Gekommen, um zu bleiben?
| 14. November 2018Gemeinsam mit 18 Partnern aus acht Ländern untersuchen GeographInnen der Universität Wien im EU-Projekt YOUMIG junge Migration im Donauraum. Ziel ist ein besseres Verständnis für das Phänomen, die Motivationen und Auswirkungen.
"Das Thema Jugendmigration ist stark im Kommen", sagt Elisabeth Gruber vom Institut für Geographie und Regionalforschung. Die Wissenschafterin leitet den Uni Wien-Part des EU-Projekts YOUMIG: "Gerade bei Personen zwischen 15 und 34 Jahren ist das Migrationsaufkommen am höchsten."
In Österreich stammten im Jahr 2017 rund 70 Prozent aller ZuwanderInnen aus Ländern des Donauraumes, der vom Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer reicht. Davon sind wiederum circa die Hälfte junge MigrantInnen. "Das ist eine wirklich große Gruppe, die bis dato noch nicht genauer untersucht worden ist", so Gruber.
Die Uni Wien-Projektleiterin vom Institut für Geographie und Regionalforschung, Elisabeth Gruber, bei der Eröffnung der heurigen YOUMIG-Konferenz an der Universität Wien. (© Petra Köck)
Herausforderungen für die Gesellschaft
Eines eint junge Menschen: Die hohe Bereitschaft zur Mobilität. Die Möglichkeiten, überhaupt mobil sein zu können, haben sich im Donauraum in den letzten Jahren verändert, etwa durch die EU-Osterweiterung. Projektziel von YOUMIG ist es, die Auswirkungen von Jugendmigration im Donauraum zu erforschen und Handlungsempfehlungen für verantwortliche Institutionen zu entwickeln. Die Migration von jungen Menschen stellt große Herausforderungen an die Gesellschaft, bietet aber auch Chancen – vor allem wirtschaftlich und am Arbeitsmarkt. Zudem beeinflusst sie auch die demographische Entwicklung eines Landes ebenso wie das kulturelle und soziale Zusammenleben.
Ungebunden und flexibel
Jugendliche MigrantInnen zeichnen sich durch ihre Ungebundenheit, Flexibilität in puncto Wohn- und Arbeitsort sowie niedrige Lebenshaltungskosten aus, daher ist die Bereitschaft zur Mobilität höher. "In diesem Alter zwischen 15 und 34 Jahren fallen aber auch viele Entscheidungen, die einen Umzug bewirken können: das Schulende, der Einstieg ins Berufsleben, der Auszug aus dem Elternhaus etc.", erklärt Elisabeth Gruber.
Migration ist vielschichtig
Migration wird im YOUMIG-Projekt nicht nur im Spiegel der Abwanderung, sondern auch der Zuwanderung betrachtet. So sind mit Österreich und Deutschland zwei klassische Zuwanderungsländer beteiligt, während die anderen Projektpartner – Ungarn, Slowenien, Rumänien, Bulgarien, Slowakei und Serbien – eher von Abwanderung betroffen sind.
"Generell ist die Migration in allen Partnerländern aber sehr vielschichtig. In der Slowakei gibt es zum Beispiel viel Zuwanderung im Raum um Bratislava, während ländliche Gebiete wiederum stark von Landflucht geprägt sind", so Gruber. "Neben transnationalen Wanderungen spielt auch interne Migration in den Donauländern eine große Rolle."
Elisabeth Gruber zur aktuellen Semesterfrage: "Aus dem Blickwinkel der Geographie ist Europa im ersten Moment ein Kontinent. Zudem definiert die Geographie 'Raum' aber auch als Produkt sozialer Handlungen. Aus dieser Perspektive heraus ist Europa in den letzten Jahrzehnten gewachsen: in der Wissenschaft zum Beispiel durch gemeinsames Arbeiten, Forschen und Kooperieren. Für die Zukunft hoffe ich, dass Europa seine Größe behält oder sogar noch wächst." Die Semesterfrage der Universität Wien wird in Kooperation mit der Tageszeitung "Der Standard" durchgeführt.
