kohärente Strahlungen, die in der Femtosekundenskala liegen", erklärt González. Der ägyptisch-amerikanische Nobelpreisträger Ahmed H. Zewail entwickelte 1999 diese wohl schnellste Kamera der Welt, welche mit Laserblitzen die Bewegung der Moleküle erfassen kann. Auf dieser bahnbrechenden Entdeckung bauen die WissenschafterInnen des Instituts für Theoretische Chemie der Universität Wien auf.

Ein Forschungsalltag mit dem Supercomputer

González und ihre KollegInnen arbeiten an Computern, die sich mit den großen Clustern des VSC verbinden. Am Bildschirm werden die Moleküle anhand ihrer Koordinaten dargestellt. Ihre Bewegungen werden simuliert, indem grundlegende Gleichungen der Quantenphysik auf Supercomputern gelöst werden. Das Ganze wird akribisch beobachtet. "Man sitzt vor dem Computer und arbeitet mit einer Fülle von bewegten Bildern, die interpretiert werden müssen. Man denkt, simuliert und analysiert, um den Tanz der Moleküle zu verstehen. Einige Rechnungen dauern Stunden, andere nehmen Wochen in Anspruch", so die Chemikerin.

Aktuelle Anwendungsbereiche

"Die Arbeit mit Licht scheint abstrakt zu sein, aber es handelt sich um Phänomene, mit denen wir alle konfrontiert sind", so González. Das jüngste FWF-Projekt der Wissenschafterin, "Ultrakurzzeitdynamik und Spektroskopie von DNS/RNS-Nukleobasen und -Analoga", widmet sich unter anderem der Krebsforschung. Wenn unsere Haut der Sonneneinstrahlung ausgesetzt ist, finden oxidative Prozesse statt und Zellen werden geschädigt. Die Forschergruppe versucht, diesen Vorgang zu verstehen, um die Entwicklung von Medikamente für die Krebsbehandlung zu unterstützen. Der Prozess der Zellschädigung  soll nachgeahmt und gezielt gegen Tumorzellen eingesetzt werden. "Wir werden Krebs nicht kurieren, aber mit einem grundlegenden Verständnis der Moleküle können wir zu seiner Eindämmung beitragen", so die Prognose der sympathischen Forscherin.


Auch bei der Gewinnung von Solarenergie sind die chemischen Reaktionen mit Licht von enormer Bedeutung. "Durch Beobachten und Simulieren der Moleküle sind wir den Prozessen auf der Spur, die für alternative Energieerzeugung grundlegend sind", so González.



Das Jahrhundert der Frauen


Die gebürtige Madrilenin ist seit 2011 an der Universität Wien und in Österreich derzeit die einzige Frau, die eine Universitätsprofessur für Theoretische Chemie hat. "Ich muss allerdings gestehen, dass es landesweit nur zwei Lehrstühle für unser Fach gibt", lacht die Forscherin. Die Theoretische Chemie wird nach wie vor von männlichen Kollegen dominiert. Im Bachelorstudium ist das Geschlechterverhältnis noch relativ ausgeglichen, aber auf Master-Niveau finden sich nur selten Studentinnen. "Frauen werden oftmals gedrängt, sich zwischen Familie und Karriere zu entscheiden", erklärt die zweifache Mutter. Als gutes Beispiel, dass auch beides möglich ist, möchte sie jungen Kolleginnen Mut machen: "Wir befinden uns endlich im Jahrhundert der Frauen." (hm)

Univ.-Prof. Dr. Leticia González Herrero vom Institut für Theoretische Chemie der Fakultät für Chemie der Universität Wien beschäftigt sich in ihrem aktuellen FWF-Projekt mit "Ultrakurzzeitdynamik und Spektroskopie von DNS/RNS-Nukleobasen und –Analoga". Unterstützt wird sie von Senior Scientist Dr. Markus Oppel, einem Habilitanden, einem Post-Doc und zwei Doktoranden der Universität Wien sowie von Projektpartnern der Case Western Reserve University in Ohio, USA, und der Universidad Autónoma de Madrid, Spanien. Das Projekt läuft vom 01.07.2013 bis zum 30.09.2016.