Die dritte Domäne des Lebens
| 16. Juni 2014Die Mikrobiologin Christa Schleper beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den umweltrelevanten Archaea. In einer aktuellen Publikation zeigen die Forscherin und ihr Team, dass einige dieser Kleinstlebewesen Treibhausgase emittieren – wenn auch weniger als ihre Konkurrenten, die Bakterien.
Ende der 1980er Jahre waren die Archaea noch ein "esoterisches Thema" und Christa Schleper eine der wenigen, die sich mit der "verrückten Gruppe von Mikroorganismen" beschäftigte. "Man fand die Archaea damals nur an extremen Standorten", erzählt die Ökogenetikerin. Heute weiß man, dass die Kleinstlebewesen für die Umwelt höchst relevant sind und auch am Meeresboden, auf der menschlichen Haut und sogar im Garten des Departments für Ökogenomik und Systembiologie der Universität Wien leben. Dort hat Schleper vor drei Jahren das erste Ammoniak oxidierende Archaeon aus Wiener Böden in Reinkultur isoliert – die "Nitrososphaera viennensis".
Seitdem haben sich für Schleper und ihr Team eine Reihe weiterer Forschungsfelder eröffnet. In einem aktuellen Projekt zeigen sie u.a., dass die Archaea das Lachgas N2O produzieren. Dieses Treibhausgas trägt zum Abbau der Ozonschicht bei und spielt damit eine wichtige Rolle in der Erderwärmung.
Archaea produzieren Treibhausgase, …
"Wir wussten, dass diese Einzeller – genauso wie Bakterien – Ammoniak oxidieren sowie für die Umsetzung von Stickstoffverbindungen und somit die Umwelt bedeutend sind", so Schleper. Doch anders als Bakterien lieben es Archaea stickstoff- und ammoniumarm. "Daher finden wir sie eher in naturnahen Ökosystemen und Böden, während die Bakterien schwer gedüngte Ackerböden bevorzugen", erklärt die Ökogenetikerin, die zurzeit die Verwandten der Wiener Archaea in den arktischen Tundraböden untersucht: "Dort ist wenig Ammonium vorhanden und die Archaea sind daher besonders aktiv."
Archaea bilden neben Bakterien und Eukaryoten die "dritte Domäne" des Lebens. Uns Menschen verbindet eine besondere Verwandtschaft mit ihnen: Viele ihrer wichtigen zellulären Mechanismen ähneln den unseren mehr als jenen von Bakterien. "Wir vermuten, dass sich die Mikroorganismen vor zwei Mrd. Jahren aufgespalten haben; aus den Archaea sind wahrscheinlich die Vorläufer der Eukaryoten entstanden, zu denen Tiere und Menschen gehören." (Bild: Nitrosophaera viennensis-Zellen im Rasterelektronenmikroskop; Foto: Michaela Stieglmeier) |
---|
… sind aber trotzdem "die Guten"
"Obwohl die Archaea neben Nitrit auch das Lachgas N2O herstellen, sind sie im Vergleich zu den Bakterien immer noch 'die Guten'", betont Schleper. Denn sie produzieren sehr viel weniger von dem schädlichen Gas als ihre "bakteriellen Kollegen". Und während die Bakterien die Treibhausgasproduktion bei wenig Sauerstoff nicht reduzieren, tun dies die Archaea sehr wohl. Anders gesagt: Bei starkem Regen oder extrem feuchten Böden produzieren die Bakterien am meisten, die Archaea hingegen gar kein Treibhausgas.
"Die Archaea müssten demnach am besten in ihrem Wachstum gefördert werden, damit sie die Bakterien verdrängen", schmunzelt die Wissenschafterin. Vielleicht eine Möglichkeit, die Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren? Um zu verstehen, wie die Mikroorganismen wirklich dazu beitragen könnten, untersuchen die ForscherInnen, den Stoffwechsel dieser der Archaea nun genauer. Die Frage, "was passiert, wenn es wärmer wird?" ist dabei zentral.
Treibhausgas durch Überdüngung
Dafür studieren die Wiener BiologInnen gemeinsam mit finnischen KollegInnen sogenannte Torfkreise in der Tundra. Das sind Orte, die durch ständiges Frieren und Auftauen entstanden sind und wo keine Pflanzen wachsen. "Dort tummeln sich sehr viele Archaea; merkwürdigerweise wird in diesen Torfkreisen aber besonders viel N2O ausgestoßen. Die Archaea agieren somit wahrscheinlich als Zulieferer von Zwischenprodukten für andere Organismen, die letztendlich das Lachgas produzieren. Wie das genau funktioniert, müssen wir aber noch klären", so Schleper.