Attraktive Lebensqualität
"Grob zusammengefasst lässt sich bislang sagen, dass die meisten jungen Menschen wegen erhöhter Bildungschancen und Jobaussichten aus anderen Ländern des Donauraums nach Österreich migrieren – oftmals bleiben sie dann aber wegen der guten Lebensqualität", so Gruber, die im Rahmen des Projekts mit statistischen Ämtern und lokalen Verwaltungseinrichtungen aus den Partnerländern zusammenarbeitet.
Eine österreichische Beispielstadt ist Graz, die auch Projektpartner von YOUMIG ist. Für die steirische Landeshauptstadt ist die Migration aus den Donauländern wirtschaftlich wichtig, umgekehrt ist Graz wegen der hohen Lebensqualität und der stabilen politischen Lage sehr attraktiv.
Das Besondere am EU-Projekt YOUMIG ist, dass neben der theoretischen Aufbereitung und Evaluierung von Daten über jugendliche Wanderungsbewegungen, konkrete Projekte in allen Partnerländer erarbeitet und – zumindest teilweise – bereits auch umgesetzt werden.
Praktische Maßnahmen
So startete etwa das Referat Frauen & Gleichstellung der Stadt Graz ein Pilotprojekt, das junge Frauen der zweiten Generation in ihrer Berufswahl unterstützt. Im Rahmen des Projektes werden – durch Schnuppertage und Kooperationen mit NGOs und Unternehmen – jungen SchülerInnen Qualifikationen und Berufe, vor allem im technischen Bereich, nähergebracht. Die Pilotaktivität wird bereits seit Anfang des Jahres geplant und startet im Herbst 2018.
Im Frühjahr 2018 fand an der Universität Wien die Konferenz zum grenzüberschreitenden INTERREG-Projekt YOUMIG statt. Über 60 ProjektpartnerInnen aus acht Ländern diskutierten gemeinsam über Potenziale, Herausforderungen und Lösungsansätze von Jugendmigration im Donauraum. (© Elisabeth Gruber)
In der rumänischen Kleinstadt Sfantu Gheorghe, in der das Weggehen als Norm unter Jugendlichen gilt, wurde ein Projekt gestartet, um den Arbeitsmarkt in der eigenen Region bekannter zu machen. Maribor, das für junge MigrantInnen aus dem Donauraum immer attraktiver wird, bietet derzeit noch wenig Integrationsmaßnahmen an und nutzt YOUMIG für das Know-how der Projektpartner.
Migration wird Thema
"Mit unseren ProjektpartnerInnen aus Burgas in Bulgarien haben wir während ihres Wien Besuchs ein Treffen mit der MA 17, der Wiener Magistratsabteilung für Integration und Diversität, organisiert", freut sich Elisabeth Gruber: "Generell ist in Österreich und auch in Deutschland Migration und Integration ein viel größeres Thema als in den Partnerländern. Das wird sich aber auch aufgrund der sinkenden Fertilitätsrate in den Staaten des Donauraums bald ändern. Hier gilt es schon jetzt, die Institutionen darauf vorzubereiten." (td)
Gemeinsam mit Elisabeth Gruber arbeitet u.a. Martina Schorn im YOUMIG-Projekt. Sie ist seit 2017 am Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien als uni:docs fellow tätig. In ihrem #univie Blogbeitrag schreibt sie über die Gründe für die Abwanderung junger Menschen aus ländlichen Gebieten und wie Jugendmigration (trotzdem) neue Perspektiven auf Regionalentwicklung eröffnen kann.
Das EU-Projekt "Improving institutional capacities and fostering cooperation to tackle the impacts of transnational youth migration" (YOUMIG) startete im Juli 2017 und läuft bis Juni 2019 innerhalb des EU-Programms "Interreg – Danube Transnational Programme". Insgesamt arbeiten 19 Partnerinstitutionen aus acht verschiedenen Ländern zusammen. Die Universität Wien ist mit Elisabeth Gruber, Petra Köck und Martina Schorn vom Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Wien vertreten.