Die Gesten von Raben

Kleinkinder zeigen gerne Dinge her, indem sie darauf deuten oder diese in die Höhe halten. Der Kognitionsbiologe Thomas Bugnyar und Simone Pika vom Max-Planck-Institut für Ornithologie zeigen in ihrer aktuellen "Nature Communications"-Publikation genau jene Art von Gesten an frei lebenden Raben.

Raben sind sehr verspielt und lernen äußerst schnell. "Die Erforschung von Geistestätigkeiten von Tieren erweist sich als schwierig, es gibt aber starke Hinweise darauf, dass Raben logisch handeln und ein langes Erinnerungsvermögen besitzen", erklärt Kognitionsbiologe Thomas Bugnyar. So zeigten ForscherInnen kürzlich, dass Raben und Buschblauhäher – ähnlich wie Schimpansen – Aufgaben lösen, die das Einschätzen der Perspektive bzw. des Wissenstandes anderer erfordert.

Unterschied zu Primaten

Bei Gesten wie dem Deuten auf Gegenstände und deren in die Höhe halten werden Unterschiede erkennbar: Derartige referenzielle Gesten sind bei Primaten nahezu nicht zu finden; selbst unsere nächsten Verwandten wie Schimpansen gebrauchen ihr relativ großes Gestikrepertoire kaum, um die Aufmerksamkeit anderer auf Dinge in der unmittelbaren Umgebung zu lenken. Hingegen benutzen frei lebende Raben genau jene Art von Gesten, die so menschlich und insbesondere bei Kleinkindern zu beobachten sind.


Forschungsgebiet Cognitive Science
Kognition, Gehirn und Verhalten (Cognition, Brain and Behaviour) ist ein Forschungsschwerpunkt der Fakultät für Lebenswissenschaften. Am Department für Kognitionsbiologie bilden die Arbeitsgruppen der Professoren Thomas Bugnyar und Tecumseh Fitch Forschungsteams von Weltrang. START-Preisträger Bugnyar ist auch Sprecher des im März 2011 gestarteten FWF-Doktoratskollegs "Cognition and Communication".  Zudem wurde Anfang 2011 die neue Forschungsplattform Cognitive Science eingerichtet, die natur- und lebenswissenschaftliche mit geistes- und sozialwissenschaftlicher Expertise an der Universität Wien verknüpft.



"Die Vögel nehmen Objekte aus ihrer unmittelbaren Umgebung, etwa einen Stein, ein Hölzchen oder einen Fichtenzapfen in den Schnabel, bauen sich damit vor Artgenossen auf und halten ihnen den Gegenstand vor den Schnabel", sagt Thomas Bugnyar. Gemeinsam mit Simone Pika vom Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen, publizierte er zum Verhalten der Raben in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift "Nature Communications".

Aufmerksamkeit erregen

Warum tun sie das? "Vielleicht, weil sie die anderen auf ein bestimmtes Objekt oder seine Qualität hinweisen möchten. Das ist allerdings unwahrscheinlich, da die angebotenen Dinge sich kaum vom Rest der Umgebung unterscheiden. Zudem sieht man das Verhalten nicht nur von älteren Raben, die eventuell ein Nest bauen könnten, sondern auch von jungen Raben und vor allem im Sommer, außerhalb der Brutzeit. Was das Herzeigen von Objekten jedoch meist bewirkt, sind nette Interaktionen. Es scheint daher darum zu gehen, die Aufmerksamkeit von bestimmten Artgenossen zu ergattern bzw. mit ihnen in Kontakt zu kommen", so Bugnyar.

Tatsächlich interessieren sich die Adressaten meist für die angebotenen Dinge – aber nur so lange, bis sie sie selbst haben können. Das ist bei Kindern oft auch nicht anders. "Herzeigen von Dingen könnte somit bei Raben und Kindern eine ähnliche Funktion haben. Allerdings beschränken sich die Vögel hierbei auf spielerische Interaktionen mit meist Gleichaltrigen", erläutert der Kognitionsbiologie. (ad)

Das Paper "The use of referential gestures in ravens (Corvus corax) in the wild" (AutorInnen: Thomas Bugnyar/Simone Pika) erschien am 29. November 2011 im Fachjournal "Nature Communications".