Das tägliche Raufen mit der Raumzeit

1915 beschrieb Albert Einstein die Gravitation mathematisch mit einer Gleichung und legte damit den Grundstein für die Allgemeine Relativitätstheorie. Heute geht Michael Eichmair an der Fakultät für Mathematik der Frage nach, was wir über die Lösungen der Einstein-Gleichung wissen können.

Die Geschichte der Allgemeinen Relativitätstheorie beginnt Anfang des 20. Jahrhunderts mit Albert Einstein. Er erkennt als Erster, dass es sinnvoll ist, Raum und Zeit gedanklich nicht voneinander zu trennen. Das geometrische Modell für Gravitation, das Einstein entwirft, bildet heute die Grundlage für das Projekt des Uni Wien Mathematikers und START-Preisträgers Michael Eichmair, der die isoperimetrische Struktur von Anfangsdaten der Einstein-Gleichungen studiert.

Dido und die größte Stadt

Liegt das Aufstellen der Einstein-Gleichung schon über 100 Jahre zurück, ist die Isoperimetrie im Vergleich dazu eine uralte Geschichte. Sie beginnt in der Antike mit der phönizischen Königin Dido und dem Problem, unter allen Figuren mit demselben Umfang jene mit der größten Fläche zu bestimmen. Dido entscheidet sich, die Stadt Karthago kreisförmig anzulegen. "Besser geht es auf flachem Terrain nicht. Dieselbe Frage ist noch viel spannender, wenn wir Hügel und Täler oder andere Nebenbedingungen wie z.B. eine Küstenlinie berücksichtigen", so Eichmair.  

Michael Eichmair ist seit März 2015 Professor für Globale Analysis und Differentialgeometrie an der Fakultät für Mathematik der Universität Wien. Nach seinem PhD-Studium in Stanford, wechselte er bis 2012 an das Massachusetts Institute of Technology (USA) und war bis 2015 Assistenzprofessor an der ETH Zürich. 2016 erhielt Eichmair für sein Projekt "Isoperimetrische Struktur von Anfangsdaten der Einstein-Gleichungen" den START-Preis des FWF.

Positiv gekrümmt 

Die Frage nach Isoperimetrie kann man sich ebenso in beliebiger Dimension stellen. Hier kommt Michael Eichmair ins Spiel. In seinem Projekt untersucht er die isoperimetrische Struktur von Anfangsdaten der Einstein-Gleichung, also von dreidimensionalen Schnitten durch die Raumzeit. "In diesen Momentaufnahmen ist die gesamte Raumzeit, also alles Vergangene und alles Zukünftige enthalten. Der springende Punkt ist nun, wie wir physikalische Eigenschaften der Raumzeit aus der Geometrie von Anfangsdaten auslesen können", beschreibt Eichmair. "Meine Forschung hat gezeigt, dass uns die klassischen Fragen der Isoperimetrie hier sehr viel weiter bringen."

Eichmair beschäftigt sich nicht nur mit Schnitten durch die Raumzeit, sondern auch mit deren Bewegung durch den vierdimensionalen Raum. "Wenn wir wissen, wo und mit welcher Geschwindigkeit ein Stein auf die Wasseroberfläche auftrifft, können wir die Ausbreitung der erzeugten Welle berechnen", so Eichmair. Ähnlich verhält es sich mit Anfangsdaten bei den Einstein-Gleichungen. Sie definieren Ausgangspunkt und -Geschwindigkeit einer Welle durch die Raumzeit. Wie sich diese Wellen in der Raumzeit ausbreiten, spielt im Projekt eine wichtige Rolle.  

Die Informationen der Anfangsdaten 

"Die bahnbrechenden Arbeiten der Mathematikerin Yvonne Choquet-Bruhat Mitte des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass die gesamte Raumzeit aus den Anfangsdaten der Einsteinschen Gleichungen 'entwickelt' werden kann", erzählt Eichmair. In den optimalen Formen, die das isoperimetrische Problem der Anfangsdaten lösen, stecken laut dem Forscher viele Informationen über die Raumzeit, insbesondere deren Masse und  Massenzentrum.   

Das mittlerweile erworbene Wissen entsteht nicht per Zufall: "Seit neun Jahren denke ich jeden Tag über isoperimetrische Probleme der Raumzeit nach", erzählt der Wissenschafter: "Ich überlege mir, wie diese Formen aussehen und was sie uns über die Raumzeit mitteilen." Seit er sich diesem Thema widmet, habe er keine Woche weniger als 40 Stunden darüber nachgedacht, wie das Objekt beschaffen sein könnte, so Eichmair über den Arbeitsprozess. 

Die Liebe zur Mathematik zeigt sich auch in Michael Eichmairs Engagement außerhalb des Hörsaals: Sein Projekt "Mathematik macht Freu(n)de" will Schulen um eine neue Mathematik-Lehrkultur bereichern. Studierende einer extra entwickelten Lehrveranstaltung werden ausgebildet, um Sekundarstufen-SchülerInnen bei Lernschwierigkeiten zu unterstützen. Bis 15. Juli können sich Studierende mit abgeschlossener STEOP im Unterrichtsfach Mathematik dafür bewerben. (© Mathematik macht Freu(n)de)

Zeit für mutige Fragen

Das Interesse an der vierdimensionalen Geometrie ist ihm quasi in die akademische Wiege gelegt worden. "Während meines Doktorats in Stanford bin ich mit diesen Einflüssen gewachsen", erzählt Eichmair, der 2014, im Alter von 30 Jahren, an die Universität Wien berufen wurde.

Die Beantwortung der anfangs gestellten Fragen schreitet rascher voran als geplant. Deshalb denkt Eichmair bereits über die nächsten Schritte nach. Was ihm mit der Raumzeit gelungen ist, möchte er auch auf andere Geometrien ausweiten. Außerdem sei es auch im Rahmen des Projekts nun an der Zeit, mutigere Fragen zu stellen. "Mein Ziel ist es, bei jenen Fragen einen Fortschritt zu erzielen, die schon seit fast hundert Jahren im Raum stehen." Hier schließt Eichmair auch den Kreis zu Einstein: "Die allgemeine Relativitätstheorie war von Anfang an eine geometrische Beschreibung von Gravitation. In meinem Projekt trifft die Geometrie wieder auf die Physik – auch wenn ich immer aus der Perspektive des Geometers auf Probleme blicke." (pp)

Das Projekt "Isoperimetrische Struktur von Anfangsdaten der Einstein-Gleichungen" läuft unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Michael Eichmair an der Fakultät für Mathematik der Universität Wien von 1. Jänner 2017 bis 31. Dezember 2019 und erhielt 2016 den hochdotierten START-Preis des FWF.