Eigentlich sollte aus dem Stoffwechselprodukt der Archaea, dem Nitrit, letztendlich durch andere Organismen wieder Stickstoff (N2) entstehen, das als Gas in die Atmosphäre zurückkehrt. "Aus unterschiedlichen Ursachen verläuft dieser Kreislauf aber oft unvollständig und es entsteht das Treibhausgas", erklärt die Expertin. Einer dieser Gründe kann in Ackerböden z.B. Überdüngung sein.
Archaea lieben die Extreme. In zwei aktuellen Projekten untersucht Schleper hyperthermophile Archaea in heißen Quellen – z.B. auf Ischia und Kamtschatka – sowie Thaumarchaeota in marinen Sedimenten. "Wie diese Organismengruppe, die sich an extremen Standorten vermehrt hat und mit einem bestimmten Metabolismus – der Ammoniumoxidation – die ganze Welt erobern konnte, fasziniert mich", so Schleper. (Bild: Probennahmen von thermophilen Archaea in einer heißen Quelle auf Ischia; Foto: Michaela Stieglmeier) |
---|
Arktisches Archaeon im Labor in der Althanstraße
Auf den Torfkreisen haben finnische ForscherInnen, die mit Schleper und ihrem Team kooperieren, sogenannte "Open-top Chambers" befestigt. "Diese Kästen sind nach oben hin – und damit für Niederschläge und Temperaturunterschiede – offen. Mittels Sensoren wird dort u.a. gemessen, wie sich die Treibhausgas-Emissionen mit der Temperatur ändern", erklärt Schleper. Einige Bodenproben untersuchen die ForscherInnen schließlich im Labor mittels molekularer Techniken. Sie isolieren das genetische Material und sequenzieren daraus bestimmte Gene. "In der Tundra ist dabei viel Kreativität gefragt. Denn die aufgrund kurzer Vegetationsperioden extrem schwarzen Böden sind voll mit nicht abgebautem organischem Material. Dadurch versagen gängige molekulare Techniken oftmals", so die Ökogenetikerin.
Aus den Bodenproben isolieren die ForscherInnen schließlich auch ihre eigenen Organismen: Mittlerweile haben sie neben der Nitrososphaera viennensis auch ein arktisches Archaeon im Labor in der Althanstraße kultiviert. Auch hier stehen das Thema Energiemetabolismus und die Frage, wie die Treibhausgas-Emissionen z.B. mit Temperaturunterschieden einhergehen, im Mittelpunkt. "Wir wollen aber noch weitere Modellorganismen kultivieren, um die unterschiedlichen physiologischen Eigenschaften der Archaea zu verstehen", betont Schleper.
Nutzbare Stoffe aus Abgasen?
Denn Archaea könnten auch in anderer Hinsicht für unsere Umwelt nützlich sein: Sie fixieren Kohlenstoff aus der Luft und bilden daraus Biomasse. "Theoretisch könnten diese Mikroorganismen somit auch aus Abgasen nutzbare Stoffe bilden. Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik, denn die Archaea wachsen derzeit nur zu sehr geringen Zelldichten heran." Eines ist sicher: In der Welt der Mikroorganismen gibt es auf jeden Fall noch viel zu entdecken. (ps)
Das FWF-Projekt "Stoffwechsel- und Genomanalysen Ammonium-oxidierender Archaea" lief von 1. November 2010 bis 31. Dezember 2013. Das FWF-Projekt "Ammoniak oxidierende Archaea in arktischen Tundraböden" läuft von 1. Jänner 2013 bis 31. Dezember 2015 und das FWF-Projekt "Thaumarchaeota in marinen Sedimenten" startet in Kürze. Alle unter der Leitung von Univ.-Prof. Dipl.-Biol. Dr. Christa Schleper, stv. Leiterin des Departments für Ökogenomik und Systembiologie. Das Projekt "Ammoniak oxidierende Archaea in arktischen Tundraböden" läuft in Kooperation mit ForscherInnen in Finnland und Bayreuth. Insgesamt forschen neben Christa Schleper zehn MitarbeiterInnen des Departments an den Archaea.
Aktuelle Publikation zum Thema:
Das Paper "Aerobic nitrous oxide production through N-nitrosating hybrid formation in ammonia-oxidizing archaea" (AutorInnen: M. Stieglmeier, M. Mooshammer, B. Kitzler, W. Wanek, S. Zechmeister-Boltenstern, A. Richter und C. Schleper) erschien im Jänner 2014 im ISME Journal.