Das spannende Sterntaler-Innenleben

Polyploidie – die Multiplikation von Chromosomen-Sätzen – ist ein Schlüsselprozess der Diversifizierung im Pflanzenreich. Trotzdem weiß man über viele Aspekte noch zu wenig – etwas, das Hanna Schneeweiss ändern will. Sie spürt der Evolution in polyploiden Pflanzen nach.

Asteraceae haben es Hanna Schneeweiss beruflich angetan. "Korbblütler", sagt die Botanikerin vom Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung der Universität Wien und erntet einen verwirrten Blick. Die Wissenschafterin weiter: "Das ist die größte Pflanzenfamilie überhaupt". Doch erst nachdem Schneeweiss "Sonnenblumen" erwähnt, sagt auch der Laie: "Aha".

Ihr eigentliches Forschungsobjekt ist Melampodium (Sterntaler), in Form und Farbe eine Miniatur-Ausgabe der Sonnenblume. Für die reist die Botanikerin schon mal nach Mexiko. "Wir sammeln die Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung", erzählt sie. Selbstverständlich nur mit Erlaubnis. "Wir nehmen auch immer nur ein oder zwei Pflanzen." Einige Blätter werden sofort in Silica-Gel eingebettet. Das hat den Vorteil, dass das Gewebe schnell trocknet und die DNA intakt bleibt. Und auf die hat es Schneeweiss abgesehen.

Im Rahmen ihres im Herbst 2012 bewilligten FWF-Projekts "Herkunft und Genomevolution von Polyploiden in der Gattung Melampodium" will sie herausfinden, was die biogeographischen, ökologischen und genetischen Grundlagen für die Bildung und den evolutionären Erfolg von Polyploiden sind.

Polyploide Pflanzen


Warum ausgerechnet diese Gattung? "Melampodium eignet sich besonders gut als Forschungsobjekt. Die Chromosomenzahl dieser Pflanzen variiert stark. Wir haben herausgefunden, dass sie polyploid sind – so nennt man die Multiplikation von Chromosomen-Sätzen", erklärt sie. "Manche haben 20 Chromosomen, andere verwandte Arten haben aber 40 oder 60. Die meisten der polyploiden Arten sind allopolyploid, das heißt, sie sind aus der Hybridisierung zweier Arten entstanden."



Die Gattung Melampodium (Sterntaler) ist in Form und Farbe eine Miniatur-Ausgabe der Sonnenblume und umfasst 40 Arten. Im Bild: Melampodium pilosum, (Foto: Enrique Ortiz)



Weil die gesamte Gattung nur 40 Arten umfasst, sei das Forschungsfeld überschaubar: "Wir haben hier also eine feine, kleine Gruppe von Polyploiden und ihren nicht-polyploiden Ausgangsarten", sagt sie. "Und wir wissen aus vorhergehenden Projekten schon einiges über die Sterntaler, zum Beispiel, wie die Arten miteinander verwandt sind." Der Schwerpunkt des Projekts liegt auf einer Gruppe von fünf ausschließlich allopolyploiden Arten. Zu Entstehung und genomischer Evolution dieser Arten, die taxonomisch – etwas sperrig – als sectio Melampodium series Sericea zusammengefasst werden, gibt es bereits auf molekularen, chromosomalen, zytologischen und morphologischen Daten basierende Hypothesen. So steht es im Forschungsantrag nachzulesen. Schneeweiss kennt also das Innenleben aller Arten.

Sequenziertechniken der nächsten Generation

Polyploidie – so viel weiß man – ist eine Schlüsselgröße für die Vielfalt der Pflanzen, in der Evolution im Allgemeinen und trägt zur Artbildung bei. Trotz dieser großen Bedeutung sind noch viele Fragen offen: Räumliche und zeitliche Voraussetzungen für Polyploidisierung, Gründe für den evolutionären Erfolg von Polyploiden, oder Mechanismen und Trends in der Evolution polyploider Genome.



Obwohl sich die Sterntaler-Arten ähnlich sind, kann sie selbst der Laie in Form und Aussehen unterscheiden. Im Bild: Melampodium sericeum. (Foto: Enrique Ortiz)



Mit ihrem neuen Forschungsprojekt hofft die Botanikerin, Antworten zu finden. "Wir wollen besser verstehen, wie die Evolution in polyploiden Pflanzen funktioniert. Ob es eine Richtung gibt, in die sie sich entwickeln? Oder sind es geografische und ökologische Faktoren, die sie in verschiedene Richtungen treiben? Gibt es genomische Faktoren, die manche Arten anfälliger für Polyploidie machen als andere?" Dazu setzt Schneeweiss auf DNA-Analysen, insbesondere Sequenziertechniken der nächsten Generation, die unter anderem in Wien durchgeführt werden.

Reaktion auf Klimaschwankungen?

Die braucht sie auch, denn in allopolyploiden Sterntaler-Arten wird es richtig kompliziert – und spannend. "Die Hybriden müssen lernen, das Erbgut, das sie von Mutter und Vater bekommen haben, aufeinander abzustimmen und irgendwie zu managen. Uns interessiert, wie sie das machen", erklärt die Botanikerin. Und möchte den genauen Ursprung und die Geschichte der allotetraploiden und allohexaploiden Arten von Melampodium ser. Sericea eruieren. Wie ist der Zusammenhang zwischen der Entstehung von Polyploiden und der geografischen Geschichte ihrer Elternsippen? Sind die Allopolyploiden mehrfach entstanden? Bevorzugen Allopolpyloide andere ökologische Nischen als ihre Elternsippen? Reagieren sie anders auf Klimaschwankungen als ihre Elternsippen? Und ist die Evolution von Polyploiden wiederholbar? "Vielleicht", sagt Schneeweiss, "sind sie für manche Plätze ja besser gerüstet als diploide Exemplare."

Das Forschungsprojekt läuft jedenfalls bis Ende 2015. Spätestens dann wird Hanna Schneeweiss die eine oder andere selbstgestellte Frage beantworten können. (red)

Das FWF-Projekt "Herkunft und Genomevolution von Polyploiden in der Gattung Melampodium" unter der Leitung von Ass.-Prof. Mag. Dr. Hanna Schneeweiss vom Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung läuft von 1. Jänner 2013 bis 31. Dezember 2015. Projektmitarbeiter sind: Jamie McCann, MSc, und emer. o. Univ.-Prof. Dr. Tod Stuessy, vom Department für Botanische Systematik und Evolutionsforschung. Auf internationaler Ebene arbeitet das Team mit Jiři Macas, Tschechische Republik, und José Villaseñor, Mexiko, zusammen.