Farben und Formen in Kunstwerken haben keine universelle Wirkung

Ein Ausschnitt aus dem Werk Impression III von Wassily Kandinsky aus dem Jahr 1911

Rote Farben sind warm, gedeckte Töne traurig. Oder? In der Betrachtung von Kunst haben sich derartige Annahmen über ästhetischer Elemente als Allgemeinplätze durchgesetzt. Im interdisziplinären Ästhetik-Lab der Uni Wien hat man genauer hingeschaut und herausgefunden, dass es nicht ganz so einfach ist.

"In der Kunstgeschichte geht man davon aus, dass bestimmte Effekte von Farben und Formen universell sind", erklärt Eva Specker, von der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Gemeinsam mit Kunsthistoriker*innen im Team wurden Skalen besonders häufig in der Kunstbeschreibung benutzter Eigenschaften konstruiert. Warm und kalt, schwer und leicht, männlich und weiblich, aggressiv und friedlich, insgesamt 14 Stück.

Farben und Formen

Für die Studie bewerteten zwei Gruppen — Kunstexpert*innen und Laien — auf diesen Skalen eine Reihe abstrakter Bilder von Wassily Kandinsky, Joan Miro und Fritz Winter. Zusätzlich bewerteten sie auch isolierte Elemente — Farben und Formen — aus den gleichen Werken. Später wurde die Studie mit den selben Teilnehmer*innen wiederholt, um zu prüfen, wie robust die gewonnenen Daten sind und danach ein weiteres Mal mit neuen Teilnehmern repliziert.

Geringe Übereinstimmung unter Teilnehmer*innen

"Die Übereinstimmung der Teilnehmer*innen war wesentlich geringer als angenommen", berichtet Specker. Nur bei drei von 14 Eigenschaftspaaren — nämlich "warm-kalt", "schwer-leicht", "fröhlich-traurig" waren sich die Betrachter*innen einig, überall sonst hatten die Bilder ganz unterschiedliche Wirkungen — und zwar bei Kunsthistoriker*innen ebenso, wie bei Laien. Dass sich die vermeintlichen Gesamteindrücke direkt auf bestimmte Farben oder Formen zurückführen lassen, konnte ebenso wenig bestätigt werden: Die Bewertungen ganzer Kunstwerke fielen anders — und wesentlich einheitlicher — aus, als die einzelner Elemente.

Kein einheitlicher Prozess

Selbstverständlich benutzte Begriffe und Phrasen in der Kunstinterpretation und als "objektiv" gesetzte Eigenschaften von Kunstwerken werden mit diesen Ergebnissen infrage gestellt. Der Wechsel der Modalität — also etwa von Farbe zu Emotion — ist offenbar kein einheitlicher Prozess. "Die Kunsttheorie ist voll von solchen Bild-Beschreibungen — nicht nur der Kunsthistoriker, sondern auch der Künstler selbst", so Specker. Kandinsky führte etwa genau aus, welche Wirkungen er mit bestimmten Farb- und Formanordnungen zu erzielen meinte. Gerade für die abstrakte Kunst hat die Aufladung von Farb- und Formelementen mit einer universell entschlüsselbaren Bedeutung natürlich hohe Relevanz.

Ursachen unklar

Die Ursachen hinter den unterschiedlichen Bewertungen lassen sich aus der aktuellen Studie nicht ableiten — sie könnten Faktoren der Persönlichkeit ebenso miteinschließen, wie sozial gelernte "Interpretationen". "Diese sozialen Effekte müssten dann aber bei Experten größer sein - und das sind sie nicht." Zwischen den beiden Testzeitpunkten waren die Einschätzungen jedenfalls stabil — eine kurzfristige situative Erklärung kommt daher nicht infrage. (APA/red)

Die Studie "Warm, lively, rough? Assessing agreement on aesthetic effects of artworks" wurde am 13. Mai 2020 im Fachmagazin "Plos One" publiziert. Autor*innen (alle von der Universität Wien): Eva Specker , Michael Forster, Hanna Brinkmann, Jane Boddy, Beatrice Immelmann, Jürgen Goller, Matthew Pelowski, Raphael Rosenberg und Helmut Leder.