Energiegeladene Bakterien der Tiefsee
| 09. April 2015Taurin kennen normale Menschen bestenfalls als Bestandteil ihres Energydrinks. Dabei spielt die Aminosulfonsäure auch im Meer eine wichtige Rolle. Welche, dem spürt die Meeresbiologin Eva Sintes von der Universität Wien nach.
Eva Sintes kommt von einer Insel. Aus Mallorca, um genau zu sein. Wenig verwunderlich, dass aus ihr eine Meeresbiologin geworden ist. Viel verwunderlicher ist es, dass sie mittlerweile seit fünf Jahren in Wien forscht. Und das kam so: "Nach meinem Studienabschluss ging ich in die Niederlande und arbeitete dort in der Gruppe von Gerhard Herndl", erzählt sie. Als der österreichische Meeresbiologe und jetzige Dekan der Fakultät für Lebenswissenschaften zurück nach Österreich ging, kam sie mit.
Mittlerweile hat die Wissenschafterin vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie ihr eigenes FWF-Projekt mit dem Namen "Taurin in marinen Ökosystemen: Produktion und Transformation".
Ungelöstes Problem der mikrobiellen Ozeanographie
In ihrem FWF-Projektantrag schreibt Sintes, dass es sich dabei um ein "grundlegendes, immer noch ungelöstes Problem der mikrobiellen Ozeanographie und Marinen Biogeochemie handelt – um die Quellen von Kohlenstoff und Energie für die Aufrechterhaltung der heterotrophen mikrobiellen Aktivität in der gesamten ozeanischen Wassersäule." Alle Kohlenstoffbudgets legen nahe, dass die Phytoplankton-Produktion nur den organischen Kohlenstoffbedarf der heterotrophen Organismen in den obersten 200 bis 400 Metern des Meeres abdecken kann. Dies würde bedeuten, dass die gesamte Phytoplankton-Primärproduktion in der euphotischen (die obere, durchleuchtete Schicht des Wassers) Schicht konsumiert würde, was eindeutig nicht der Fall ist.
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"Wir wissen, dass es im Ozean Phytoplankton gibt – Pflanzen, die Kohlenstoff fixieren", erklärt die Meeresbiologin. Mikroskopisch kleine Algen, die freischwebend im Wasser leben. Phytoplankton ernährt sich autotroph, wandelt also mit Hilfe der Photosynthese anorganische Verbindungen in organische Substanzen um. Andere Organismen – zum Beispiel heterotrophe Bakterien – können diesen organischen Kohlenstoff nutzen.
Mehr Aktivität als angenommen
Eva Sintes möchte herausfinden, wie Kohlenstoff-, Stickstoff- und Schwefelkreislauf im Meer funktionieren. Doch das ist gar nicht so einfach. "Wie viel Kohlenstoff ist da und wie viele Bakterien sind im Ozean aktiv?", fragte sie und stellte fest, "dass da ein Loch zwischen den beiden Berechnungen klafft. Der Punkt ist: Wir messen mehr Aktivität, als wir erwarten würden. Daher müssen wir rausfinden, woher die Bakterien in der Tiefsee ihre Energie beziehen."
Was sie sicher weiß: Taurin ist eine wichtige Energiequelle für marine Bakterien in der Tiefsee, denn dort sind sie in ihrem Wachstum limitiert. Auf einer Forschungsfahrt mit spanischen KollegInnen konnten bereits erste Ergebnisse gewonnen werden. In der Nähe der Küste von Galicien und Kantabrien schipperte sie bereits im vergangenen Winter auf den Atlantik hinaus, um Wasserproben zu sammeln. Später im Jahr will sie auch in der Adria weitere Proben organisieren.
An Bord werden Flaschen und Sensoren hinunter gelassen, erzählt sie. Salzgehalt, Sauerstoff, ph-Wert, Phytoplanktongehalt und Temperatur müssen bestimmt und Wasserproben gesammelt werden. "Wir gehen bis zu 5.000 Meter hinunter, acht bis zehn Proben werden genommen – wann immer wir im Zuge der Messungen merken, dass sich die Bedingungen ändern."
Welche Rolle spielt Taurin?
Taurin, eine Aminosulfonsäure, die aus der Aminosäure Cystein entsteht, kennt man normalerweise ja nur aus Energydrinks. Es gibt den Menschen einen Kick, gilt aber auch als Neurotransmitter und spielt in vielen physiologischen Prozessen eine Rolle. Wie auch immer: Marine Metazoen (also vielzellige Tiere) geben eine Vielzahl von Verbindungen in die ozeanische Wassersäule ab – unter ihnen ist auch Taurin. Obwohl es im Meer allgegenwärtig ist, gibt es bisher kaum Studien über die Freisetzungsraten von Taurin durch Muscheln, Korallen, Zooplankton und Algen. Sintes will im Rahmen ihres Projekts diese Wissenslücke schließen. So will sie zum Beispiel die Bioverfügbarkeit in verschiedenen Umgebungen (Küsten vs. offenes Meer) überprüfen.
Mit Hilfe von Radio-Isotopen messen Sintes und ihr Team, wie viel Taurin in der Wassersäule von der Oberfläche bis in die Tiefsee durch Mikroben aufgenommen wird. "Wir bestimmen, wie viel die Bakterien aufnehmen und veratmen. Wie viel vom Taurin nutzen sie für ihr Wachstum? Wie viel brauchen sie für ihren Energiehaushalt?"
Was sich die Meeresbiologin erhofft, wenn ihr Projekt abgeschlossen ist? "Dass wir mehr darüber wissen, wie der Kohlenstoff-, Stickstoff- und der Schwefel-Kreislauf im Meer funktioniert. Und welche Rolle Taurin dabei spielt."
Das FWF-Projekt "Taurin in marinen Ökosystemen: Produktion und Transformation" unter der Leitung von Eva Sintes Elvelin vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanographie an der Universität Wien startete im Jänner 2015 läuft noch bis Jänner 2018.